Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

5. Dezember 1994: Budapester Memorandum | Hintergrund aktuell | bpb.de

5. Dezember 1994: Budapester Memorandum

Redaktion

/ 6 Minuten zu lesen

1994 gaben Russland, die USA und Großbritannien der Ukraine ein Sicherheitsversprechen für die Abgabe ihrer Atomwaffen aus sowjetischer Zeit.

Eine Protestierende hält im Juli 2022 während einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine in London ein Plakat mit dem Titel „Budapest Memorandum 1994“. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Vuk Valcic)

Während des Interner Link: Kalten Krieges hatten die USA und die Interner Link: Sowjetunion sehr große Nukleararsenale aufgebaut. Im Jahr 1986 erreichte die Zahl nuklearer Sprengköpfe in der UdSSR mit mehr als 40.000 ihren Höhepunkt. Diese waren in verschiedenen Teilrepubliken stationiert. Bereits zu diesem Zeitpunkt geriet die Sowjetunion zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Ab Ende der 1980er-Jahre machten sich zudem gesellschaftliche Desintegrationsprozesse bemerkbar. Interner Link: Bis Ende Dezember 1991 zerfiel die Sowjetunion in 15 Nachfolgestaaten.

Etwa zwei Drittel der damals durch Abrüstungsverträge bereits reduzierten Zahl von 30.000 Atomsprengköpfen befanden sich US-amerikanischen Schätzungen zufolge auf russischem Territorium, einschließlich des Oberkommandos und der notwendigen Codes zur Aktivierung des Arsenals. Tausende von taktischen und strategischen Atomwaffen wurden jedoch zumindest physisch von neu entstandenen Staaten wie Belarus, Kasachstan und der Ukraine kontrolliert.

Die USA sahen diese Situation mit Sorge. Einerseits war völlig unklar, ob sich die neu entstandenen Atommächte an die Interner Link: Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen der Sowjetunion und den USA halten würden. Gleichzeitig weckte der Interner Link: Zerfall des jugoslawischen Staates mit seinen blutigen Bürgerkriegen in der Regierung von US-Präsident George H. W. Bush Befürchtungen, dass es auch im postsowjetischen Raum zu ähnlichen Entwicklungen kommen könnte – in diesem Fall jedoch als Konflikte zwischen atomar bewaffneten Staaten. Anderseits gab es durch den Zusammenbruch der kommunistischen Planwirtschaft und die darauffolgenden ökonomischen Probleme in den postsowjetischen Staaten auch Befürchtungen, dass die Sicherheit der Atomarsenale durch Nachlässigkeit oder Korruption gefährdet sein könnte.

Ukraine erklärt sich 1991 für unabhängig

Als am 21. Dezember 1991 das Interner Link: Gründungsabkommen der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) in Alma-Ata unterzeichnet wurde, bekannten sich elf spätere Nachfolgestaaten – darunter auch Russland, Belarus, Kasachstan und die Ukraine – im Sinne der internationalen Sicherheit zu einer „singulären Kontrolle“ über die sowjetischen Atomwaffen. Im "Agreement on Joint Measures on Nuclear Arms" wurde die vollständige nukleare Abrüstung sowie der Transfer aller taktischen Kernwaffen nach Russland beschlossen.

Die Interner Link: Ukraine hatte sich am 24. August 1991 für unabhängig erklärt. Am 1. Dezember 1991 bestätigte die Bevölkerung diesen Schritt mit großer Mehrheit in einem Referendum. Bis Mai 1992 übergab die Ukraine alle 2.500 im Land befindlichen taktischen Atomsprengköpfe an Moskau. Die USA und Russland setzten sich in der Folge dafür ein, dass auch die noch in der Ukraine verbliebenen 1.800 strategischen Sprengköpfe – damals noch das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt – schnellstmöglich nach Russland überführt werden.

Kasachstan und Belarus geben ihre Atomwaffen ab

Kasachstan hatte sich frühzeitig entschieden, keine Atommacht mehr sein zu wollen. Auch Belarus verzichtete schon bald nach seiner Unabhängigkeit auf den Status als Nuklearmacht. Beide Länder wurden in der Folge enge Bündnispartner Russlands und aktive Mitglieder in der von Russland dominierten Interner Link: Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS).

Beim Weg in die Unabhängigkeit der Ukraine kam es hingegen schon in der Frühphase des neuen ukrainischen Staates zu Konflikten mit Russland, insbesondere über den Status der Halbinsel Krim. In dieser Gemengelage knüpfte die damalige ukrainische Regierung die Abgabe der strategischen Nuklearsprengköpfe aus sowjetischen Beständen an Sicherheitsgarantien.

Am 13. Januar 1994 vermittelte US-Präsident Bill Clinton bei einem Besuch in Kyjiw eine trilaterale Vereinbarung, in der sich die Ukraine erstmals zum Verzicht auf ihre strategischen Atomwaffen verpflichtete. Zu einer endgültigen Einigung über die Bedingungen kam es jedoch erst elf Monate später – mit der Unterzeichnung des Budapester Memorandums am 5. Dezember 1994 auf dem Treffen der damaligen KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, heute: Interner Link: OSZE) durch die Russische Föderation, die Ukraine, Belarus, Kasachstan, die USA und Großbritannien. Das Memorandum war Vorbedingung für den Beitritt der ehemaligen Sowjetrepubliken zum Interner Link: Atomwaffensperrvertrag und dem START-I-Vertrag zur Reduzierung der strategischen Nukleararsenale.

Die Vereinbarungen des Budapester Memorandums

Mit dem Externer Link: Budapester Memorandum verpflichteten sich Russland, die USA und Großbritannien in drei getrennten Erklärungen, die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine, Belarus und Kasachstans zu respektieren und auf jeglichen militärischen Zwang gegen die nun unabhängigen Staaten zu verzichten. Das gelte insbesondere für den Einsatz von Nuklearwaffen. Ferner bekräftigten Russland, die USA und Großbritannien den bereits in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen Verzicht, wirtschaftlichen Druck auf die Ukraine auszuüben, um eigene Interessen durchzusetzen.

Boris Jelzin, Bill Clinton, Leonid Kutschma und John Major bei der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags im Budapester Kongresszentrum, Ungarn, am 5. Dezember 1994. (© picture-alliance/AP, David Brauchli)

Falls die Ukraine als künftig nicht-atomar gerüsteter Staat mit Nuklearwaffen bedroht werde, verpflichteten sich Russland, die USA und Großbritannien dazu, den UN-Sicherheitsrat einzuschalten. Außerdem wollten sich die Unterzeichnerparteien im Konfliktfall beraten. Eine explizite militärische Beistandsgarantie im Falle eines Angriffs gegen die Ukraine enthält das Budapester Memorandum jedoch nicht.

Die Ukraine gab im Gegenzug ihre strategischen Atomwaffen aus Sowjetbeständen an Russland ab und trat noch am gleichen Tag dem Atomwaffensperrvertrag bei. Mit diesem Schritt trat auch der Abrüstungsvertrag START I in Kraft, der noch zu Sowjetzeiten unterzeichnet wurde, aber erst mit dem Beitritt der Ukraine, Belarus und Kasachstans Gültigkeit bekam.

Der juristische Charakter des Budapester Memorandums ist bis heute umstritten. Nach Auffassung der US-Regierung handelt es sich nach dem juristischen Wortlaut des Dokuments nicht um einen völkerrechtlich bindenden Vertrag, sondern um eine zwischenstaatliche Willenserklärung. Andere Stimmen gehen davon aus, dass sich aus den Vereinbarungen sehr wohl eine rechtliche Bindungswirkung ergibt, es aber keine Mittel gebe, diese durchzusetzen.

Erster Bruch des Memorandums im Jahr 2006

In der Ukraine bekamen Forderungen nach Bekämpfung der Korruption und dem Aufbau eines liberalen Rechtsstaates nach westlichem Vorbild ab den frühen 2000er-Jahren immer größeres Gewicht. In der „Interner Link: Orangenen Revolution“ Ende 2004 demonstrierten Hunderttausende Menschen gegen die offensichtlich manipulierte Wahl des pro-russischen Politikers Wiktor Janukowytsch zum Staatspräsidenten – und erreichten eine Neuansetzung des entscheidenden zweiten Wahlgangs, bei dem der pro-westliche Kandidat Wiktor Juschtschenko gewählt wurde.

Anfang 2006 stellte Russland – mitten im Winter – die Gaslieferungen an die Ukraine ein, um aus politischen Gründen eine Erhöhung des Gaspreises um das Viereinhalbfache durchzusetzen. Damit verstieß Russland erstmals gegen das Budapester Memorandum. Der Vorfall blieb für Wladimir Putin, der am 26. März 2000 zum Präsidenten Russlands gewählt worden war, folgenlos.

Annexion der Krim 2014 und russische Vollinvasion 2022

Ab Ende Februar 2014, kurz nach dem Ende der „Revolution der Würde“ (Interner Link: Euromaidan) und der Flucht des bis dahin regierenden Präsidenten Wiktor Janukowytsch, besetzten russische Soldaten die Halbinsel Krim. Binnen weniger Wochen folgte die Interner Link: Annexion des zur Ukraine gehörenden Territoriums. Neben zahlreichen anderen internationalen Verträgen verstieß Russland damit erneut gegen die Vereinbarungen des Budapester Memorandums. Die Garantiemächte USA und Großbritannien zogen aus der Annexion keine militärischen Konsequenzen. Die Krim wird bis heute von Russland kontrolliert.

Interner Link: Die vollständige russische Invasion der Ukraine ab dem 24. Februar 2022 und der damit einhergehende Angriffskrieg haben mit dem abermaligen Bruch des Budapester Memorandums die Frage aufgeworfen, wie die Ukraine künftig vor militärischen Aggressionen aus Russland geschützt werden kann. Das Budapester Memorandum hat sich dabei als nie wirklich tauglich erwiesen: Weil es keine Verpflichtung zum militärischen Beistand gibt – und auch keine Durchsetzungsmechanismen – konnte Russland die Vereinbarungen immer wieder missachten. Interner Link: Manche Experten sehen in der aktuellen Debatte um einen NATO-Beitritt der Ukraine eine direkte Folge des Scheiterns des Budapester Memorandums. Erst durch Artikel 5 des NATO-Vertrages würde die Ukraine jene Sicherheitsgarantien erhalten, die ihr bisher verwehrt blieben.

Eine weitere Folge des russischen Angriffskrieges betraf das letzte verbliebene Rüstungskontrollabkommen „New START“, ein Nachfolgeabkommen des mit dem Budapester Memorandum in Kraft getretenen START-I-Vertrags: Wladimir Putin gab Anfang 2023 bekannt, dass Russland seine Teilnahme an dem Atomwaffenkontrollvertrag aussetzt.

Mehr zum Thema

Weitere Inhalte

„Hintergrund Aktuell“ ist ein Angebot der Onlineredaktion der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Es wird von den Redakteur/-innen und Volontär/-innen der Onlineredaktion der bpb redaktionell verantwortet und seit 2017 zusammen mit dem Südpol-Redaktionsbüro Köster & Vierecke erstellt.

Interner Link: Mehr Informationen zur Redaktion von "Hintergrund aktuell"