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Georgien: Das Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme | Hintergrund aktuell | bpb.de

Georgien: Das Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme

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Wochenlang wurde in Georgien gegen ein Gesetz protestiert, das Medien und NGOs stärker kontrollieren soll. Das Gesetz trat Anfang Juni 2024 in Kraft und verschlechtert die Beziehungen des Beitrittskandidaten zur EU.

Demonstrierende tragen georgische Nationalflaggen und EU-Flaggen während einer Protestaktion der Opposition gegen das „russische Gesetz“ im Zentrum von Tiflis, Georgien, am 14. Mai 2024. (© picture-alliance/AP, Shakh Aivazov)

Was bedeutet das georgische Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme?

Das Gesetz sieht vor, dass Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanzieren, behördlich registrieren lassen müssen. In ihrer Akte wird dann festgehalten, dass sie „Interessen ausländischer Mächte“ verfolgen. Mit dem Gesetz kann das Justiz- und Finanzministerium ohne zusätzlichen Gerichtsbeschluss Informationen von NGOs und Personen, die mit ihnen zusammenarbeiten, einfordern. Die georgische Regierung begründet das Gesetz mit einer höheren Transparenz. Verstöße werden mit Geldbußen geahndet. Letztlich könnte die daraus resultierende finanzielle Lage zur Schließung der Organisationen führen. Die Interner Link: Venedig-Kommission des Europarates kam in einem Externer Link: veröffentlichten Gutachten zu dem Schluss, dass das Gesetz auch NGOs und Medien mit nur geringer Finanzierung aus dem Ausland stigmatisieren und an ihrer Arbeit hindern könnte. Besonders gefährdet seien dabei jene, die dem politischen Kurs der Regierung kritisch gegenüberstehen.

Am 14. Mai 2024 wurde das Gesetz vom georgischen Parlament mit 84 Jastimmen bei 30 Gegenstimmen verabschiedet. Während einer Plenarsitzung, bei der es um das umstrittene Gesetzesvorhaben ging, kam es Tage zuvor zu einer Schlägerei zwischen Oppositionellen und Regierungsmitgliedern. Georgiens Staatspräsidentin Salome Surabischwili, die als pro-europäisch gilt und die 2018 mit Unterstützung der Regierungspartei in ihr Amt kam, legte ihr Veto gegen das Gesetz ein, wurde aber am 28. Mai mit der Parlamentsmehrheit der Regierung überstimmt.

Warum protestieren viele Menschen in Georgien gegen das Gesetz?

Zehntausende Menschen gingen im Vorfeld der Verabschiedung zum Protest auf die Straße. Kritikerinnen und Kritiker sehen in dem Gesetz den Versuch, ein sogenanntes Interner Link: Agentengesetz nach russischem Vorbild einzuführen. In Russland können seit 2012 NGOs, Medien oder Einzelpersonen, die Geld aus anderen Ländern bekommen oder vermeintlich unter dem Einfluss aus dem Ausland stehen, zu Interner Link: „ausländischen Agenten“ erklärt werden. Beispielsweise müssen in Russland Online-Medien sowohl auf der Startseite als auch bei jedem einzelnen Artikel gut sichtbar offenlegen, dass sie den Agentenstatus haben. Verstöße werden mit Geldbußen bestraft. Faktisch dient das Gesetz dem autoritären russischen Staat dazu, kritische Organisationen und Medien zu kontrollieren und ihnen die Existenzgrundlage zu entziehen.

2023 wurde ein fast identischer Gesetzesentwurf zum jetzigen von der regierenden Partei „Georgischer Traum“ vorgelegt. Damals wurde das Vorhaben nach Protesten zurückgezogen. Ein Jahr später brachte die Partei „Georgischer Traum“ das Gesetz erneut ins Parlament ein. Mit dessen Verabschiedung bewegt sich Georgien in den Augen von Kritikerinnen und Kritikern hin zu einem System mit autokratischen Elementen nach russischem Vorbild. Die Opposition befürchtet die zunehmende Kontrolle der Zivilgesellschaft durch die Regierung und eine Externer Link: Belastung der Beziehungen des Beitrittskandidaten zur Europäischen Union. Im Oktober 2024 stehen Parlamentswahlen in Georgien an; die Demonstrierenden kündigten an, die Proteste bis zur Wahl fortzuführen zu wollen. Zugleich bildete sich um die Präsidentin Surabischwili eine proeuropäische Opposition, die nach einem Wahlsieg im Herbst demokratische Reformen anstoßen und den proeuropäischen Kurs wiederaufnehmen möchte.

Wie ist Georgiens Verhältnis zu Russland?

Georgien hat sich am 9. April 1991 für Interner Link: unabhängig von der Sowjetunion erklärt. Etwas mehr als zweieinhalb Jahre später trat Georgien der von Moskau initiierten Interner Link: Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) bei.

Innerhalb Georgiens sorgten die von Moskau unterstützten Separatistinnen und Separatisten in Südossetien und Abchasien für Konfliktpotenzial. Im Sommer 2008 intervenierte die russische Armee auf georgischem Staatsgebiet und drang dabei auch auf Gebiete außerhalb der Separatistengebiete vor. Dieser Interner Link: Kaukasuskrieg führte zu einem Bruch zwischen beiden Ländern. In Folge brachen die beiden Staaten ihre diplomatischen Beziehungen ab. Georgien trat nach dem einjährigen Austrittsprozess im Jahr 2009 aus der GUS aus. Interner Link: Südossetien und Abchasien sind seit Kriegsende Interner Link: von Russland gestützte De-facto-Staaten. Georgien hat über diese abtrünnigen Gebiete keine Kontrolle mehr.

Die von der Partei „Georgischer Traum“ geführte Regierung hat sich in den vergangenen Jahren wieder schrittweise Russland angenähert. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern intensivieren sich. Nach einigen Jahren gibt es seit Mai 2023 wieder direkte Flüge zwischen den Nachbarstaaten. Außerdem hat die russische Regierung Visabestimmungen für georgische Staatsbürger abgeschafft. Die Proteste gegen das nun beschlossene Gesetz zeigen jedoch, dass große Teile der georgischen Zivilgesellschaft an einem prowestlichen Kurs festhalten wollen.

Welche Rolle spielt Ex-Premier Iwanischwili in der georgischen Politik?

Bidsina Iwanischwili ist nicht nur einer der wohlhabendsten Männer Georgiens, sondern auch einer der einflussreichsten politischen Akteure des Landes. Er hat sein Geld größtenteils in Russland verdient und gründete im Jahr 2011 die Partei „Georgischer Traum“, die sich seinerzeit als Oppositionskraft gegen den damals amtierenden Staatspräsidenten Micheil Saakaschwili etablierte. Ab 2012 war Iwanischwili für kurze Zeit Ministerpräsident, zog sich dann formell aus der Politik zurück. Allerdings gilt er weiterhin innerhalb der von ihm finanzierten Partei als mächtiger Strippenzieher. Bei einer seiner seltenen politischen Reden unterstützte Iwanischwili Ende April 2024 das damals noch nicht beschlossene Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme.

Wie ist Georgiens Verhältnis zur EU?

Die Partei „Georgischer Traum“ führte zunächst den euroatlantischen Kurs der Vorgängerregierung fort und führte Georgien an EU und NATO heran. Georgien hat 2022 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt. Seit Dezember 2023 hat der Staat den Status eines Bewerberlandes – unter der Voraussetzung, dass Georgien verschiedene politische Maßnahmen umsetzt. Dazu gehören Garantien auf freie und faire Wahlen, Reformen des Justizsystems sowie der Kampf gegen Korruption und politische Polarisierung.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Transparenz ausländischer Einflussnahme rückt Georgien von der Umsetzung der Aufnahmebedingungen ab. Der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell ließ verlauten, dass sich die Verabschiedung des Gesetzes negativ auf die Fortschritte Georgiens auf dem Weg zum EU-Mitglied auswirke.

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