Am 11. und 12. Juli 2023 trafen sich die 31 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der NATO-Staaten in der litauischen Hauptstadt Vilnius zum NATO-Gipfel. Bei dem Treffen ging es unter anderem um die Umsetzung der Beschlüsse des NATO-Gipfels von Madrid (2022). Im letzten Jahr hatten die Mitglieder eine Neuausrichtung des Verteidigungsbündnisses beschlossen. Die Unterstützung der Ukraine stand in Vilnius ebenso auf der Externer Link: Tagesordnung wie die Reform der Streitkräftestruktur, Investitionen im Verteidigungsbereich und der NATO-Beitritt Schwedens. Bundeskanzler Olaf Scholz, Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock vertraten Deutschland auf Gipfel.
Die Bundeswehr sicherte den NATO-Gipfel in Vilnius mit den US-amerikanischen Flugabwehrraketensysteme ("Patriot-System") vor möglichen Angriffen ab. Seit März 2022 ist die Bundeswehr mit diesen in der Slowakei präsent. Die Patriot-Systeme werden für den Gipfel nach Litauen verlegt. Auch dort sind Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten bereits seit 2017 im Rahmen der Externer Link: NATO-Mission „enhanced Forward Presence“ (eFP) zur Sicherung der NATO-Ostflanke aktiv.
NATO-Steckbrief
NATO: North Atlantic Treaty Organization (deutsch: Organisation des Nordatlantikvertrags bzw. Nordatlantikpakt-Organisation)
Gegründet: 1949
Mitglieder: 31
Sitz: Brüssel (NATO-Hauptquartier)
Generalsekretär: Jens Stoltenberg (Norwegen), Mandat verlängert bis zum 1. Oktober 2024
Ziel der NATO: Verteidigung des Bündnisgebiets, Förderung demokratischer Werte
NATO-Gipfel finden regelmäßig auf Vereinbarung der Regierungen statt. Feste Termine gibt es nicht.
Überblick der Themen des NATO-Gipfels
Unterstützung der Ukraine
Die Mitgliedsstaaten signalisierten der Ukraine ihre Unterstützung und beschlossen ein mehrjähriges Hilfsprogramm zum Wiederaufbau des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungssektors. Wie bereits im Vorjahr war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf dem NATO-Gipfeltreffen als Gast eingeladen. Die Ukraine ist nicht Teil der NATO, doch es besteht eine enge Partnerschaft. Erstmals trat auch der NATO-Ukraine-Rat zusammen, der die Zusammenarbeit weiter fördern soll. Vorerst soll die Ukraine nicht in das Verteidigungsbündnis aufgenommen werden, allerdings sehe man "die Zukunft der Ukraine in der NATO".
Die Interner Link: G7 Staaten kündigten auf dem Gipfel zudem an, die Ukraine langfristig militärisch und finanziell unterstützen zu wollen. Sie stellten moderne Ausrüstung in Aussicht.
Munitionsvorräte
Die eigenen Munitionslagern sollen aufgefüllt werden, denn hier gebe es nach wie vor Lücken. Diese wurden durch Waffenlieferungen an die Ukraine weiter verschärft. Insgesamt 24 Staaten, darunter auch Deutschland, wollen sich an der so genannten „Multinational Ammunition Warehousing Initiative“ (MAWI) beteiligen, mit der eine gemeinsame Munitionsbeschaffung geregelt werden soll.
NATO-Beitritt Schwedens
Vor dem Gipfeltreffen lud NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 10.07.2023 zu einem weiteren Vermittlungsversuch zwischen Schweden und der Türkei ein – mit Erfolg. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kündigte an, die Blockade gegen den schwedischen Bündnisbeitritt aufzugeben und dem türkischen Parlament das Beitrittsprotokoll vorzulegen.
Die NATO-Norderweiterung schritt im Mai 2022 mit den Beitrittsanträgen von Schweden und Finnland voran. Finnland ist dem Verteidigungsbündnis am 4. April 2023 beigetreten, gegen den Beitritt Schwedens gab es Vorbehalte in der Türkei und in Ungarn. Laut der Interner Link: Türkei engagiere sich Schweden zu wenig für die "Bekämpfung des Terrorismus". Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wirft Schweden vor, Mitglieder von Terrororganisationen zu beherbergen. Zudem unterstütze Schweden nur unzureichend die Interner Link: Verfolgung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Das von Viktor Orbáns rechtsgerichteten Fidesz-Partei dominierte ungarische Parlament hat den Beitritt Schwedens bislang nicht ratifiziert. Fidesz-Politikerinnen und Politiker kritisierten immer wieder die Haltung Schwedens in der EU-Debatte um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. Ende Juni 2023 hatte das ungarische Parlament die nötige Abstimmung über das Beitrittsprotokoll ein weiteres Mal verschoben.
Finanzierung
Erneut bekannten sich die NATO-Mitgliedsstaaten zum Zwei-Prozent-Ziel, das 2014 auf dem NATO-Gipfel in Wales als Richtwert formuliert wurde. Angesichts der sicherheitspolitischen Lage sollen die zwei Prozent allerdings als Untergrenze festgelegt werden. Deutschland führt das Zwei-Prozent-Ziel auch in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie als Verbindlichkeit auf.
Vertiefung von Partnerschaften
NATO-Partnerstaaten aus dem Indo-Pazifik – d.h. Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea – nahmen zum zweiten Mal in Folge am NATO-Gipfel teil. Zusammengearbeitet werden soll in der Cybersicherheit, der maritimen Sicherheit, der Klimapolitik, neuen Technologien und bei hybriden Bedrohungen.
Unter deutscher Führung Bündnisübung "Air Defender 23"
Um für einen Interner Link: Bündnisfall nach Artikel 5, also auf einen möglichen Angriff auf ein NATO-Mitglied, vorbereitet zu sein, fand in Deutschland vom 12. bis zum 23. Juni 2023 das Interner Link: Manöver „Air Defender 23“ statt. Es ging vor allem um die Luftstreitkräfte: An der Übung nahmen 10.000 Soldaten aus 25 Ländern mit insgesamt 250 Luftfahrzeugen teil. Allein 100 der 250 Flugzeuge wurden aus den USA nach Deutschland verlegt. Es war die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit NATO-Bestehen. Während den zehn Übungstagen (am Wochenende fanden keine Übungen statt) wurden 808 Missionen mit 1.800 Flügen geübt.
Das Manöver Air Defender 23 wurde bereits im Jahr 2018 von Deutschland initiiert und in den darauffolgenden Jahren geplant. Über einigen Teilen Deutschlands wurden temporäre Übungsräume ausgewiesen, betroffen waren davon vor allem der Nordwesten und der Nordosten des Landes.
Im Vorfeld waren erhebliche Beeinträchtigungen des zivilen Flugverkehrs erwartet worden. Die Deutsche Flugsicherung bilanzierte nach Abschluss der Übung jedoch, dass es weit weniger Verspätungen im zivilen Luftverkehr gegeben habe, als zunächst befürchtet wurde. Im Vorfeld und am Rande der Übung kam es zu kleineren Demonstrationen von Friedensaktivisten mit einigen Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Richtungsweisende Entscheidungen in Madrid 2022
Beim NATO-Gipfel in Vilnius sollen die zentralen Entscheidungen des letzten Gipfels in Madrid weiter umgesetzt werden. Dieser fand vom 28. bis zum 30. Juni 2022 in Madrid statt. Es war das erste NATO-Gipfeltreffen, nachdem am 24. Februar 2022 die Interner Link: Invasion russischer Truppen in die Ukraine begann. Die Vertreter der NATO-Länder einigten sich auf richtungsweisende Beschlüsse, die der neuen Sicherheitslage Rechnung tragen sollten. Dazu zählen unter anderem:
Neues strategisches Konzept
Die NATO hat sich auf ein Interner Link: neues strategisches Konzept geeinigt, das die konkrete Ausrichtung des Bündnisses bis 2030 bestimmt. Es gilt als eines der wichtigsten Dokumente in der Zusammenarbeit. Folgende Herausforderungen werden darin benannt: Als große Bedrohung für Europa und das Bündnisgebiet identifiziert das Strategiepaper Russland. Auch Chinas Politikziele werden darin als Herausforderung für die Werte und die Sicherheit der NATO-Staaten aufgeführt. Außerdem gelten Terrorismus, Cyberangriffe und die Folgen des Klimawandels als Sicherheitsrisken.
Als Maßnahmen sollen laut Strategiepapier die NATO-Verteidigung und Abschreckung zu Land, Wasser, Luft und im Cyberspace ausgebaut werden. Konkret bedeutet das: Es soll mehr einsatzbereite Truppen geben, die sich auf moderne Waffensysteme, Infrastruktur und Trainingsmethoden stützen können.
Beitritt von Schweden und Finnland
Die Beitrittsprotokolle von Schweden und Finnland wurden unterzeichnet. Sie sollen NATO-Mitgliedsstaaten werden. Finnland ist der NATO inzwischen offiziell beigetreten.
Truppenrotation
Die NATO passte ihr Abschreckungsmodell an. Bisher hatte sie eine verhältnismäßig geringe und rotierende Truppenpräsenz in den Ländern des Baltikums und Polen. Künftig folgt die Strategie dem Prinzip „Deterrence by Denial“ – das heißt, die Truppenpräsenz soll so groß sein, dass ein Gegner vor einem potenziellen Angriff abgeschreckt wird.
Neues Streitkräftemodell
Die NATO bekommt ein neues Streitkräftemodell. Der Anspruch des sogenannten „New Force Model“ (NFM) ist es, etwa 800.000 Soldaten organisieren zu können. Von ihnen sollen 100.000 in zehn und weitere 200.000 in 30 Tagen reaktionsbereit sein. Die Streitkräfte werden verschiedenen potentiellen Konfliktregionen im euroatlantischen Gebiet zugeteilt. Deutschland soll ab 2025 insgesamt 30.000 Soldaten sowie 85 Flugzeuge und Schiffe stellen, die binnen 30 Tagen einsatzbereit sind.
Finanzierung
Die Gemeinschaftsfinanzierung der NATO soll erhöht werden. Deutschland bekannte sich zu dem 2014 vereinbarten Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigungsausgaben zu investieren.
Wie geht es weiter?
Im kommenden Jahr feiert die NATO ihr 75-jähriges Bestehen. Der nächste Nato-Gipfel wird vom 9. bis 11. Juli 2024 in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. stattfinden.
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