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Bundestagswahl wird in Berlin teilweise wiederholt

Redaktion

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In 455 Berliner Wahlbezirken muss die Bundestagswahl vom September 2021 wiederholt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht nach einer Beschwerde der Fraktion CDU/CSU entschieden.

Am 26. September 2021 mussten die Wählerinnen und Wähler vor vielen Berliner Wahllokalen lange warten, wie hier im Stadtteil Prenzlauer Berg. (© picture-alliance/dpa)

In 455 der 2.256 Wahlbezirke in Berlin muss die Interner Link: Bundestagswahl wiederholt werden, wie das Interner Link: Bundesverfassungsgericht am 19. Dezember 2023 verkündet hat. Die Wahlwiederholung fällt somit größer aus, als es der Bundestag im November 2022 mit den Stimmen der Regierungskoalition entschieden hatte. Nach dem Beschluss des Bundestages sollte nur in 431 Wahlbezirken erneut gewählt werden. Dagegen hatte die Fraktion von CDU und CSU eine sogenannte Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt und eine weiterreichende Wiederholungswahl in sechs der zwölf Berliner Bundestagswahlkreisen gefordert.

Bundesverfassungsgericht ordnet Wahlwiederholung an

Nach der mündlichen Verhandlung im Juli 2023 verkündete das Bundesverfassungsgericht am 19. Dezember 2023 das Externer Link: Urteil zur Wahlprüfungsbeschwerde der CDU/CSU-Fraktion. Darin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Beschluss des Bundestages „überwiegend rechtmäßig“ war, und die Beschwerde damit größtenteils zurückgewiesen. Allerdings habe der Bundestag die Pannen der Wahl nicht ausreichend aufgeklärt. Aus diesem Grund untersuchte das Bundesverfassungsgericht die schriftliche Dokumentation der Wahllokale. Insgesamt habe es in rund 15 Prozent der Urnenwahlbezirke Fehler gegeben, die Einfluss auf die Verteilung der Mandate gehabt haben können. Das Bundesverfassungsgericht wich damit in einigen Wahlbezirken von der Einschätzung des Bundestages ab.

Die Fehler seien mandatsrelevant, da es „wahrscheinlich [ist], dass die mehr als einstündigen Wartezeiten, die Unterbrechungen der Wahlhandlung, die verspäteten Öffnungen beziehungsweise die vorübergehenden oder vorzeitigen Schließungen von Wahllokalen dafür ursächlich waren, dass Wahlberechtigte nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben“, so das Gericht. Für die Zweitstimmen bestehe „die konkrete Möglichkeit, dass bei einer Wahlteilnahme dieser Personen die SPD die für ein zusätzliches Bundestagsmandat erforderliche Anzahl von 802 Zweitstimmen erzielt hätte".

Von den Fehlern betroffen sind Wahlbezirke in allen Berliner Bundeswahlkreisen, eine deutliche Häufung gibt es jedoch in den Wahlkreisen Berlin-Pankow (Wahlkreis 76), Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf (80), Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost (83), Berlin-Reinickendorf (77) und Berlin-Mitte (75).

Auch für die Erststimmen erkannte das Gericht wegen knapper Ergebnisse in den Wahlkreisen Berlin-Pankow (76) und Berlin-Reinickendorf (77) eine Mandatsrelevanz der Fehler.

Neben den fehlerbehafteten Wahlbezirken müsse die Wahl auch in weiteren Wahlbezirken wiederholt werden, da diese über die Briefwahl miteinander verbunden seien. Als Ergebnis erklärte das Bundesverfassungsgericht die Wahl in 455 Wahlbezirken für ungültig – insgesamt ein Fünftel des Wahlgebietes. In diesen Bezirken muss spätestens 60 Tage nach Verkündung des Urteils gewählt werden.

Bei seiner Entscheidung muss sich das Bundesverfassungsgericht an das Gebot halten, so wenig wie möglich in die Wahl einzugreifen. Die gesamte Bundestagswahl in Berlin für ungültig zu erklären, sei daher nicht in Betracht gekommen, schreibt das Gericht in der Urteilsbegründung. Wie der Landeswahlleiter ankündigte, soll die Wahl mit Erst- und Zweitstimme am 11. Februar 2024 wiederholt werden.

Welche Probleme traten bei den Wahlen in Berlin auf?

Am 26. September 2021 fanden in Berlin neben der Bundestagswahl auch die Abgeordnetenhauswahl, Wahlen der Bezirksverordnetenversammlung sowie ein Volksentscheid statt. Interner Link: Bei diesen Wahlen kam es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten.

Zur Überprüfung der Berliner Wahlen hat der Bundeswahlleiter einen Externer Link: Prüfbericht bei der Landeswahlleitung in Berlin angefordert. Dieser fasst die Pannen zusammen, ebenso der Externer Link: Berliner Verfassungsgerichtshof.

  • Lange Wartezeiten: In vielen Wahllokalen waren nicht ausreichend Stimmzettel vorrätig, mancherorts wurden falsche Stimmzettel verteilt. Besonders dort, wo im Laufe des Wahltags neue Stimmzettel besorgt werden mussten, kam es zu langen Schlangen vor den Wahllokalen.

  • Unterbrechung der Wahlen: Insgesamt unterbrachen die Wahllokale für insgesamt 6.294 Minuten die Wahl. Am längsten waren zwei Lokale in Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf geschlossen. Hier konnte jeweils über zwei Stunden, etwa 135 Minuten, keine Stimme abgegeben werden. Der Grund war, dass die richtigen Stimmzettel fehlten.

  • Verlängerte Öffnungszeiten: Zahlreiche Wahllokale beendeten die Wahl erst nach 18 Uhr und damit erst nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen. Zehn Lokale waren um 19 Uhr noch geöffnet. Am längsten konnte in Pankow gewählt werden. Dort schloss nach Angabe des Prüfberichts der Berliner Landeswahlleitung ein Lokal erst um 20:56 Uhr. Ein anderes Wahllokal schloss pünktlich, schickte jedoch die Wartenden weg.

  • Hinzu kommt, dass teilweise Briefwahlunterlagen zu spät zugestellt wurden, außerdem wurden in drei Bundestagswahlkreisen falsche Stimmzettel ausgegeben.

Im Anschluss an die Wahl hat eine Externer Link: Expertenkommission im Auftrag des Berliner Senats Vorschläge zur Verbesserung künftiger Wahlen in Berlin ausgearbeitet. Das gravierendste Problem seien Fehler bei der logistischen Planung der Wahlen gewesen: „Dass nicht alle Wahllokale […] mit den richtigen Stimmzetteln versorgt waren und ganz schlicht zu wenig Wahlkabinen […] zur Verfügung standen, hat das 'Chaos' am Wahltag absehbar gemacht.“ Wären diese strukturellen Fehler im Voraus bemerkt worden, hätte es in Berlin ein „ziemlich normaler Wahltag“ werden können, so die Einschätzung der Expertenkommission.

Wie wurde die Bundestagswahl überprüft?

Einsprüche

Wählerinnen und Wähler können innerhalb von zwei Monaten nach dem Wahltag Einspruch gegen eine Bundestagswahl einlegen. Ob unvollständige Wählerverzeichnisse, falsch aufgestellte Wahlkabinen oder gar der Verlust einer Wahlurne – sie schildern schriftlich, was aus ihrer Sicht bei der Wahl falsch lief. Auch die Landeswahlleitungen und der Bundeswahlleiter sind einspruchsberechtigt. Bei der Bundestagswahl 2021 gingen 2.172 Einsprüche ein, weitaus mehr als bei vorherigen Wahlen. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2017 gab es nur 275 Einsprüche.

Zusätzlich kann der Bundeswahlleiter bei den Landeswahlleitern Berichte über den Ablauf der Wahl anfordern, wie es bei der Bundestagswahl 2021 auch geschehen ist.

Bundestag überprüft Einsprüche

Zuständig für die Überprüfung sämtlicher Einsprüche ist laut Interner Link: Grundgesetz (Art. 41 Abs.1) der Interner Link: Deutsche Bundestag. Dieser wählt für eine Wahlperiode einen Wahlprüfungsausschuss mit neun Mitgliedern, zusammengesetzt gemäß der Stärke der Fraktionen. Dieser überprüft, ob die Einsprüche fristgerecht und formal korrekt eingereicht wurden. Zum Beispiel dürfen sie nicht per E-Mail geschickt werden, sondern nur auf dem Postweg oder per Fax. Außerdem können nur Wahlfehler beachtet werden, die geltendem Recht widersprechen. Änderungen im Wahlrecht können über einen Einspruch nicht angestoßen werden. Wenn der Einspruch die formalen Voraussetzungen erfüllt, holt der Prüfungsausschuss Stellungnahmen dazu bei den verantwortlichen Wahlämtern ein und legt sie gebündelt dem Bundestag vor. Schließlich entscheidet das Plenum des Bundestags über die Einsprüche. Damit eine Bundestagswahl für ungültig erklärt werden kann, muss der Wahlfehler so gravierend sein, dass er mandatsrelevant ist, also Auswirkungen auf die Sitzverteilung im Bundestag haben könnte.

Genau das war bei der Bundestagswahl 2021 der Fall. Aufgrund „der Häufung und Schwere von einzelnen Wahlfehlern" legte der Bundeswahleiter Einspruch für sechs Berliner Wahlkreise ein. Es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass sich ohne diese Vorkommnisse eine andere Sitzverteilung des Deutschen Bundestages ergeben hätte“, teilte er im November 2021 mit.

Bundestag beschließt Teilwiederholung

Auf dieser Grundlage stimmte der Bundestag mit den Stimmen von SPD, GRÜNEN und FDP am 10. November 2022 für eine Teilwiederholung der Bundestagswahl in Berlin. Wiederholt werden sollte die Wahl (Erst- und Zweitstimme) in allen Wahlbezirken, in denen der Bundestag Wahlfehler festgestellt hatte. Betroffen vom Beschluss des Bundestages waren 431 der 2.256 Berliner Bundestagswahlbezirke: 327, weil dort mandatsrelevante Fehler festgestellt wurden, weitere 104 wegen gemeinsam gebildeter Briefwahlbezirke.

Die Fraktionen von CDU/CSU und AfD legten daraufhin Wahlprüfbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Die Union hielt den Beschluss des Bundestages für rechtswidrig, da die Wahl nicht in den vom Bundeswahlleiter angefochtenen sechs Wahlkreisen komplett wiederholt werden sollte. Auch die AfD forderte, dass die Wahl in deutlich größerem Umfang wiederholt wird. Den Antrag der AfD hatte das Gericht bereits im September 2023 als unzulässig verworfen (Externer Link: Entscheidung über den Antrag der AfD).

WahlwiederholungenBlick in die Geschichte

Seit 1949 sind fast 5.500 Wahleinsprüche beim Prüfungsausschuss des Deutschen Bundestags eingegangen – doch noch nie wurde eine Bundestagswahl für ungültig erklärt. Auch eine Europawahl auf Bundesebene musste noch nie wiederholt werden. Auch wenn es immer wieder zu Wahlfehlern kam, reichten diese nie für eine Annullierung aus.

Anders auf Landesebene: 1993 hat das Hamburger Verfassungsgericht die Bürgerschaftswahl in Hamburg von 1991 für ungültig erklärt. Rechtswidrig sei die Aufstellung der Kandidaten der CDU gewesen. Hier kritisierte das Verfassungsgericht Verstöße gegen die innerparteiliche Demokratie, da alternative Wahlvorschläge keine Chance gehabt hätten. Die Bürgerschaft wurde in Folge des Urteils aufgelöst. Es fanden Neuwahlen statt.

In anderen Staaten gab es dagegen mitunter Wahlwiederholungen auch auf Bundesebene. Österreichs Verfassungsgerichtshof (VfGH) entschied etwa im Dezember 2016, die Stichwahl der Bundespräsidentenwahl vom Mai desselben Jahres in ganz Österreich zu wiederholen. Bei der Wahl habe es Fehler bei der Auszählung der Briefwahlstimmen gegeben. Auch hätten einzelne Wahlbehörden die Ergebnisse zu früh an die Presse weitergegeben, so das Urteil des Verfassungsgerichtshofs.

Wieso wurden die Wahlen für das Abgeordnetenhaus und die Bezirkswahl bereits wiederholt?

Für die Beurteilung der Wahlen des Abgeordnetenhauses und der Wahlen der Bezirksversammlung ist das Land Berlin zuständig. Der Berliner Verfassungsgerichtshof entschied am 16. November 2022, dass die Wahlen für das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen vollständig wiederholt werden müssen. Einen Eilantrag gegen die Wahlwiederholung beim Bundesverfassungsgericht lehnte das oberste Gericht als unzulässig ab. In seiner Begründung stellte es fest, dass der Wahlrechtsschutz durch das jeweilige Land „allein und abschließend gewährt" werde. Eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts sei daher nicht zulässig. Am 12. Februar 2023 wurdenInterner Link: die Wahlen des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen wiederholt.

Welche Konsequenzen wurden in Berlin für künftige Wahlen gezogen?

Die Berliner Landeswahlleiterin Petra Michaelis trat am 29. September 2021 nur wenige Tage nach den Wahlen zurück. Ihr Nachfolger ist der Politik- und Verwaltungswissenschaftler Stephan Bröchler. Die vom Senat eingesetzte Expertenkommission riet dem Land Berlin, die Zusammenarbeit zwischen den Bezirkswahlämtern und der Landeswahlleitung neu zu strukturieren. Es hätten klare Verantwortlichkeiten gefehlt. Außerdem müssten die Wahlen standardisiert werden, zum Beispiel bei der Ausstattung und Größe der Wahllokale oder der Schulung der Helfenden. Darüber hinaus sollten Großereignisse wie der Berlin-Marathon, der die Wahlen zusätzlich behindert hatte, nicht zeitgleich stattfinden. Bei der Wiederholung der Wahlen im Februar 2023 hatte die Landesregierung bereits das Erfrischungsgeld für Wahlhelfer und -helferinnen erhöht und mehr Wahlzettel drucken lassen.

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