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Parlamentswahl in Rumänien | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Rumänien

Redaktion

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Am 1. Dezember wird in Rumänien ein neues Parlament gewählt. Umfragen deuten auf ein Erstarken rechter Parteien hin. Auch das Staatsoberhaupt wird eine Woche zuvor neu gewählt.

Plenarsaal des rumänischen Parlamentspalastes in Bukarest. Der Palast ist nach dem Pentagon in Washington das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt. (© picture-alliance/dpa, Soeren Stache)

Hinweis

Die ursprüngliche Version dieses Textes wurde am 19.11.2024 veröffentlicht und nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl (24. November) am 27.11.2024 aktualisiert.

Wer regiert derzeit?

Bei der Interner Link: Parlamentswahl im Jahr 2020 musste die bis dahin regierende Sozialdemokratische Partei (Partidul Social Democrat, PSD) herbe Verluste hinnehmen, blieb aber stärkste Kraft: Sie erreichte nur noch 29,32 Prozent der Stimmen für den Senat und 28,9 Prozent der Stimmen für die Abgeordnetenkammer. Die Nationalliberale Partei (Partidul Național Liberal, PNL), das liberale Reformbündnis aus Union Rettet Rumänien (Uniunea Salvați România, USR) zusammen der Partei PLUS (gemeinsam: USR-PLUS) sowie die Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (Uniunea Democrată Maghiară din România, UDMR) bildeten eine Koalitionsregierung. Ministerpräsident wurde Florin Cîțu (PNL).

Die Koalition aus den drei proeuropäischen Parteien zerbrach jedoch nicht einmal ein Jahr später. Ausgelöst wurde die Regierungskrise, weil Ministerpräsident Cîțu mit Unterstützung von Staatspräsident Klaus Johannis zwei USR-Minister entlassen hatte. Anfang Oktober 2021 wählte das rumänische Parlament in einem von der PSD eingereichten Misstrauensantrag die Regierung ab.

Ende November 2021 bildeten PNL, UDMR und PSD eine neue Regierungskoalition. Vereinbart wurde, dass nach 18 Monaten das Amt des Ministerpräsidenten von der PNL an die SDP wechseln sollte. Regierungschef wurde zunächst der ehemalige General und spätere Verteidigungsminister Nicolae Ciucă (PNL) – am 15. Juni 2023 übernahm dann Marcel Ciolacu (PSD) das Amt. Mit der Übergabe war der Ungarnverband UDMR nicht mehr an der neuen Regierung beteiligt, PSD und PNL besaßen weiterhin eine komfortable Mehrheit im Parlament.

Wie wird gewählt?

Das rumänische Parlament besteht aus zwei Kammern – der Abgeordnetenkammer und dem Senat. Beide Kammern werden am 1. Dezember neu gewählt. Wahlberechtigt ist, wer die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt und mindestens 18 Jahre alt ist.

Für die Abgeordnetenkammer – das Unterhaus – werden 330 Sitze nach einem Interner Link: Verhältniswahlrecht vergeben. Wenn eine gesetzlich anerkannte nationale Minderheit nicht bei der Wahl durch Abgeordnetenmandate repräsentiert wird, ist sie unter bestimmten Bedingungen berechtigt, einen Sitz in der Abgeordnetenkammer zu erhalten. Die Interner Link: Sperrklausel liegt bei fünf Prozent, außer eine Partei erreicht in mindestens vier der 43 Wahlbezirke mehr als 20 Prozent der Stimmen. Bündnisse aus zwei Parteien müssen landesweit mindestens acht Prozent der Stimmen erreichen, Vier-Parteien-Bündnisse unterliegen einer Sperrklausel von zehn Prozent. Die 136 Abgeordneten des Senats werden ebenfalls per Verhältniswahl gewählt. Es gelten die gleichen Bestimmungen für die Sperrklausel wie bei der Abgeordnetenkammer.

Neben der Parlamentswahl findet auch die Wahl eines neuen Staatspräsidenten in Rumänien statt. Der bisherige Amtsinhaber Klaus Johannis, Angehöriger der deutschen Minderheit, kann nach zwei Amtsperioden nicht noch einmal zur Wahl antreten. Der Staatspräsident wird in Rumänien direkt vom Volk für die Dauer von fünf Jahren gewählt. Der erste Wahlgang findet am 24. November statt. Sollte kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen, findet am 8. Dezember eine Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten statt.

Fußnoten

  1. In Rumänien gibt es 19 gesetzlich anerkannte nationale Minderheiten; die tschechische und die slowakische Minderheit werden von einer Person vertreten. Entsprechend können maximal 18 Sitze an nationale Minderheiten vergeben werden.

Wer tritt zur Wahl an?

Insgesamt sind die Listen von 50 Parteien zur Wahl gemeldet.

Die Sozialdemokratische Partei (PSD) ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten die wohl prägendste politische Kraft in Rumänien gewesen. Von 2008 bis 2019 führte sie die Regierungsgeschäfte – und seit 2023 stellt sie mit Marcel Ciolacu wieder den Ministerpräsidenten. Die PSD ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Im April 2019 wurde die Mitgliedschaft der PSD in der SPE nach einer Reihe von Korruptionsskandalen und einer umstrittenen Justizreform suspendiert. In den vergangenen Jahren ist die Partei immer wieder durch Korruptionsskandale und Klientelismus stark in die Kritik geraten. Die PSD versteht sich als „progressive linke nationale Partei mit europäischer Ausrichtung“ Ministerpräsident und Parteichef Marcel Ciolacu kandidiert in diesem Jahr für das Amt des Staatspräsidenten.

Im bürgerlichen Spektrum ist die Nationalliberale Partei (PNL) in den vergangenen Jahren die wichtigste Kraft gewesen und hat sich jahrelang als Gegengewicht zur PSD positioniert. Nun regiert sie derzeit gemeinsam mit den Sozialdemokraten. Parteichef ist der frühere Ministerpräsident Nicolae Ciucă, der ebenfalls in diesem Jahr für das Amt des Staatspräsidenten kandidiert. Die PNL steht rechts der Mitte, sie hat ein liberales Wirtschaftsprogramm.

Ebenfalls im liberalen Politspektrum ist die Union Rettet Rumänien (USR) verortet. Sie war bis 2021 Teil der Regierungskoalition. Parteivorsitzende ist Elena Lasconi.

Als neue politische Kraft hat sich seit einigen Jahren die rechtsnationalistische Allianz für die Vereinigung der Rumänen (Alianța pentru Unirea Românilor, AUR) etabliert. Sie wurde 2019 gegründet und hat sich, nach eigener Aussage, den Werten „Familie, Land, Glauben und Freiheit“ verpflichtet. Parteivorsitzender ist George Simion.

Die nationalistische, antieuropäische Partei S.O.S. Rumänien (S.O.S. România) tritt zum ersten Mal bei einer Parlamentswahl an und hat gute Chancen, ins Parlament einzuziehen. Parteichefin ist Diana Șoșoacă. Unter anderem tritt S.O.S. Rumänien für ein „Groß-Rumänien“ ein und beansprucht Gebiete von der Ukraine und der Republik Moldau. Parteichefin Șoșoacă werden enge Beziehungen zum Kreml nachgesagt.

Der Partei Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (UDMR) gelang es in der Vergangenheit, immer wieder als Minderheitenpartei in Fraktionsstärke im Parlament vertreten zu sein. Die Partei vertritt pro-europäische Werte. Ob sie jedoch in diesem Jahr erneut den Sprung über die Sperrklausel schafft, ist ungewiss.

Worum geht es im Wahlkampf?

Sowohl bei den Parlaments- als auch bei den Präsidentschaftswahlen steht die langfristige politische Ausrichtung Rumäniens zur Diskussion. In der rumänischen Politik sind aus Sicht mancher Beobachter nationalistische Themen ein wiederkehrendes Element. Diese schürten Ängste der Bevölkerung, dass Rumänien machtlos und unbedeutend ist auf internationaler Ebene oder gar vergessen wird – obwohl es als „Fronstaat“ der von Russland angegriffenen Ukraine eine Rolle spielt. Dominanter ist jedoch die Debatte um die nationale Identität.

All das steht in einem scharfen Gegensatz zu dem bislang großen Einfluss liberaler Kräfte im Parlament und der Rolle des bis Ende des Jahres noch amtierenden Staatspräsidenten Interner Link: Klaus Johannis, der stets als Kraft der politischen Mitte aufgetreten war. Das Erstarken der politischen Rechten, welches sich bereits bei der Interner Link: Europawahl im Juni abzeichnete – als die S.O.S. Rumänien 5 Prozent und die AUR gar fast 15 Prozent erreichten –, könnte auch Folgen für die bisherige pro-europäische Politik der rumänischen Regierung haben.

Rumänien ist Ende März dieses Jahres – zusammen mit Bulgarien – dem Interner Link: Schengen-Raum beigetreten. Allerdings haben beide Länder bisher keine vollwertige Mitgliedschaft: Für sie gilt lediglich die Kontrollfreiheit im Flugverkehr, nicht aber beim Reiseverkehr auf dem Landweg. Das hat Auswirkungen auf den Transitverkehr für Lastwagen, aber auch für den Personenverkehr. In Rumänien hat das für Verstimmungen gesorgt – nicht wenige empfinden die Regelung als „Mitgliedschaft zweiter Klasse“. Die Regierung in Bukarest hat zuletzt verstärkt auf eine „Vollmitgliedschaft“ gedrängt. Besonders Österreich hatte bisher Einwände dagegen, rückte jüngst aber von dieser Position ab. Eine Entscheidung darüber könnte noch im Rahmen des EU-Innenministerrats im Dezember gefällt werden.

Auch die jahrelange Abwanderung von Rumänen ins Ausland ist ein Thema in diesem Wahlkampf. In den vergangenen 15 Jahren wanderten insgesamt fünf Millionen Menschen aus. Allerdings deutet sich eine Trendwende in Sachen Demografie an: Im Jahr 2023 hatte Rumänien erstmals einen leichten Rückwanderungsüberschuss.

Derweil wächst in der rumänischen Wirtschaft die Sorge, dass es nach der Wahl zu einem finanzpolitischen Kurswechsel kommen könnte. Die scheidende Regierung zeigte sich eher spendabel: Das staatliche Haushaltsdefizit könnte im Jahr 2024 auf acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsen, 2023 waren es noch 6,6 Prozent. Die Befürchtung vieler Unternehmen ist, dass Leistungen gekürzt und neue Steuern eingeführt werden müssen, weil es der neuen Regierung an finanziellem Spielraum fehlen könnte.

Wer könnte nach der Wahl regieren?

In Rumänien deutet sich eine Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse an. Während bei der Parlamentswahl im Jahr 2020 noch die liberalen Kräfte als Sieger hervorgingen, deutet sich vier Jahre später ein Erstarken populistischer und extremistischer Kräfte an.

Laut jüngsten Umfragen könnte die PSD zur stärksten Kraft werden – gefolgt von der rechtspopulistischen AUR. Die in den Jahren 2020 und 2021 regierende Koalition aus PNL, USR und UDMR muss den Demoskopen zufolge mit deutlichen Verlusten rechnen. Die liberale PNL, lange Zeit das politische Gegengewicht zu den populistisch auftretenden Sozialdemokraten, muss damit rechnen, künftig nur noch drittstärkste Kraft in Rumänien zu sein.

Beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl am 24. November hat überraschend der extrem rechte Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu gewonnen. Er geht nun am 8. Dezember gegen die liberal-konservative Politikerin Elena Lasconi in die Stichwahl.

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