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30. Juni und 7. Juli 2024: Vorgezogene Parlamentswahlen in Frankreich | Hintergrund aktuell | bpb.de

30. Juni und 7. Juli 2024: Vorgezogene Parlamentswahlen in Frankreich

Redaktion

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Nachdem Präsident Emmanuel Macron überraschend die Nationalversammlung aufgelöst hat, finden in Frankreich vorgezogene Parlamentswahlen statt. Umfragen sehen die Rechtspopulisten klar in Führung.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wendet sich am 9. Juni 2024 nach den Ergebnissen der Europawahlen im Fernsehen an das französische Volk. Er kündigt die Auflösung der Nationalversammlung an und ruft zu Neuwahlen in Frankreich auf. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Adrien Fillon)

Am Abend der Interner Link: Europawahl vom 9. Juni 2024 verkündete Frankreichs Präsident Interner Link: Emmanuel Macron überraschend Interner Link: die Auflösung der Nationalversammlung und setzte vorgezogene Neuwahlen an. Es ist das erste Mal seit 27 Jahren, dass ein Präsident zu diesem Mittel greift. Die Wahlen sollen in zwei Runden am 30. Juni und am 7. Juli stattfinden. Rechte Parteien sind bei der Europawahl in Frankreich auf knapp 40 Prozent der Stimmen gekommen. Das Parteienbündnis Besoin d’Europe, zu dem auch Macrons Partei Renaissance bei der Europawahl gehörte, musste dagegen eine Interner Link: schwere Niederlage hinnehmen (knapp 15 Prozent). Macron begründete die Auflösung der Nationalversammlung damit, dass er der französischen Bevölkerung die politische Grundsatzentscheidung über die parlamentarische Zukunft des Landes in die Hände legen wolle. Durch die Mobilisierung aller übrigen politischen Kräfte versucht er zudem, sich erneut als Bollwerk gegen den Extremismus darzustellen und den wachsenden Einfluss des rechtspopulistischen bis rechtsextremen Interner Link: Rassemblement National einzudämmen.

Wofür steht Artikel 12 der Verfassung?

Artikel 12 der französischen Verfassung von 1958 gibt Interner Link: dem Präsidenten das Recht, nach Beratungen mit dem Premierminister und den Präsidenten der beiden Parlamentskammern die Nationalversammlung aufzulösen. Neuwahlen können frühestens 20 Tage nach der Auflösung des Unterhauses stattfinden, müssen aber spätestens 40 Tage nach der Entscheidung erfolgen. Bereits am zweiten Donnerstag nach der Wahl muss die Nationalversammlung sich neu konstituieren. Für den Zeitraum von zwölf Monaten nach der Wahl ist eine erneute Auflösung der Nationalversammlung nicht möglich.

Die Interner Link: französische Verfassung gewährt dem Staatsoberhaupt damit Befugnisse, die es in dieser Form in Deutschland nicht gibt. Weder der Bundeskanzler noch der Bundespräsident haben die Möglichkeit, initiativ und durch eigene Entscheidung den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Das Verfahren hierzulande ist komplexer und wurde zuletzt 2005 unter der Regierung von Gerhard Schröder angewandt: Laut Artikel 68 des Grundgesetzes kann der Bundeskanzler im Bundestag die Interner Link: Vertrauensfrage stellen. Erhält er dabei nicht die Mehrheit der Stimmen, darf er dem Bundespräsidenten vorschlagen, binnen 21 Tagen den Bundestag aufzulösen. Wählt der Bundestag binnen dieser Frist einen neuen Kanzler, erlischt das Recht. Entscheidet sich der Bundespräsident nach Ablauf dazu, den Bundestag aufzulösen, finden Neuwahlen statt.

In Frankreich ist es vor allem in den 1960er- und 1980er-Jahren häufiger vorgekommen, dass sich der Präsident mit den durch Artikel 12 gewährten Rechten zu einer Auflösung der Nationalversammlung entschieden hat. Bisher ist das insgesamt sechsmal geschehen: 1962, 1968, 1981, 1988, 1997 und nun im Jahr 2024. In Frankreich ist es unstrittig, dass der Präsident in Fällen tatsächlicher oder möglicher Krisen das Recht hat, diesen Schritt zu gehen (Checks and Balances). Das betrifft politische Sonderlagen: So beispielsweise die Krisen unter Interner Link: Charles De Gaulle um das Referendum zur Direktwahl des Präsidenten 1962 und die Interner Link: Pariser Studentenrevolte 1968.

Aber auch der Fall einer Interner Link: „Cohabitation“ stellt einen legitimen Grund für die Auflösung der Nationalversammlung dar. Darunter versteht man den Fall, dass Regierung und Präsident aus zwei unterschiedlichen politischen Lagern kommen. Weil das semipräsidentielle Regierungssystem dem Staatsoberhaupt gewisse exekutive Rechte einräumt – so ist der französische Präsident laut Artikel 15 Oberbefehlshaber der Streitkräfte und verhandelt laut Artikel 52 Staatsverträge mit anderen Ländern – kann sich eine Cohabitation lähmend auf die französische Politik auswirken.

Strittig ist, ob der Präsident von Artikel 12 Gebrauch machen kann, um aus politischen Gründen Neuwahlen herbeizuführen. Das war beispielsweise 1997 der Fall, als Präsident Interner Link: Jacques Chirac mit den Wahlen ein Mandat für seine Europapolitik erhalten wollte. Macrons Entscheidung für die Neuwahlen im Jahr 2024 hat einen anderen Ursprung: Seine Partei Renaissance und ihr Bündnis Ensemble hatten nur eine relative Mehrheit in der alten Nationalversammlung. Die Regierungsarbeit wurde dadurch bereits in den vergangenen Monaten zusehends schwieriger.

Wie wird gewählt?

Die Nationalversammlung (Interner Link: „Assemblée nationale“) ist das Unterhaus des französischen Parlaments. Sie hat laut Artikel 24 der französischen Verfassung maximal 577 Sitze, was der Zahl der Wahlkreise entspricht. Gewählt wird nach dem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen. In der ersten Runde erhalten jene Kandidaten Sitze in der Nationalversammlung, die eine absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen und mindestens 25 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigter in ihrem Wahlkreis erhalten haben. Ist eine zweite Runde erforderlich, treten jeweils die beiden Erstplatzierten sowie sämtliche Kandidaten noch einmal an, für die mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten gestimmt haben. Es gewinnt derjenige Kandidat, der die meisten Stimmen auf sich vereinen kann. Das Wahlalter liegt bei 18 Jahren.

Wer tritt zur Wahl an?

Um die Chancen im Mehrheitswahlrecht zu vergrößern, treten Parteien in Frankreich oft in Bündnissen an.

Die Partei Renaissance (RE) von Präsident Macron ist auf nationaler Ebene Teil des Bündnisses Externer Link: Ensemble (Langform: : Ensemble pour la République, dt.: Gemeinsam für die Republik), zu dem außerdem noch eine ganze Reihe kleinerer liberaler und zentristischer Parteien gehören: Mouvement Démocrate (MoDem), Horizons (HOR), die Parti radical (PR) und die Union des démocrates et indépendants (UDI). Das Bündnis steht für die Fortsetzung der liberalen und pro-europäischen Politik von Emmanuel Macron.

Im linken Spektrum hat sich ein neues Bündnis gebildet: die Externer Link: Nouveau Front Populaire (NFP, dt.: Neue Volksfront). Das Bündnis bildet ein ganzes Spektrum an Parteien ab, die eine zentristische, linke, grüne und linkspopulistische Politik verfolgen. Dazu gehören die sozialdemokratische Parti Socialiste (PS), die linkspolitische und EU-skeptische Partei La France Insoumise (LFI), die grüne Partei Les Écologistes (EELV), die eurokommunistische Parti Communiste Français (PCF) sowie diverse Kleinstparteien, die als Partner antreten.

Der rechtspopulistische Externer Link: Rassemblement National (RN, dt.: Nationaler Zusammenschluss, bis 2018: Front National) geht ohne Bündnispartner ins Rennen. Parteivorsitzender ist seit 2022 Jordan Bardella, zuvor hatte Marine Le Pen dieses Amt inne. Der RN vertritt rechtsnationale, EU-kritische und pro-russische Positionen.

Schließlich gibt es noch die gaullistische Partei Externer Link: Les Républicains (LR, dt.: Die Republikaner, bis 2015: UMP). Sie vertritt liberal-konservative Positionen. Ihre gemäßigten Repräsentanten plädieren für eine gaullistische Politik und sind gegen Zugeständnisse an Renaissance oder den RN. Parteipräsident Éric Ciotti und seine Unterstützer wollen ihrerseits ein Rechtsbündnis mit dem RN bilden, weshalb Ciotti ein Parteiausschluss droht. Aufgrund der Spaltung der Partei gibt es bisher kein offizielles Wahlprogramm.

Was sind die Themen im Wahlkampf?

Derzeit wird die Debatte von Macrons überraschender Entscheidung für Neuwahlen durch den möglichen Sieg der Rechtspopulisten vom RN geprägt. Am 15. Juni demonstrierten landesweit Hunderttausende Menschen gegen einen möglichen Rechtsruck in Frankreich.

Der RN will das erhöhte Migrationsaufkommen, irreguläre Einwanderung sowie Kriminalität eindämmen, die Sicherheit erhöhen und die Interner Link: Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger stärken. Die NFP gibt als Ziel an, den Rechtsruck zu verhindern, sowie demokratische, ökologische, soziale und friedenspolitische Problemlagen anzugehen. So soll beispielsweise der Mindestlohn erhöht, die umstrittene Rentenreform zurückgenommen und die Reform der Arbeitslosenversicherung ausgesetzt werden. Das Bündnis Ensemble, das sich allem voran für die Fortführung der Politik Macrons einsetzt, wirft der linken Koalition wie auch den Rechten extremistische Tendenzen vor. Ensemble setzt im Gegensatz auf Einsparungen im Haushalt, eine CO2-freie Energieversorgung und eine medizinische Grundversorgung.

Wer liegt in den Umfragen vorn?

Derzeit liegt der RN in den Umfragen klar vorn. Die Rechtspopulisten könnten demnach auf bis zu 35 Prozent der Stimmen kommen. Die linke NFP käme klar dahinter auf Platz zwei, mit einem Stimmenanteil von bis zu 29 Prozent. Wie groß letztlich der Abstand zwischen RN und NFP ist, könnte einen entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang haben: Denn je mehr Sitze sich die Partei von Jordan Bardella bereits im ersten Wahlgang sichern kann – indem sie mehr als die Hälfte der Stimmen in einem gegebenen Wahlkreis erhält – desto geringer fallen die Möglichkeiten der übrigen Parteien aus, bei der Stichwahl im zweiten Wahlgang die Wählerschaft gegen den RN zu mobilisieren. Das Parteienbündnis Ensemble um Präsident Macron kommt den Demoskopen zufolge derzeit lediglich auf bis zu 20 Prozent und könnte als drittstärkste Kraft im französischen Mehrheitswahlsystem signifikant an Einfluss verlieren. Macron bleibt bis 2027 Präsident, doch seine Präsidentschaft würde stark geschwächt, sollte eine andere Partei den Premierminister stellen, der auch das gesamte Regierungskabinett neu besetzen könnte.

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