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23.07.2023: Parlamentswahl in Spanien | Hintergrund aktuell | bpb.de

23.07.2023: Parlamentswahl in Spanien

Redaktion

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Am 23. Juli 2023 wählte Spanien ein neues Parlament. Die eigentlich für Dezember geplanten Wahlen wurden von den regierenden Sozialdemokraten vorgezogen. Stärkste Partei wurde die konservativ-christdemokratische PP, die absolute Mehrheit hat sie jedoch nicht erreicht.

Das spanische Abgeordnetenhaus in Madrid. (© picture-alliance, imageBROKER / Boensch, B.)

Gewinner der Wahl ist die konservativ-christdemokratische Partido Popular (PP) mit 33,05 Prozent. Sie erhält im Abgeordnetenhaus 136 der insgesamt 350 Sitze und damit 47 mehr als bei den vorangegangenen Wahlen im Jahr 2019. Auch die bisher stärkste Partei Partido Socialista Obrero Español (PSOE) gewinnt zwei Sitze hinzu und kommt nun auf 122 Sitze (31,70 Prozent). Starke Einbußen verzeichnet die rechtspopulistische bis rechtsextreme Partei Vox. Sie verliert 19 Sitze und verfügt nun über 33 Sitze (12,39 Prozent) im Abgeordnetenhaus. Die links-grüne Bewegung Sumar erhält bei ihrer ersten Wahl 31 Sitze (12,31 Prozent). Der neugegründeten Partei hatte sich die bisherige Regierungspartei Podemos angeschlossen, die bei der vorherigen Wahl auf 35 Sitze kam.

Für die Bildung einer Regierung sind das schwierige Voraussetzungen. Keine Partei erreicht die absolute Mehrheit. Auch eine Zweier-Koalition ist mit Ausnahme einer großen Koalition aus PP und PSOE nicht möglich. Weder das im Wahlkampf diskutierte rechts-konservative Bündnis bestehend aus PP und Vox noch eine linke Koalition aus PSOE und Sumar würden die Mehrheit von 176 Mandaten im Abgeordnetenhaus erreichen. Die Wahlbeteiligung lag mit 70,4 Prozent höher als 2019. Damals wählten 66,2 Prozent der Berechtigten.

Wer regierte bisher?

Bisher wurde Spanien von einer Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) und der linken Gemeinschaftsliste Unidas Podemos (UP) regiert. Beide Parteien verfügten im Abgeordnetenhaus über keine eigene Mehrheit und werden von Kleinparteien wie der linken katalanischen Regionalpartei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) toleriert. Ministerpräsident ist seit 2018 Interner Link: Pedro Sánchez (PSOE).

Interner Link: Die vorangegangenen Wahlen zum spanischen Parlament fanden am 10. November 2019 statt. Es waren ebenfalls vorgezogene Neuwahlen, da nach der Interner Link: Wahl zum Abgeordnetenhaus am 28. April 2019 keine neue Regierung gebildet werden konnte. Die Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Sánchez wurde nach Koalitionsgesprächen im Januar 2020 mit zwei Stimmen Mehrheit ins Amt gewählt. Bei den Lokal- und Regionalwahlen Ende Mai 2023 musste die regierende PSOE in ihren Hochburgen erhebliche Stimmenverluste hinnehmen. Stärkste Partei wurde die konservative spanische Volkspartei (Partido Popular, PP). Sie ist aber bei der Regierungsbildung in den Regionen oft auf die Stimmen der rechtspopulistische Partei Vox angewiesen. Der kleinere Regierungspartner Unidas Podemos (UP) verlor bei den Regionalwahlen deutlich an Zustimmung: In Madrid, wo die Bewegung Podemos einst entstanden war, schaffte sie es nicht einmal mehr ins Regionalparlament.

Ministerpräsident Pedro Sánchez übernahm nach den Lokal- und Regionalwahlen im Mai die Verantwortung für das schlechte Abschneiden der Koalitionsparteien. Er löste ein halbes Jahr vor Ende der Legislaturperiode das Parlament auf. Damit waren vorzeitige Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus und Senat nötig.

Das politische System Spaniens

Spanien ist eine parlamentarische Monarchie, das Staatsoberhaupt ist seit 2014 Interner Link: König Felipe VI. Das spanische Parlament, die Cortes Generales, besteht aus zwei Kammern: dem Abgeordnetenhaus (Congreso de los Diputados) und dem Senat (Senado). Beide werden am 23. Juli neu gewählt. Das Wahlalter liegt bei 18 Jahren.

Das Abgeordnetenhaus ist die bedeutendere Parlamentskammer, da es den Ministerpräsidenten wählt und auch bei der Gesetzgebung das letzte Wort hat. Das Abgeordnetenhaus hat 350 Sitze, die nach den Regeln des Verhältniswahlrechts vergeben werden. Eine Legislaturperiode dauert vier Jahre. Als Wahlkreise dienen die 50 spanischen Provinzen, die gemäß ihrer Bevölkerungsgröße eine bestimmte Anzahl an Abgeordneten entsenden. Dabei muss eine Mindestquote erfüllt werden: Jeder Wahlkreis entsendet wenigstens zwei Abgeordnete. Eine Ausnahme stellen nur die spanischen Exklaven in Nordafrika, Ceuta und Melilla, mit jeweils einem Abgeordneten dar. Die Wahl erfolgt über Parteilisten in den jeweiligen Wahlkreisen. Die Verteilung der Sitze geschieht bereits auf Provinzebene, hier gilt eine Dreiprozenthürde. Hierdurch sind große Parteien und Parteien mit einem regionalen Schwerpunkt im Vorteil, da sie es einfacher haben, die teils wenigen Sitze in den Provinzen zu gewinnen. Durch die Mindestquote von zwei Abgeordneten pro Wahlkreis sind die bevölkerungsärmeren Provinzen zudem überrepräsentiert.

Die zweite Kammer, der Senat, ist die Vertretung der Regionen. Er hat aktuell 266 Mitglieder. Davon werden 208 per Mehrheitswahl direkt vom Volk gewählt. Jede Festlandprovinz entsendet vier Senatoren, die spanischen Inseln und Exklaven entsprechend ihrer Größe weniger. Die übrigen Senatoren werden von den Parlamenten der Autonomen Gemeinschaften nach Bevölkerungsgröße ernannt.

Wer trat zur Wahl an?

Die PSOE wurde bereits im 19. Jahrhundert gegründet und gilt als älteste Partei Spaniens. Obwohl sie sich "sozialistische Arbeiterpartei" nennt, vertritt sie einen sozialdemokratischen Mitte-Links-Kurs. Generalsekretär und Parteivorsitzender der PSOE ist der derzeit amtierende Ministerpräsident Pedro Sánchez. 2019 war die Partei mit 28 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden.

Stärkste Oppositionskraft ist die konservativ-christdemokratische PP. Ihr Vorsitzender ist Alberto Núñez Feijóo. Die PP lag in den Umfragen klar vorn. Ähnlich wie in Deutschland waren Sozialdemokraten und Christdemokraten über Jahrzehnte die maßgeblichen politischen Kräfte im Land. Meist regierte eine dieser Parteien sogar mit absoluter Mehrheit. Geändert hat sich das im Wesentlichen erst mit der Parlamentswahl im Jahr 2015, als linke, regionalistische und später auch rechte Kräfte an Einfluss gewannen.

Die linkspopulistische Partei Podemos wurde 2014 in Madrid gegründet. Sie war bisher in der Minderheitsregierung unter Führung der PSOE vertreten, hat aber in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung verloren. Sie trat bei den Parlamentswahlen am 23. Juli nicht mehr mit einer eigenen Liste an. Stattdessen schloss sich Podemos der neuen links-grünen Bewegung Sumar an. Die Neugründung dieser Partei unter der Führung von Arbeitsministerin Yolanda Díaz ist der Versuch, ein neues Sammelbecken für die Anhänger linker Politik zu etablieren.

Bereits 2013 wurde die rechtspopulistisch bis rechtsextreme Partei Vox gegründet – als Abspaltung von der konservativen PP. In den ersten Jahren war Vox auf nationaler Ebene bedeutungslos. Das änderte sich erst mit der Parlamentswahl im April 2019, als die Partei auf mehr als zehn Prozent der Stimmen kam. Vorsitzender von Vox ist Santiago Abascal. Bei der letzten Wahl hatte Vox ein Ergebnis von 15,1 Prozent erzielt.

Hinzu kamen mehrere kleinere Parteien, die meist regionale Wurzeln haben. Sie konnten mit einigen Mandaten rechnen, da die Dreiprozenthürde nicht national, sondern jeweils pro Wahlkreis gilt. So ziehen auch die katalonischen Esquerra Republicana de Catalunya mit sieben Sitzen und die Junts per Catalunya mit sechs Sitzen, sowie die baskischen Euskal Herria Bildu mit sechs Sitzen, die Eusko Alderdi Jeltzalea-Partido Nacionalista Vasco mit fünf Sitzen und der galizische Bloque Nacionalista Galego mit einem Mandat in das Abgeordnetenhaus ein.

Eine Besonderheit des spanischen Parteiensystems ist die weitgehende Abwesenheit von liberalen Parteien im politischen Spektrum. Die liberale katalanische Partei Ciudadanos, die bei der Parlamentswahl im April 2019 noch fast 16 Prozent der Stimmen gewinnen konnte, ist mittlerweile weitgehend bedeutungslos geworden und trat zur Parlamentswahl nicht an.

Die Macht der Regionen in Spanien

Mit dem Ende der Franco-Diktatur 1977 zeichnete sich ab, dass ein neuer Status für die Regionen gefunden werden musste, insbesondere für die historischen Gemeinschaften Baskenland, Galicien und Katalonien. Schon in der spanischen Verfassung wurde hier ein Grundkonflikt angelehnt: einerseits wurde dort das Recht der Autonomie für Nationalitäten und Regionen verankert, andererseits bekräftigt die Verfassung die „unauflösliche Einheit der spanischen Nation“.

Die Provinzen Spaniens bekamen nun das Recht, sich zu autonomen Gemeinschaften zusammenzufinden. Heute gibt es 17 von ihnen. Welche Kompetenzen diese Gemeinschaften hatten, unterschied sich zunächst stark. Erst Anfang der 2000er Jahre wurden die Rechte der autonomen Gemeinschaften angeglichen. Dennoch gibt es weiterhin Unterschiede. So verfügen das Baskenland und Katalonien beispielsweise über eine autonome Polizei. Das Baskenland und Navarra wiederum müssen nicht am Ausgleichsystem teilnehmen, das finanzielle Unterschiede zwischen den Regionen verringern soll. Gemein haben die autonomen Gemeinschaften, dass die Bevölkerung der jeweiligen Gemeinschaft ein Parlament wählt, das wiederum für einen Regierungschef votiert.

In den letzten Jahren wurde insbesondere der Status Kataloniens viel diskutiert. Die Debatte entzündete sich vor allem an der Entscheidung der katalanischen Regionalregierung, 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum stattfinden zu lassen, obwohl es vorher für verfassungswidrig erklärt worden war. Die Diskussion um die Unabhängigkeit Kataloniens war auch das Thema, das die rechte Partei Vox zu einer nennenswerten Größe verhalf: die Einheit Spaniens mobilisierte viele Menschen. Auch im aktuellen Wahlkampf spielt das Thema noch eine Rolle. Der konservative Spitzenkandidat Feijóo kritisierte Sánchez dafür, dass er der Begnadigung katalanischer Politiker zugestimmt hatte, die wegen der Beteiligung am Referendum verurteilt und inhaftiert worden waren.

Autonome Gemeinschaften und Regionen in Spanien (Quelle: Externer Link: TUBS via Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Was waren die Themen im Wahlkampf?

Der PP-Vorsitzende Feijóo will seinerseits unter anderem die massive Staatsverschuldung Spaniens in den Griff bekommen. Sie liegt derzeit bei 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gleichzeitig will die PP für die Mehrheit der Spanier die Einkommenssteuer reduzieren, um das Wirtschaftswachstum weiter voranzutreiben. Zudem sollen ausländische Unternehmen dazu motiviert werden, in die spanische Wirtschaft zu investieren.

Ein weiteres heftig diskutiertes Thema im Wahlkampf betraf die Neuregelung des Sexualstrafrechts. PP-Chef Feijóo kritisierte den aktuellen Regierungschef Pedro Sánchez für dabei unterlaufene Fehler. Eine Änderung der Haftdauern hatte unbeabsichtigt dafür gesorgt, dass sich für hunderte Straftäter das Strafmaß reduzierte oder sie sogar freigelassen wurden. Feijóo kritisierte den Ministerpräsidenten bei seiner Wahlkampfauftakt-Veranstaltung außerdem für die Zusammenarbeit mit katalanischen Nationalisten.

Parallel zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase hatte Spanien außerdem die EU-Ratspräsidentschaft zum 1. Juli übernommen. Viele Spanier fühlen sich mit der EU verbunden. Laut Eurobarometer aus dem Winter 2022/23 fühlen sich 86 % der Spanierinnen und Spanier als EU-Bürger. EU-Kommissionspräsidentin Interner Link: Ursula von der Leyen erklärte Anfang Juli bei einem Besuch in Madrid, dass sie volles Vertrauen in den europäischen Geist Spaniens habe. Schwieriger könnte sich die Zusammenarbeit dann gestalten, wenn nach der Wahl die PP mit Vox koaliere, so von der Leyen.

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