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1949: Unterzeichnung der Genfer Konventionen | Hintergrund aktuell | bpb.de

1949: Unterzeichnung der Genfer Konventionen

Redaktion

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Am 12. August 1949 wurden die Genfer Konventionen unterzeichnet. Sie sind Kern des humanitären Völkerrechts. Schwierig bleibt bis heute die Durchsetzung der dort verankerten Prinzipien.

Die Genfer Konventionen sehen den Schutz von Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen vor, die sich nicht oder nicht länger an Kampfhandlungen beteiligen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist das älteste internationale medizinische Hilfsorgan und ein Kontrollorgan des internationalen humanitären Völkerrechts. Hier begleitet das IKRK den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen den Konfliktparteien im Jemen im Jahr 2020. (© picture-alliance/dpa, Wail Shaif)

Was sind die Genfer Konventionen?

Die vier im August 1949 unterzeichneten Interner Link: Konventionen, also zwischenstaatliche Abkommen, entstanden unter dem Eindruck der Geschehnisse des Interner Link: Zweiten Weltkrieges. Sie sind der Kern des humanitären Völkerrechts und sollen im Falle von bewaffneten Konflikten Menschen schützen, die sich nicht oder nicht länger an Kampfhandlungen beteiligen.

  • Erste Genfer Konvention zum Schutz von Verwundeten und Kranken bei bewaffneten Konflikten: Sie sieht für Verwundete, Kranke sowie medizinisches Personal einen besonderen Schutz in kriegerischen Auseinandersetzungen vor. Gleiches gilt für Krankenhäuser und bewegliche Sanitätsstätten. Das Sanitätspersonal, das zur Bergung, zum Transport und zur Pflege von Verwundeten eingesetzt wird, gilt es zu schützen. Als internationales Schutz- und Erkennungszeichen für das Sanitätspersonal wird das farblich umgekehrte Wappen der Schweiz festgeschrieben: ein rotes Kreuz auf weißem Untergrund. Alternativ ist es möglich, einen roten Halbmond oder einen roten Löwen mit roter Sonne als Symbol zu verwenden. Alle Vertragsparteien verpflichten sich, Verstöße gegen die Konvention zu verfolgen und zu ahnden.

  • Zweite Genfer Konvention zum Schutz von Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen bei bewaffneten Konflikten zu See: Analog zur ersten Genfer Konvention wird hier der Umgang mit Verwundeten, Kranken und medizinischem Personal zur See geregelt. Schiffbrüchige dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden. Befinden sie sich unter der Kontrolle einer fremden Partei, sollen sie mit Menschlichkeit behandelt und gepflegt werden. Lazarettschiffe, die medizinisches Versorgungspersonal für hilfsbedürftige Menschen an Bord haben, dürfen nicht angegriffen werden.

  • Dritte Genfer Konvention „über die Behandlung der Kriegsgefangenen“: Sie garantiert den Schutz von Kriegsgefangenen. Als solche werden nicht nur die Angehörigen von regulären Streitkräften definiert, sondern beispielsweise auch Mitglieder von Milizen und organisierten Widerstandsbewegungen (sofern sie als solche gekennzeichnet sind). Auch zivile Personen, die mit den regulären Heeren verbunden sind, genießen Schutz, beispielsweise Kriegsberichterstatter. Kriegsgefangene müssen menschlich behandelt werden. Handlungen, die den Tod oder eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung zur Folge hätten, sind ausdrücklich untersagt. Ferner sind die Gefangenen vor Einschüchterung, Beleidigung und Erniedrigung zu schützen. In der Konvention werden detailliert die Lebensbedingungen geregelt, die für Kriegsgefangene gelten sollen. Etwa müssen Gefangenenlager gewisse Hygienestandards einhalten. Nahrung, Kleidung und medizinisches Personal müssen zur Verfügung gestellt werden.

  • Vierte Genfer Konvention „über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten“: Hier wird Zivilpersonen Schutz zugesprochen, die sich in Gebieten befinden, die von feindlichen Armeen kontrolliert werden. Sie haben Anspruch auf die Achtung ihrer Person, Familienrechte, die Ausübung ihrer Religion und ihrer kulturspezifischen Gebräuche. Explizit sollen Frauen laut dem Abkommen vor Vergewaltigung und Zwangsprostitution geschützt werden. Lieferungen von Medikamenten, Sanitätsmaterial und dringend benötigter Lebensmittel ist Durchlass zu gewähren. Wenn es die nationalen Sicherheitsinteressen eines Staates nicht gefährdet, muss jeder Zivilistin und jedem Zivilisten die Möglichkeit zur Ausreise gewährt werden.

Die vier Genfer Konventionen sind bislang von 196 Staaten ratifiziert worden. Die Bundesrepublik tat dies im Jahr 1954, die DDR im Jahr 1956.

Was besagen die drei Zusatzprotokolle der Genfer Konventionen?

In den folgenden Jahrzehnten wurden drei Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen beschlossen, in denen Bestimmungen festgelegt werden, die als Ergänzung zu den bestehenden Abkommen von 1949 gedacht sind.

  • Erstes Zusatzprotokoll von 1977 „über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte“: In diesem Dokument werden die Regeln der ersten vier Konventionen zu internationalen Konflikten näher definiert beziehungsweise erweitert. So zählen mit diesem Protokoll auch internationale bewaffnete Unabhängigkeitskämpfe gegen Kolonialherrschaften und Selbstbestimmungskämpfe gegen rassistische Regime zu den Konfliktsituationen, bei denen die Genfer Konventionen Anwendung finden sollen. Außerdem werden die Methoden der Kriegsführung eingegrenzt, etwa sollen keine Waffen oder Materialien verwendet werden, die verzichtbares Leid hervorrufen. Auch werden „unterschiedslose Angriffe“ auf die Zivilbevölkerung grundsätzlich untersagt. Dazu zählen unter anderem Angriffe gegen nicht-militärische Ziele oder Angriffe auf militärische Ziele, bei denen die unverhältnismäßige Verwundung von Zivilpersonen oder Zerstörung von zivilen Einrichtungen in Kauf genommen wird. Zusätzlich werden noch Handlungen verboten, die langfristige Umweltschäden verursachen.

  • Zweites Zusatzprotokoll von 1977 „über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte“: Hier wird Artikel 3 ergänzt, der sich in allen vier Genfer Konventionen gleichsam wiederfindet und den humanitären Mindeststandard auch für nicht-internationale Konflikte, also Bürgerkriege, festlegt. Im Zusatzprotokoll finden sich konkrete Schutzbestimmungen: Angriffe auf das Leben oder das geistige und psychische Wohlbefinden von Zivilistinnen und Zivilisten sowie Soldatinnen und Soldaten, die sich bereits ergeben haben, sind untersagt, genauso wie Kollektivstrafen, Geiselnahmen, terroristische Handlungen, Sklaverei oder Plünderung. Für Kinder ist spezielle „Pflege und Hilfe“ vorgesehen. Die Strafverfolgung von kriminellen Handlungen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts darf nur von unabhängigen Gerichten ausgeübt werden.

  • Drittes Zusatzprotokoll von 2005 „über die Annahme eines zusätzlichen Schutzzeichens“: Die Unterzeichnerstaaten etablieren ein neues Schutzzeichen, das neben dem roten Kreuz, dem roten Halbmond und dem roten Löwen gilt: eine rote Raute mit weißem Innenbereich. Damit soll eine Externer Link: Alternative zu Symbolen mit religiösen, kulturellen oder politischen Bedeutungen geschaffen werden.

Die ersten beiden Zusatzprotokolle wurden bislang von 174 beziehungsweise 169 Staaten ratifiziert, das dritte von 79 Staaten. Deutschland hat alle drei Zusatzprotokolle ratifiziert.

Sind die Genfer Konventionen bindend?

Alle Staaten, die die Genfer Konventionen ratifiziert haben, sind völkerrechtlich an die Bestimmungen gebunden. AllerdingsInterner Link: fehlt es bis heute an Mitteln zur Durchsetzung der Regeln, wenn es in bewaffneten Konflikten zu Verstößen gegen die Abkommen kommt.

Verschiedene Mechanismen, die mit den Genfer Konventionen etabliert wurden und die bei der Durchsetzung der Bestimmungen helfen könnten, werden heute kaum noch angewandt: Das betrifft beispielsweise die Ernennung von neutral agierenden Schutzmächten, die die Interessen der beiden Konfliktparteien wahrnehmen und dabei die Einhaltung des humanitären Völkerrechts überwachen oder die Einschaltung der Internationalen Humanitären Ermittlungskommission. Letztere besteht aus 15 Expertinnen und Experten und hat ihren ständigen Sitz in Bern. Die Kommission kann jedoch nur dann gegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts ermitteln, wenn alle Konfliktparteien zustimmen.

Auch der Interner Link: Internationale Strafgerichtshof (IStGH) erkennt schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle als Kriegsverbrechen an. Dabei gilt das Weltrechtsprinzip, was bedeutet, dass auch Verstöße gegen das Völkerrecht, die nicht auf dem eigenen Territorium stattfinden, strafrechtlich verfolgt werden können. Der IStGH kann allerdings nur dann tätig werden, wenn sich das Verbrechen auf dem Staatsgebiet eines Vertragsstaates des Römischen Statuts ereignete, der mutmaßliche Täter die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates hat oder der Staat die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anerkennt. Unter anderem die USA, Russland und China haben das Interner Link: Römische Statut nicht ratifiziert.

Was ist die Vorgeschichte der Genfer Konventionen von 1949?

Die Geschichte des humanitären Völkerrechts ist eng mit den Aktivitäten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) verknüpft. Dessen Gründer, Henri Dunant, wurde 1859 Zeuge der Schlacht von Solferino im Sardinischen Krieg zwischen dem Kaiserreich Österreich auf der einen und dem Königreich Sardinien und dem französischen Kaiserreich auf der anderen Seite. Später formulierte er die Idee zur Gründung einer internationalen Hilfsgesellschaft für Verwundete ungeachtet ihrer Herkunft. Im Jahr 1863 wurde das IKRK formell gegründet. Noch im Oktober des gleichen Jahres kamen in Genf Vertreter von 16 Staaten zusammen, die über eine Verbesserung der Versorgung von verwundeten Soldaten berieten. Im Jahr 1864 beschlossen zwölf Staaten – auf Basis der Beratungen im Jahr zuvor – das Genfer Abkommen, das erstmals den Schutz von Verwundeten, die Neutralität des Sanitätspersonals sowie das rote Kreuz als Schutzzeichen für das Sanitätspersonal festschrieb. An diesem Dokument orientierte sich die heutige erste Konvention.

Ohne Beteiligung des IKRK kam es zwischen 1899 und 1907 zu den Haager Friedenskonferenzen und der Erweiterung des humanitären Völkerrechts. In den Interner Link: Haager Abkommen wurden verschiedene Vereinbarungen zur Kriegsführung getroffen. Das X. Haager Abkommen gilt als Vorlage für die zweite Genfer Konvention und wurde von dieser abgelöst.

1925 und 1929 wurde – durch die Erfahrungen des Interner Link: Ersten Weltkriegs bedingt – das humanitäre Völkerrecht weiterentwickelt. Das Genfer Protokoll von 1925 verbot den Einsatz chemischer und biologischer Waffen. Im Jahr 1929 wurde das Genfer Abkommen „über die Behandlung von Kriegsgefangenen“ verabschiedet; dieses gilt als Vorläufer der dritten Genfer Konvention.

Den 1949 verabschiedeten Genfer Konventionen ging eine Diplomatenkonferenz voraus, auf der das Völkerrecht vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs diskutiert wurde.

Wie ist das humanitäre Völkerrecht in Deutschland verankert?

Deutschland verpflichtet sich seit der Ratifizierung der Genfer Konventionen im Jahr 1954 zur Verfolgung von schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und zur Auslieferung von den verantwortlichen Personen.

2002 wurde in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch verabschiedet. Damit können Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression auch von deutschen Ermittlungsbehörden verfolgt werden. Zuständig ist der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Mit einer Reform des Völkerstrafgesetzbuches wurden im Juli 2024 bestehende Lücken, etwa die Ahndung von Formen der sexuellen Gewalt oder die Anwendung bestimmter neuer Waffentechnologien, in der Rechtsprechung geschlossen. Zusätzlich wurden die Opferrechte gestärkt: Bei Kriegsverbrechen haben Betroffene künftig die Möglichkeit, als Nebenklägerin beziehungsweise Nebenkläger aufzutreten.

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