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24. April 2008: Bundestag stimmt für Vertrag von Lissabon | Hintergrund aktuell | bpb.de

24. April 2008: Bundestag stimmt für Vertrag von Lissabon

Redaktion

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Vor 15 Jahren unterzeichneten die EU-Staats- und Regierungschefs sowie die Außenminister der EU den Vertrag von Lissabon. Seine Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag am 24. April 2008 war begleitet von Kontroversen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am Donnerstag (24.04.2008) in Berlin vor dem Bundestag. Die Abgeordneten stimmten anschließend über den EU-Lissabon-Vertrag ab (© picture-alliance/dpa, Peer Grimm)

Vertrag von Lissabon - Abstimmung im Bundestag

Am 1. Dezember 2009 trat der Vertrag von Lissabon am EU-weit in Kraft. Vorher musste der Vertrag jedoch durch alle Mitgliedsländer der EU ratifiziert werden – zumeist durch die Parlamente, in Irland per Volksentscheid. Vor diesem Hintergrund stimmte der Bundestag am 24. April 2008 mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit für den Interner Link: Vertrag von Lissabon. Durch das Vertragsgesetz sollten die von deutscher Seite erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Interner Link: Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geschaffen werden.

515 Abgeordnete votierten bei der Abstimmung für das entsprechende Vertragsgesetz, 58 dagegen – ein Parlamentarier enthielt sich. Das Gros der Nein-Stimmen kam aus der Linken-Fraktion, auch einzelne Vertreter von CDU/CSU stimmten dagegen. Manche Abgeordnete fürchteten, dass durch das Inkrafttreten des Vertrags zu viel nationale Souveränität nach Brüssel übertragen werde.

Begleitgesetz sollte Rechte der nationalen Parlamente sichern

Der Bundestag verabschiedete neben der Abstimmung über den Lissabon-Vertrag am 24. April 2008 außerdem drei weitere Gesetze. Das sogenannte Zustimmungsgesetz sollten den deutschen Bundespräsidenten ermächtigen, den Vertrag von Lissabon zu unterzeichnen. Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes nahm Änderungen an der deutschen Verfassung vor, damit diese mit dem Vertrag von Lissabon konform ist.

Zudem beschloss der Bundestag auch ein Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union. Im Rahmen dieses sogenannten Begleitgesetzes zum Vertrag von Lissabon wurden die Artikel 23, 54 und 93 des Grundgesetzes geändert. Mit der Verfassungsänderung sollte sichergestellt werden, dass die im Vertrag von Lissabon festgeschriebenen Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente gegenüber den EU-Organen auch vom Bundestag und Bundesrat wahrgenommen werden können.

Klagen von Linken und CSU-Abgeordneten

In Deutschland hatte zwar im Mai 2008 auch der Bundesrat mit der nötigen Zweidrittelmehrheit dem Vertrag von Lissabon sowie dem Begleitgesetz zugestimmt. Damit war der Weg für die deutsche Ratifizierung des Vertrags sowie die das Inkrafttreten des Begleitgesetzes geebnet. Weil jedoch unter anderem die Linken-Fraktion und der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler vor das Bundesverfassungsgericht zogen, wollte der damalige Bundespräsident Horst Köhler die Gesetze nicht unterzeichnen, bis das Gericht in Karlsruhe über deren Rechtmäßigkeit entschieden hatte.

Die Kläger kritisierten, dass durch den Vertrag das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt werde und Deutschland an souveräner Staatlichkeit verliere. Gauweiler warnte ebenso wie die Linkspartei vor der Reduzierung des Grundrechtsschutzes. Der CSU-Abgeordnete prangerte wie auch die Linke angeblich gravierende Demokratiedefizite an. Die Linke argumentierte zudem, der Vertrag von Lissabon verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip.

Begleitgesetz zum Vertrag von Lissabon verfassungswidrig

Am 30. Juni 2009 erklärte das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Interner Link: Lissabon-Urteil den Vertrag Externer Link: selbst für vereinbar mit dem Grundgesetz. Auch zwei der drei zusätzlich durch den Bundestag verabschiedeten Gesetze waren laut Gericht verfassungskonform. Das Begleitgesetz sei jedoch verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe darin die Beteiligungsrechte für Bundestag und Bundesrat in Rechtsetzungs- und Vertragsveränderungsverfahren der EU nicht hinreichend ausgestaltet. Diese Kritik bezog sich maßgeblich auf die "Brückenklausel" des Lissabon-Vertrags: Staats- und Regierungschefs sollten durch den Vertrag die Möglichkeit erhalten, das in einem konkreten Fall oder in einem ganzen Politikbereich geltende Abstimmungsverfahren zu verändern, ohne dass dazu ein neuer EU-Vertrag durch sämtliche Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsste. Der vom Bundesverfassungsgericht bemängelte Entwurf des "Begleitgesetzes" regelte die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat an diesem Prozess. Der Entwurf des Begleitgesetzes sah allerdings nicht vor, dass sich Bundestag und/oder Bundesrat grundsätzlich äußern müssen, wenn die "Brückenklausel" angewandt werden soll. Ein Schweigen von Bundesrat und Bundestag als Zustimmung reiche allerdings nicht aus, so das Gericht.

Als Reaktion auf die Karlsruher Entscheidung verabschiedete der Bundestag am 8. September 2009 gegen die Stimmen der Linken vier Begleitgesetze zum Lissaboner Vertrag. Vor allem das Integrationsverantwortungsgesetz setzte die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Lissabon-Urteil um. Darin ist etwa die Beteiligung von Bundesrat und Bundestag bei Änderungen der Verträge geregelt, die nicht dem üblichen Ratifikationsverfahren unterliegen. Am 18. September stimmte schließlich auch der Bundesrat einstimmig den vier Begleitgesetzen zu. Diese geben auch der Länderkammer mehr Mitspracherechte. Die Bundesregierung ist verpflichtet, den Bundesrat so früh und umfassend wie möglich über europäische Vorhaben zu informieren, die für die Bundesländer relevant sein könnten.

Vertrag für eine demokratischere EU

Der Externer Link: Vertrag von Lissabon geht in seinen Inhalten Externer Link: auf das Bestreben zurück, eine Verfassung für die Europäische Union zu schaffen. Das Verfassungsprojekt wurde Ende 2001 ins Leben gerufen – und scheiterte 2005 an dem negativen Ausgang der Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Hier hatten die Bürgerinnen und Bürger eine Verfassung für die EU in der Abstimmung mehrheitlich abgelehnt. In der Folgezeit gab es immer wieder Verhandlungen zwischen den Staats- und Regierungschefs der EU, wie die künftige Europäische Union aussehen solle. Im Oktober 2007 wurde dazu schließlich eine Regierungskonferenz einberufen, die mehrere Wochen andauerte. Am 13. Dezember 2007 unterzeichneten die EU-Staats- und Regierungschefs sowie die Außenminister schließlich den Vertrag von Lissabon. Der Vertrag von Lissabon sollte die EU vor allem demokratischer und handlungsfähiger machen. Denn die Zahl der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union war bis 2007 auf 27 angewachsen. Durch die Reform erhielt insbesondere das Europäische Parlament mehr Befugnisse – und auch die nationalen Parlamente sollten gegenüber Brüssel gestärkt werden. Gesetze aus Brüssel ohne Mitsprache des EU-Parlaments sind mittlerweile die Ausnahme. Im Rahmen des Vertrags von Lissabon wurde auch das Bürgerbegehren auf europäischer Ebene eingeführt. Seit 2014 gilt außerdem das Prinzip der doppelten Mehrheit innerhalb der EU. Beschlüsse erfordern seither eine Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedsländer, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen.

Auch die Grundrechte-Charta der EU erfährt Anerkennung durch den Vertrag von Lissabon – auch wenn sie nicht direkt in den Vertrag von Lissabon aufgenommen wurde. EU-Bürger können in fast allen Ländern die in der Charta garantierten Arbeits- und Sozialrechte beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einklagen.

Aus Rücksicht auf die damals in diversen Ländern wie Polen und Großbritannien verbreitete Furcht vor zu großen Brüsseler Kompetenzen oder gar einem europäischen Superstaat wurde im Vertragstext von Lissabon allerdings anders als im Verfassungsentwurf auf staatstypische Symbole wie Flaggen oder Hymnen verzichtet. Statt eines EU-Außenministers einigten sich die Verhandler auf die Installierung eines "Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik". Inhaltlich blieb jedoch vieles weitgehend identisch zum Verfassungsentwurf.

Stärkung von Bundestag und Bundesrat

Der Vertrag stärkt die Rechte des Bundesrats und des Bundestags gegenüber der Bundesregierung sowie Brüssel. Das im Jahr 2013 neu gefasste Zusammenarbeitsgesetz (EUZBBG) und das Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG) sehen umfassende Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestages vor. Die Parlamente müssen frühzeitig über relevante Gesetzgebungspläne Brüssels informiert werden. Der Bundestag hat bei EU-Angelegenheiten zudem ein Recht auf Stellungnahmen. Die Bundesregierung muss diese bei ihren Verhandlungen auf EU-Ebene zugrunde legen. Mit der Subsidiaritätsrüge haben die nationalen Parlamente zudem die Möglichkeit, in laufenden Gesetzgebungsverfahren gegen mögliche Verstöße gegen das sogenannte Subsidiaritätsprinzip frühzeitig Stellung zu nehmen. Unter dem Grundsatz der Subsidiarität versteht man, dass Brüssel nur auf EU-Ebene tätig wird, wenn die EU-Maßnahmen wirksamer sind als Maßnahmen einzelner Mitgliedsstaaten auf nationaler oder regionaler Ebene.

Lissabon-Vertrag tritt am 1. Dezember 2009 in Kraft

Ob und wann der Vertrag von Lissabon tatsächlich in Kraft treten konnte, blieb zunächst offen. Ursprünglich sollte der Reformvertrag zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. Doch zum einen lehnten die Iren den Vertrag am 12. Juni 2008 in einem Referendum ab. Zum anderen gab es in mehreren Ländern wie Polen und Tschechien massiven Widerstand gegen eine Ratifizierung. Anfang Oktober 2009 stimmten die Iren bei einer Wiederholung des Referendums schließlich für den Reformvertrag. Nachdem das tschechische Verfassungsgericht am 3. November eine Klage von Senatoren gegen den Lissabon-Vertrag abgewiesen hatte, trat der Vertrag von Lissabon am 1. Dezember 2009 in Kraft.

Mehr zum Thema:

Interner Link: Karl-Rudolf Korte: Vertrag von Lissabon

Interner Link: Europa nach Lissabon (APuZ, April 2010)

Interner Link: Vertrag von Lissabon (Das Europalexikon)

Interner Link: Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Das Europalexikon)

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