Nach der von den Deutschen verübten systematischen Ermordung der europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg wurde Anfang der 1950er-Jahre darüber diskutiert, wie die Bundesrepublik Deutschland den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus Wiedergutmachung leisten könne.
Im März 1951 wandte sich das israelische Außenministerium auf diplomatischem Wege an die vier Besatzungsmächte in Deutschland. Aufgrund der Aufnahme von mehr als einer halben Millionen Holocaust-Überlebenden seien dem Staat Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar entstanden. Dafür forderte Israel Kompensationszahlungen von Deutschland. Eine Milliarde Dollar davon wurde als möglicher Anteil der Bundesrepublik angesehen, 500 Millionen als Anteil der DDR. Die Regierung in Ost-Berlin reagierte nicht auf die Kontaktaufnahme aus Israel. Die DDR sah sich nicht in der Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches, sondern als "antifaschistischer Staat". Deswegen betrachtete sie sich auch nicht zuständig für mögliche Reparationszahlungen an Israel. Die bundesdeutsche Regierung unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) hingegen nahm Kontakt mit Israel auf.
In einer Regierungserklärung am 27. September 1951 machte Adenauer die Pläne über mögliche Kompensationszahlungen an Israel im Bundestag öffentlich. "Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermesslichen Leides bewusst, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten gebracht wurde", so Adenauer. Im Namen des deutschen Volkes seien unsagbare Verbrechen begangen worden, die zu einer "moralischen und materiellen Wiedergutmachung" verpflichteten. Das betreffe sowohl "individuelle Schäden", die Juden erlitten haben, als auch Schäden am "jüdischen Eigentum". Adenauer kündigte an, dass sich die Bundesregierung für eine baldige "Wiedergutmachungsgesetzgebung" einsetzen werde. In Bezug auf den Umfang sei seine Regierung bereit, Gespräche mit "Vertretern des Judentums und des Staates Israel" zu führen.
Kontroverse Debatten in Israel
Währenddessen debattierte Israel kontrovers darüber, ob das Land überhaupt Geld aus Deutschland annehmen sollte. Der spätere Ministerpräsident Menachem Begin und seine konservative Partei Herut gehörten zu den schärfsten Kritikern von Verhandlungen mit Deutschland. Begin bezeichnete mögliche Wiedergutmachungszahlungen als "Blutgeld". Anfang Januar 1952 fand zu den Gesprächen mit der deutschen Bundesregierung eine dreitätige Parlamentsdebatte statt. Parallel dazu kam es in Jerusalem zu gewalttätigen Straßenprotesten. Gegner einer möglichen Wiedergutmachungsvereinbarung mit Deutschland stürmten das Gebäude der Knesset. Einige von ihnen erreichten die Türschwelle zum Sitzungssaal und warfen mit Steinen auf die Abgeordneten. Es gab mehrere Verletzte. Am 9. Januar schließlich beschloss das israelische Parlament mit 61 zu 50 Stimmen, dass die Regierung von Ministerpräsident David Ben-Gurion Verhandlungen mit Deutschland aufnehmen sollte. Bereits zuvor hatte Bundeskanzler Adenauer Gespräche mit dem Jüdischen Weltkongress geführt.
Doch auch in Deutschland gab es Widerstand gegen Entschädigungszahlungen für Israel. Eine Umfrage des Allensbach-Instituts kam im September 1952 zu dem Schluss, dass nur elf Prozent der Deutschen ein Wiedergutmachungsabkommen mit Israel befürworteten. Insgesamt 44 Prozent der Befragten sprachen sich dagegen aus. In der Bundesrepublik waren
Unterzeichnung im September 1952
Zu den prominenten Gegnern eines Abkommens mit Israel zählten unter anderem Finanzminister Fritz Schäffer (CSU), Teile der Fraktionen von Union und FDP sowie der Bankier Hermann Josef Abs, der parallel zu den Verhandlungen mit Israel als Delegationsleiter die Gespräche auf der Londoner Schuldenkonferenz führte. Abs beispielsweise fürchtete, dass ein zu großzügig ausgestaltetes Abkommen mit Israel zu härteren Bedingungen bei der Schuldenkonferenz führen würde.
Verhandelt wurde das Abkommen ab März 1952 im Kastel Oud-Wassenaar bei Den Haag in den Niederlanden. Am 10. September 1952 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der israelische Außenminister Moshe Sharett in Luxemburg das "Wiedergutmachungsabkommen", welches in der Folge auch als "Luxemburger Abkommen" bekannt wurde. Das Großherzogtum wurde als neutraler Ort für die Unterzeichnung ausgewählt.
Die Bundesregierung erklärte sich in dem Abkommen bereit, Leistungen in Höhe von drei Milliarden Mark an den Staat Israel zu bezahlen. Weitere 450 Millionen Mark sollten an die Jewish Claims Conference gehen – für Jüdinnen und Juden außerhalb Israels. Ein Sonderfonds in Höhe von 50 Millionen Mark wurde für Betroffene der
Knappes Votum im Bundestag
Etwas mehr als sechs Monate später, am 18. März 1953, beriet der Bundestag (Externer Link: Protokoll der Sitzung) über die Ratifizierung des Abkommens. Im Vorfeld war es Adenauer nicht gelungen, die Unionsfraktion geschlossen von einer Zustimmung zu überzeugen. Bei seinem wichtigsten Koalitionspartner, der FDP, gab es viele Abgeordnete, die sich enthalten wollten. Auch in der rechtskonservativen "Deutschen Partei", die damals ebenfalls der Bundesregierung angehörte, gab es Zweifel an der Notwendigkeit eines solchen Abkommens. Kritik kam jedoch ebenso aus den Reihen der Opposition: In der Fraktion der KPD wandten sich alle 15 Abgeordneten gegen die Zusagen an Israel, die sie als "westlich-kapitalistische Einflussnahme" ablehnten.
Am Ende stimmten 239 Abgeordnete für die Ratifizierung, 35 dagegen, 86 enthielten sich und 42 blieben der Abstimmung fern. Hätte die SPD als größte Oppositionsfraktion nicht geschlossen mit "Ja" gestimmt, wäre das Abkommen womöglich an der nötigen einfachen Mehrheit gescheitert.
Erster Schritt zur "Wiederbegegnung"
Deutschland erfüllte die vereinbarten Zahlungen in den folgenden Jahren. Ein Teil der vereinbarten Entschädigung wurde in Gütern geleistet. Deutsche Unternehmen lieferten unter anderem Schiffe, Lokomotiven und Fabrikmaschinen. So leisteten deutsche Unternehmen einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der Infrastruktur in Israel. Für deutsche Unternehmen funktionierte das Abkommen wie ein Wirtschaftsförderungsprogramm.
Das Luxemburger Abkommen war nach dem von Deutschen begangenen Menschheitsverbrechen im Zweiten Weltkrieg ein erster Schritt zur "Wiederbegegnung zwischen dem deutschen und dem israelischen Volk", wie der israelische Delegationsleiter bei den Verhandlungen, Felix Schinnar, sagte. Im Jahr 1965 nahmen Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen auf. Heute gelten beide Staaten als enge Verbündete.