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10. September 1974 : Guinea-Bissau erlangt die Unabhängigkeit | Hintergrund aktuell | bpb.de

10. September 1974 : Guinea-Bissau erlangt die Unabhängigkeit

Redaktion

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Als erste portugiesische Kolonie in Afrika erlangte Guinea-Bissau am 10. September 1974 mit der Anerkennung durch Portugal seine vollständige Unabhängigkeit. Vorausgegangen war ein blutiger Konflikt.

Republikanischer Palast mit Denkmal der Helden des Unabhängigkeitskampfes am Kaiserplatz in Bissau, der Hauptstadt von Guinea-Bissau. (© picture-alliance, imageBROKER | Michael Runkel)

Im September 1974 erlangte Interner Link: Guinea-Bissau die vollständige Unabhängigkeit von seiner Kolonialmacht Interner Link: Portugal. Der portugiesische Einfluss in dem Land an der afrikanischen Westküste, das heute im Norden an den Interner Link: Senegal und im Süden an Interner Link: Guinea grenzt, reicht weit zurück.

Die Region wurde ab dem 15. Jahrhundert zuerst von den Portugiesen kolonisiert, die hier Stützpunkte für den Sklavenhandel aufbauten – insbesondere in der Stadt Cacheu. Portugal war in der Frühphase des Interner Link: Sklavenhandels auf dem afrikanischen Kontinent einer der bedeutendsten Akteure und verschleppte zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert Interner Link: Millionen Menschen nach Nord- und Südamerika.

(© picture-alliance, dpa-infografik)

Lange war die portugiesische Herrschaft über Guinea auf Stützpunkte an der Küste beschränkt. Eine formelle Kolonialherrschaft bildete sich erst Ende des 19. Jahrhunderts heraus. 1879 wurde die Kolonie Portugiesisch-Guinea wurde offiziell gegründet. Das benachbarte Guinea wurde von Frankreich kolonisiert. Der Verlauf der Grenze zwischen beiden Territorien wurde im Nachgang der Berliner Kongokonferenz (1884/85) zwischen Frankreich und Portugal festgelegt. Allerdings dauerte es noch mehrere Jahrzehnte, bis Portugal die volle Kontrolle über sämtliche Gebiete der Kolonie erlangte – ab 1915 kontrollierte es das Festland, 1936 auch den davor liegenden Bissagos-Archipel.

Restriktive Kolonialpolitik des „Estado Novo“

In Portugal putschte 1926 das Militär. 1932 kam António de Oliveira Salazar an die Macht und errichtete eine ständestaatliche Diktatur – den „Estado Novo“. Er war nach der Zugehörigkeit zu Berufsgruppen („Ständen“) organisiert und es gab keine politischen Parteien oder ein demokratisch gewähltes Parlament. Noch als Kolonialminister hatte Salazar im Jahr 1930 das portugiesische Kolonialgesetz entworfen, in dem einerseits der portugiesische Kolonialbesitz gerechtfertigt und andererseits die Kolonien zu einem untrennbaren Bestandteil der portugiesischen Nation erklärt wurden. Allerdings hatten Bewohnerinnen und Bewohner der Kolonien nicht die gleichen Rechte: Das „Eingeborenenstatut“ von 1954, das wiederum auf das Kolonialgesetz aus den 1930er-Jahren zurückging, teilte sie in „Eingeborene“ und „Assimilierte“ ein. Nur Letztere hatten beispielsweise politische Rechte.

Nach dem Interner Link: Zweiten Weltkrieg Interner Link: erstarkten insbesondere in Asien und Afrika Unabhängigkeitsbewegungen, die ihre Gebiete von den europäischen Kolonialmächten loslösen wollten. Während etwa Großbritannien viele seiner Kolonien in friedlichen Prozessen die staatliche Eigenständigkeit zurückgab, verweigerte sich Portugal unter Salazar einem solchen Prozess. In der Folge kam es zu Interner Link: Kolonialkriegen, unter anderem in Angola, Mosambik und auch in Portugiesisch-Guinea.

Gründung der PAIGC

Die bedeutendste Unabhängigkeitsbewegung in der Region war die Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit von Guinea-Bissau und Interner Link: Kap Verde (Partido Africano para a Independência da Guiné e Cabo Verde, PAIGC), die 1956 als gemeinsames Forum für Befürworter einer staatlichen Eigenständigkeit beider Kolonien gegründet wurde. Guinea-Bissau und die Kapverden verband eine gemeinsame politische und kulturelle Geschichte. Die PAIGC orientierte sich an sozialistischen Ideen und wollte die Kolonien als gemeinsamen Staat in die Unabhängigkeit führen. Chef der Bewegung war Interner Link: Amílcar Cabral.

Die anfangs friedliche Unabhängigkeitsbewegung entwickelte sich mit der Zeit zu einer bewaffneten Widerstandsorganisation. Ein Schlüsselereignis war das Pidjiguiti-Massaker. Am 3. August 1959 streikten Hafenarbeiter in der Hauptstadt Bissau für bessere Löhne. Portugiesische Soldaten eröffneten das Feuer auf die Streikenden, etwa 50 Menschen kamen ums Leben. Die PAIGC beschloss daraufhin, sich ins Landesinnere zurückzuziehen und sich auf den bewaffneten Kampf gegen die portugiesische Kolonialherrschaft vorzubereiten. Ab 1961 kam es zu Sabotageaktionen. Zwei Jahre später eröffnete die Unabhängigkeitsbewegung den offenen militärischen Konflikt mit Portugal. Insgesamt starben etwa 15.000 Menschen in diesem Konflikt. PAIGC-Chef Cabral wurde 1973 bei einem Attentat ermordet.

Nelkenrevolution in Portugal und Unabhängigkeit Guinea-Bissaus

In Portugal ging indes die Zeit der Diktatur ihrem Ende entgegen. Salazar starb am 27. Juli 1970 im Alter von 81 Jahren. Vier Jahre später endete die Ära des Estado Novo endgültig. Am 25. April 1974 wurde im staatlichen Radio Portugals das eigentlich verbotene Lied „Grândola, Vila Morena“ gespielt. Es war das zwischen linker Opposition und Militär vereinbarte Signal zum Umsturz. Die Armee besetzte Ministerien und Rundfunkstationen – das Ereignis ging als „Nelkenrevolution “ in die Geschichte ein. In Portugal setzte ein Demokratisierungsprozess ein, Interner Link: der auch das Ende der portugiesischen Kolonialkriege bedeutete.

Zu diesem Zeitpunkt kontrollierte die PAIGC bereits große Teile von Portugiesisch-Guinea. Am 24. September 1973 hatte das Land ohne Rücksprache mit der Kolonialmacht seine Unabhängigkeit erklärt. Am 10. September 1974 erkannte Portugal diesen Schritt an. Das Land nannte sich nun, nach der Hauptstadt, Guinea-Bissau.

Guinea-Bissau und Kap Verde gehen getrennte Wege

Erster Staatspräsident wurde Luís de Almeida Cabral, ein Halbbruder des ermordeten PAIGC-Chefs. Nach der Unabhängigkeit gab es keine freien Wahlen, die sozialistische PAIGC sah sich durch die „Revolution“ und den elfjährigen bewaffneten Kampf um Unabhängigkeit legitimiert, die Macht zu übernehmen. Kap Verde handelte einen separaten Unabhängigkeitsvertrag mit Portugal aus, der 1975 in Kraft trat. In den ersten Jahren herrschte die PAIGC in beiden Ländern, die zwar formell voneinander unabhängig waren, aber de facto vereint geführt wurden. Viele führende Mitglieder der PAIGC kamen aus Kap Verde, so auch die Familie von Cabral. Dagegen regte sich Widerstand in Guinea-Bissau.

Im November 1980 kam es zu einem Staatsstreich. Cabral wurde abgesetzt, die PAIGC blieb jedoch an der Macht. Anders verhielt es sich in Kap Verde: Dort wurde die Partido Africano da Independência de Cabo Verde (PAICV) gegründet, die fortan die Regierung stellte. Beide Länder gingen von nun an getrennte Wege. Kap Verde wandelte sich 1991 zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie und zählt heute im Vergleich zu anderen Sub-Sahara-Staaten zu den wirtschaftlich stärker entwickelten Ländern. Das Interner Link: BIP pro Kopf ist in Kap Verde fast fünfmal so hoch wie in Guinea-Bissau, das heute zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Kap Verde zählt zudem laut verschiedener Indizes zu den demokratischsten Länder Afrikas.

Armut und politische Instabilität

Die politische Lage in Guinea-Bissau blieb weiterhin instabil. Zwar gab es 1994 die ersten freien Präsidentschaftswahlen, bei denen João Bernardo „Nino“ Vieira (PAIGC) zum Staatsoberhaupt gewählt wurde. Vieira wollte Guinea-Bissau in das frankophone Westafrika integrieren. Politische Streitigkeiten über diesen Kurs führten 1998 jedoch zu einem einjährigen Bürgerkrieg. Vieira amtierte später wieder als Präsident und wurde 2009 von Militärangehörigen erschossen. Gegen führende Persönlichkeiten des Staates verhängte die EU 2012 nach einem erneuten Staatsstreich Sanktionen. Nach einer Phase der Stabilisierung erweist sich die Lage im Land in jüngster Zeit erneut als volatil. Der Kurs des aktuellen Präsidenten, Umaro Sissoco Embaló, gilt als zunehmend autoritär. Ihm werden unter anderem Eingriffe in das Justizsystem, ein Aushebeln des Parlaments sowie die Behinderung der Opposition vorgeworfen.

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