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Vor 30 Jahren: Reform für Schwangerschaftsabbrüche gekippt | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 30 Jahren: Reform für Schwangerschaftsabbrüche gekippt

Redaktion

/ 5 Minuten zu lesen

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Fristenregelung am 28. Mai 1993 für verfassungswidrig. Das Abtreibungsrecht ist umstritten – das zeigen Geschichte und aktuelle Debatten.

Nach der Urteilsverkündung am 28.05.1993 demonstrieren rund 150 Frauen in der Innenstadt von Karlsruhe für ein Recht auf Abtreibung. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat in seinem Urteil zum Abtreibungsrecht die vom Bundestag beschlossene Fristenregelung mit Beratungspflicht verworfen. (© picture-alliance/dpa, DB Sungu)

In seiner über 150-jährigen Geschichte wurde der Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs (§ 218 StGB) immer wieder Gegenstand kontroverser gesellschaftlicher und politischer Debatten. Im Kern geht es um Fragen des Interner Link: menschlichen Lebens und der menschlichen Würde. Forderungen für liberalere Abtreibungsrechte (Pro-Choice-Bewegung) und Abtreibungsgegenstimmen (Pro-Life-Bewegung) sind meist unvereinbar.

Der letzte große Reformversuch in Deutschland scheiterte vor 30 Jahren, am 28. Mai 1993, vor dem Bundesverfassungsgericht: Die Fristenregelung wurde gekippt, also der straffreie Abbruch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft. Das heute in Deutschland geltende Abtreibungsstrafrecht wurde daraufhin 1995 beschlossen.

Seit dem 31. März 2023 berät eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin über Regulierungsmöglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches.

Der Paragraf 218

Der § 218 StGB stellt den Abbruch einer Interner Link: Schwangerschaft in Deutschland seit 1871 unter Strafe. Beim Gesetzesverstoß wurde ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Zuchthaus vorgesehen, ab 1926 eine Gefängnisstrafe. Ein Jahr später, 1927, wurde ein aus medizinischen Gründen vorgenommener Schwangerschaftsabbruch legalisiert. Während der Weimarer Republik strebten SPD und KPD die Reform oder Streichung des Paragrafen an, scheiterten jedoch.

Nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland, wurde der Abtreibungsparagraf 1949 beinahe unverändert in das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik übernommen. Lediglich die Todesstrafe für Abtreibungen im "Dritten Reich" hoben die Besatzungsmächte nach dem Krieg auf.

Strafgesetzbuch (StGB)§ 218 Schwangerschaftsabbruch

(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

  1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder

  2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht.

(3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.

Quelle: Externer Link: Strafgesetzbuch (StGB), § 218 Schwangerschaftsabbruch

Zu finden sind die heute geltenden Ausnahmen, also die "Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs", unter Externer Link: § 218a StGB. Eine Abtreibung ist demnach nicht rechtswidrig, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt. Die Strafen sind im übergeordneten Paragrafen vermerkt: Ein medizinisch unbegründeter Schwangerschaftsabbruch kann für die ausführende Person, je nach Schwere des Falls, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden.

Strafgesetzbuch (StGB)§ 218a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs

(1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn

  1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen,

  2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und

  3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

(2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.

(3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 178 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

(4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.

Quelle: Externer Link: StGB Strafgesetzbuch (StGB), § 218a Schwangerschaftsabbruch

Die Schwangerschaft beginnt nach dem Gesetz mit der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter, nicht etwa mit der Befruchtung selbst. Deshalb ist die Nutzung sämtlicher Verhütungsmittel straffrei. Die Einnahme der sogenannten "Pille danach", die die Schwangerschaft nicht abbrechen, sondern verhindern soll, fällt nicht unter das Abtreibungsverbot.

Chronologie der Reformen von 1974 bis 1992

Reform von 1974 scheitert

1974 wurde von der Regierungskoalition aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt eine Reform des § 218 StGB auf den Weg gebracht. Diese sah eine Fristenregelung vor, die der Frau in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft die Entscheidung über die Fortsetzung oder den Abbruch überlassen sollte. Gegen die Reform sprachen sich CDU und CSU aus. Der Bundestag stimmte mit knapper Mehrheit (247 Ja-Stimmen, 233 Nein-Stimmen, 9 Enthaltungen) der Reform zu. Nachdem 193 Abgeordnete aus CDU/CSU sowie fünf konservative Landesregierungen gegen die Gesetzesreform klagten, erklärte das Bundesverfassungsgericht diese 1975 für verfassungswidrig, da Externer Link: Artikel 2 des Grundgesetzes, also das Recht auf Leben, nicht gewährt werde. Ein Schwangerschaftsabbruch blieb auf Anordnung des Gerichts strafbar. In Einzelfällen, etwa aus medizinischen Gründen, sollten Schwangerschaftsabbrüche straffrei bleiben.

Indikationsregelung von 1976

In der Folge des Urteils wurde der Paragraf 1976 um ein weiteres Mal reformiert und die sogenannte Indikationsregelung eingeführt. Ein Schwangerschaftsabbruch blieb im Grundsatz unter Strafandrohung verboten. Von einer Strafverfolgung sollte allerdings abgesehen werden, wenn medizinische, ethische oder soziale Gründe ärztlich attestiert wurden.

Gesetzeslage in der DDR

In der DDR gab es im Vergleich zur bundesdeutschen Gesetzeslage ein weiter gefasstes Entscheidungsrecht für Frauen. Laut dem "Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft" vom März 1972 war es der Frau freigestellt, "über die Unterbrechung einer Schwangerschaft in eigener Verantwortung zu entscheiden." Innerhalb der ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft war ein ärztlicher Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung gesetzlich straffrei. Diese Regelung wurde durch den Interner Link: Einigungsvertrag vom 31. August 1990 aufgehoben.

Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992

Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27. Juli 1992 regelte das Abtreibungsrecht neu und sah eine gesamtdeutsche Fristen- und Beratungslösung vor. Hervorgebracht wurde der Gesetzesentwurf parteienübergreifend von Abgeordneten des Bundestages. Schwangerschaftsabbrüche sollten bis zur zwölften Woche nach der Befruchtung erlaubt sein. Voraussetzung sollte die Bescheinigung über eine zuvor stattgefundene Beratung sein. Gegen die Gesetzesnovelle erwirkten die Bayerischen Staatsregierung und 247 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts. Das Inkrafttreten des neuen Abtreibungsrechts wurde bis zur abschließenden Entscheidung ausgesetzt.

Das Urteil vom 28. Mai 1993 – Abtreibung bleibt rechtswidrig

In seinem Externer Link: Urteil vom 28. Mai 1993 entschied das Bundesverfassungsgericht dann, dass das grundsätzliche Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin bestehen bleiben muss. Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben zu schützen. Dazu zähle auch das Leben des Ungeborenen. Das vorgeschlagene Abtreibungsrecht sei mit dem Grundgesetz (Externer Link: Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Externer Link: Artikel 2 Absatz 2 Satz 1) unvereinbar und somit rechtswidrig.

Weiter heißt es allerdings, dass eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben kann, "wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird" und ein bescheinigtes Gespräch mit einer anerkannten Beratungsstelle mindestens drei Tage vor dem Eingriff stattgefunden hat (Externer Link: § 219 StGB, "Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage").

Die Beratung, so urteilt das Bundesverfassungsgericht, "dient dem Schutz des ungeborenen Lebens" und soll "helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen." Inhalte der Beratung seien etwa Gründe des Schwangerschaftsabbruchs und Rechtsansprüche; ein Protokoll müsse geführt werden. Festgehalten wurden Beratung und Leistungen medizinisch begründeter Schwangerschaftsabbrüche 1995 im "Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz."

"Werbeverbot" für Abtreibungen 2022 ersatzlos gestrichen

Lange Zeit umstritten war neben dem § 218 StGB auch das so genannte "Interner Link: Werbeverbot" für Abtreibungen. Laut diesem machten sich Ärztinnen und Ärzte strafbar, wenn sie öffentlich, z. B. auf ihrer Website, Informationen über den Ablauf und die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen bereitstellten. Den entsprechenden § 219a StGB hat der Bundestag am 24. Juni 2022 mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS90/Die GRÜNEN, FDP und DIE LINKE ersatzlos gestrichen.

Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung

Ende März 2023 wurde eine interdisziplinär besetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin von den Bundesministern für Gesundheit und für Justiz sowie der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingesetzt. Insgesamt 18 Expertinnen und Experten aus Medizin, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Rechtswissenschaften sollen unter anderem Regulierungsmöglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen und bis Ende März 2024 ihren Bericht vorlegen.

Abtreibungsrechte und -verbote im weltweiten Vergleich

Im weltweiten Vergleich zeigen sich unterschiedliche Abstufungen von Abtreibungsrechten und -verboten: von einem strikten Abtreibungsverbot über Abtreibungsrecht aus medizinischen Gründen bis hin zu liberalen Abtreibungsgesetzen. Reproduktive Gesundheit und Rechte sind immer wieder Gegenstand öffentlicher Debatten. Seit 1994 liberalisierten laut Center for Reproductive Rights 59 Länder ihre Abtreibungsgesetze. In vier Ländern wurden im gleichen Zeitraum Abtreibungsgesetze verschärft, wie etwa Interner Link: 2020 in Polen oder 2022 in den USA. Dort verschärften einige konservative Bundesstaaten mit dem Interner Link: Urteil des Supreme Courts, das Roe vs. Wade kippte, ihre Abtreibungsgesetze.


Hinweis der Redaktion: Den folgenden Absatz haben wir am 28.07.2023 verständlicher formuliert:

Alte Fassung: „Das Gericht ordnete allerdings an, dass eine Abtreibung dann straffrei zu bleiben habe, "wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird." Ein bescheinigtes Gespräch mit einer anerkannten Beratungsstelle ist laut Gesetz (Externer Link: § 219 StGB">§ 219 StGB, "Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage") die Voraussetzung für einen solchen Eingriff.“

Neue Fassung: "Weiter heißt es allerdings, dass eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben kann, "wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird" und ein bescheinigtes Gespräch mit einer anerkannten Beratungsstelle mindestens drei Tage vor dem Eingriff stattgefunden hat (Externer Link: § 219 StGB, "Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage")."

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