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1. November: Selbstbestimmungsgesetz tritt in Kraft

Redaktion

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Ab November gilt das Selbstbestimmungsgesetz. Es erleichtert trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen, ihren Vornamen und behördlichen Geschlechtseintrag zu ändern.

Christopher Street Day 2023 in Erfurt. Das Plakat ist in den Farben der trans Bewegung bemalt: Hellblau steht für männlich, rosa für weiblich, weiß für nichtbinär. (© picture-alliance)

Der Bundestag hat am 12. April dieses Jahres dem „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“ zugestimmt. Das Externer Link: Gesetz soll es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtern, ihr amtlich eingetragenes Geschlecht und ihren Vornamen zu ändern. Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) tritt am 1. November 2024 in Kraft. Bereits seit dem 1. August können Menschen die Änderung ihres Geschlechtseintrags anmelden, damit sie zum 1. November gültig wird.

Warum gibt es das Selbstbestimmungsgesetz?

In Deutschland hat jeder Mensch das Recht, seine Persönlichkeit frei zu entfalten. Das bedeutet auch, über die eigene geschlechtliche Identität selbst bestimmen zu dürfen. Zentral sind dafür die Artikel 2 und 3 des Grundgesetzes.

Auszug aus dem GrundgesetzArtikel 2 und Artikel 3

Artikel 2
Persönliche Freiheitsrechte

  1. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

  2. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 3
Gleichheit vor dem Gesetz

  1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

  2. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

  3. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

GlossarBegriffe zu Transgeschlechtlichkeit

Trans/transgeschlechtlich/transgender
Trans beschreibt alle Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, welches ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde. Nicht immer identifizieren sich trans Menschen mit dem „Gegengeschlecht“. Trans schließt auch nichtbinäre Personen ein, die sich nicht der beiden Geschlechterkategorien „Mann“ oder „Frau“ zuordnen.

Transsexualität
Transsexualität ist in Recht und Medizin ein verbreiteter Begriff für Transgeschlechtlichkeit. Viele trans Personen kritisieren ihn, weil er für psychiatrische Diagnosen verwendet wird. Außerdem legt das Wort nahe, dass es um Sexualität gehe. Transgeschlechtlichkeit bezieht sich jedoch auf die geschlechtliche Identität, nicht auf die sexuelle Orientierung.

Transition
Transition bezeichnet den Zeitraum, in dem sich transgeschlechtliche Menschen in ihrem Alltag an ihr empfundenes Geschlecht annähern. Dies kann bedeuten, den Vornamen zu ändern, einen neuen Kleidungsstil zu tragen, den Geschlechtseintrag anpassen zu lassen, oder gar eine medizinische Transition vorzunehmen durch Hormone und/oder körperverändernde Eingriffe.

Inter/intergeschlechtlich
Intergeschlechtliche Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nicht eindeutig als männlich oder weiblich einordnen lassen. Das kann sich auf die Geschlechtsorgane, die Chromosomen oder die Hormone beziehen.

Erklärungen zu Begriffen wie queer, nichtbinär und weiteren sind im Glossar des Externer Link: Regenbogenportals zu finden.

Neben den Geschlechtsidentitäten „Mann“ und „Frau“ verstehen sich Menschen unter anderem als trans, inter, queer oder nichtbinär. Lange Zeit wurde geschlechtliche Vielfalt ignoriert, als krankhaft angesehen und unterdrückt.

Viele trans- oder intergeschlechtliche Menschen Interner Link: erleben weiter Diskriminierungen, Ausgrenzung und Gewalt. Nach einer Erhebung der EU-Grundrechteagentur im Jahr 2023 gaben rund drei Viertel der befragten trans Personen an, in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten belästigt worden zu sein. Das Bundeskriminalamt zählt die Straftaten gegen trans Menschen in der Kategorie „Geschlechtsbezogene Diversität“: Im Jahr 2023 wurden hier 854 Straftaten registriert, darunter 109 Fälle von Körperverletzung. Der Dachverband der europäischen queeren Organisationen, ILGA Europe, geht davon aus, dass ein Großteil der Straftaten gegen trans Personen der Polizei nicht gemeldet wird.

In den vergangenen Jahren gab es Interner Link: im medizinischen und juristischen Bereich Entscheidungen, die die Position und Sichtbarkeit von trans Personen stärken. Seit 2022 stuft die Weltgesundheitsorganisation „Transsexualität“ in ihrem Krankheitskatalog ICD-11 nicht mehr als psychische Erkrankung ein. Bereits seit 2013 muss bei der Geburt eines Kindes kein Geschlecht in die Geburtsurkunde eingetragen werden, wenn die Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Ins Personenstandsregister wurde 2018 als dritte Geschlechtskategorie „divers“ aufgenommen. Es ist seitdem auch möglich, den Geschlechtseintrag streichen zu lassen.

Das neue Selbstbestimmungsgesetz erleichtert es trans- und intergeschlechtlichen Menschen, das eingetragene Geschlecht und den Vornamen zu ändern. Die Regelungen, die für medizinische Maßnahmen wie Operationen gelten, ändern sich mit dem Selbstbestimmungsgesetz nicht.

Alte Rechtslage: „Transsexuellengesetz“

Bisher war der Wechsel des Geschlechts und ein möglicher Namenswechsel im „Transsexuellengesetz“ (TSG) geregelt. Es wurde 1980 vom Bundestag beschlossen und seitdem stark verändert, da einzelne Vorschriften des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt wurden. Für die Änderung des Vornamens oder des Geschlechts, die sogenannte Personenstandsänderung, musste ein Antrag gestellt werden, über den schließlich ein Gericht entschied. Dabei musste die antragstellende Person nachweisen, dass sie sich nicht mit dem Geschlecht auf ihrer Geburtsurkunde identifiziert sowie seit mindestens drei Jahren und voraussichtlich dauerhaft entsprechend ihrer Prägung lebt. Zwei Sachverständige wurden vom Gericht beauftragt, diese Fragen zu beurteilen.

In einem 2016 vom Bundesfamilienministerium beauftragten Gutachten wird das TSG als „reformbedürftig“ bezeichnet: Es verstoße gegen Grundrechte und die Europäische Menschenrechtskonvention. In seinem Aufbau basiere das Gesetz auf der Vorstellung, dass „Transsexualität“ eine psychische Erkrankung sei und trans Menschen eine chirurgische Angleichung unbedingt durchführen wollten. Beide Annahmen seien inzwischen widerlegt.
Als wichtigste Kritikpunkte nennt das Gutachten:

  • Die Begutachtung durch die Sachverständigen, die von den Betroffenen als entwürdigend und als Eingriff in ihre Privatsphäre wahrgenommen würde.

  • Die hohen Kosten der Verfahren von durchschnittlich über 1.800 Euro.

  • Die lange Dauer der Verfahren von durchschnittlich neun Monaten.


Bis vor wenigen Jahren unterlag ein Wechsel der Geschlechtszugehörigkeit noch höheren Hürden. Diese wurden durch Gerichtsentscheidungen gekippt.

  • 1982 hob das Bundesverfassungsgericht die damalige Altersgrenze von 25 Jahren für den Geschlechtswechsel auf, seit 1983 gibt es auch die Altersgrenze für den Namenswechsel nicht mehr.

  • 2008 kippte es die Regelung, nach der transgeschlechtliche Menschen sich scheiden lassen müssen, um ihr Geschlecht ändern zu dürfen.

  • 2011 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass sich für den Geschlechtswechsel niemand sterilisieren lassen muss oder geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt werden müssen.

  • Seit 2020 dürfen trans Menschen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs auch den Geschlechtseintrag „divers“ wählen oder den Geschlechtseintrag offenlassen. Davor galt die Regelung nur für intergeschlechtliche Personen.

Blick in die GeschichteVerfolgung von trans Menschen in Deutschland

Kaiserreich und Weimarer Republik
Noch im 20. Jahrhundert hinein galten insbesondere trans Frauen für weite Teile der Gesellschaft und Behörden gerade in der westlichen Welt als Homosexuelle. Genau wie diese wurden sie diskriminiert und bestraft. 1871 wurde im gerade gegründeten Kaiserreich Interner Link: der Paragraf 175 im Reichsstrafgesetzbuch eingeführt. Sogenannte „widernatürliche Unzucht“, also Geschlechtsverkehr zwischen Männern, war demnach ab Januar 1872 mit einer Haftstrafe zu ahnden, lesbischer Geschlechtsverkehr war hingegen erlaubt. Grundsätzlich war es ebenfalls erlaubt, die Kleidung des anderen Geschlechts zu tragen. Trotzdem wurden trans Menschen wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ oder „groben Unfugs“ vielfach bestraft. Vor allem in Berlin gelang es trans Menschen, sich während der Interner Link: Weimarer Republik zu vernetzen und eine eigene Subkultur mit Zeitschriften und Lokalen aufzubauen. Behörden stellten in manchen Regionen sogenannte Transvestitenscheine aus. Sie belegten, dass eine Person die Kleider des anderen Geschlechts tragen durfte und als „Transvestit“ bekannt und geduldet war.

NS-Regime
Das NS-Regime verschärfte die Verfolgung von trans Menschen wieder massiv. Gesetzlich verboten war nicht die trans Identität an sich. Stattdessen Interner Link: wurden trans Menschen als Homosexuelle oder Exhibitionisten verfolgt. Das Regime verschärfte den Paragrafen 175 im Jahr 1935: Allein der bloße Verdacht, jemand sei homosexuell, konnte mit zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Schätzungen gehen davon aus, dass während des Nationalsozialismus rund 50.000 Männer aufgrund des Paragrafen 175 inhaftiert und Tausende in Konzentrationslagern ermordet wurden – wie hoch der Anteil an trans Menschen unter den Opfern war, ist nicht bekannt.

Bundesrepublik und DDR
In der Bundesrepublik und der DDR blieben trans Menschen ausgegrenzt und benachteiligt. In der öffentlichen Debatte der DDR kam geschlechtliche Vielfalt nicht vor, Informationen über transgeschlechtliche Identitäten oder medizinische Möglichkeiten des Geschlechtswechsels waren für trans Menschen vor allem nach dem Mauerbau schwer zu finden. Eine Subkultur und Orte der Vernetzung gab es kaum. 1968 erneuerte die DDR das Strafgesetzbuch und Interner Link: erlaubte homosexuelle Handlungen auch unter Männern. Anfragen nach Änderungen des Geschlechtseintrags mussten an das Ministerium für Gesundheitswesen gestellt werden und mit medizinischen Gutachten begründet werden. Erstmals erlaubt wurde dies laut der Psychologin Ulrike Klöppel 1959. 1976 erließ das Ministerium für Gesundheitswesen eine „Verfügung zur Geschlechtsumwandlung von Transsexualisten“, die jedoch kaum bekannt war und nur wenigen Personen weiterhalf.

In der Bundesrepublik wurde in der Psychologie und Chirurgie stärker über Geschlechtswechsel und geschlechtsangleichende Operationen diskutiert – durchgehend wurde „Transvestismus“ und „Transsexualität“ als psychische Störung, Abweichung von der Norm und eine Form der Homosexualität betrachtet. In den 1970er Jahren vernetzten sich trans Menschen zunehmend, schufen Hilfsangebote und forderten mehr Rechte und Anerkennung. Wenige transgeschlechtliche Menschen fanden bis dahin eine geregelte Arbeit, sodass viele sich prostituierten. 1978 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass der Staat es trans Personen ermöglichen müsse, ihr rechtliches Geschlecht und ihren Vornamen ändern zu lassen. Das daraufhin ausgehandelte TSG trat am 1. Januar 1981 in Kraft.

Was ändert sich durch das neue Selbstbestimmungsgesetz?

Künftig kann ein erwachsener Mensch mit einer Erklärung beim Standesamt seinen Geschlechtseintrag und seinen Vornamen ändern. Die Änderung soll ohne teure Gutachten und zeitintensive gerichtliche Verfahren möglich sein. Entscheidend für den Geschlechtseintrag ist, was die antragstellende Person selbst empfindet.

Zwischen Anmeldung und Änderung des Eintrags müssen drei Monate liegen. Eine erneute Änderung ist nach einem Jahr möglich. Frühere Geschlechtseinträge oder Namen dürfen durch das sogenannte Offenbarungsverbot gegen den Willen der Betroffenen in der Regel nicht öffentlich gemacht werden.

Für Menschen, die noch nicht volljährig sind, gelten Einschränkungen. Bei Kindern müssen die Sorgeberechtigten die Erklärung abgeben. Minderjährige über 14 Jahren benötigen die Zustimmung der Sorgeberechtigten – diese kann auch durch das Familiengericht erfolgen.

Zustimmung und Ablehnung

Die Regierungsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie die oppositionelle Linke begrüßten die Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes.

Vertreterinnen und Vertreter der Unionsparteien kritisierten u. a., dass die Schutzfunktion des Staates gegenüber Kindern und Jugendlichen vernachlässigt werde. Auch könnten Kriminelle das Gesetz ausnutzen, um unter neuem Namen unterzutauchen. Insbesondere kritisiert die Union, dass die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag nicht an Sicherheitsbehörden wie Polizei und Verfassungsschutz gemeldet werden soll. Ein früherer Gesetzentwurf sah dies noch vor.

Martin Reichardt von der AfD bezeichnete das Gesetz als „ideologischen Unfug“ und sprach von „Transextremisten“, Sahra Wagenknecht (BSW) kritisierte das Gesetz als „frauenfeindlich“ und wies darauf hin, dass es die Wahlfreiheit im Kriegsfall nicht gebe. Beide äußerten, dass psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen nicht ernst genommen würden und sie stattdessen zu Änderungen ihres Geschlechtseintrags motiviert würden.

Bei Verbänden und Sachverständigen stieß der Entwurf des Gesetzes bei ihrer Anhörung im Bundestag im November 2023 auf Zustimmung und Skepsis. Der Bundesverband Trans* forderte u.a., die Frist bis zur Änderung des Geschlechtseintrags von nun drei Monaten zu streichen. Die Juristin Judith Froese hob hervor, dass Folgeprobleme nicht ausreichend beachtet würden. So gebe das Gesetz Privatpersonen keine Auskunft, nach welchen Kriterien beispielsweise Frauensaunen Gäste ausschließen dürften. Der Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck wies darauf hin, dass Kinder mit Entscheidungen über ihren Geschlechtseintrag überfordert seien.

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