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Parlamentswahl in Estland 2023 | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Estland 2023

Redaktion

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Estland hat am 5. März ein neues Landesparlament gewählt. Die aktuelle Regierung hatte ihre Arbeit erst im Juli 2022 aufgenommen – in Estland gab es seit der letzten Wahl im Jahr 2019 drei Koalitionen.

In einem Wahllokal in einem Einkaufszentrum in Tallinn geben Menschen am 1.3.2023 ihre Stimme zur Parlamentswahl ab. Die Wahlen finden am 5.3.2023 statt. (© picture alliance / EPA | VALDA KALNINA)

Am 5. März hat Estland ein neues Parlament gewählt. In der vergangenen Interner Link: Legislaturperiode hatte es in Estland drei Koalitionen gegeben. Seit Juli 2022 wurde der baltische Staat von einem Dreierbündnis aus der liberal orientierten Reformpartei ("Eesti Reformierakond", deutsch: Estnische Reformpartei), den Sozialdemokraten ("Sotsiaaldemokraatlik Erakond", deutsch: Sozialdemokratische Partei) und der konservativen Vaterlandspartei ("Erakond Isamaa", deutsch: Vaterlandspartei) regiert. Amtierende Ministerpräsidentin ist die Vorsitzende der Reformpartei Kaja Kallas.

Reformpartei erneut stärkste Kraft

Die Reformpartei ist bei der Parlamentswahl erneut stärkste Kraft geworden. Kaja Kallas erreichte mit ihrer Partei 31,2 Prozent der Wählerstimmen und baute ihr Ergebnis gegenüber der Parlamentswahl von 2019 noch einmal aus (+1,3 Prozentpunkte). Mit deutlichem Abstand folgt als zweitstärkste Kraft die konservative Volkspartei ("Eesti Konservatiivne Rahvaerakond", deutsch: Estnische Konservative Volkspartei) mit 16,1 Prozent der Stimmen (-1,7 Prozentpunkte zu 2019). Die Zentrumspartei ("Eesti Keskerakond", deutsch: Estnische Zentrumspartei) hat erhebliche Verluste verzeichnet, sie erreichte 15,3 Prozent der Stimmen und damit 7,8 Prozentpunkte weniger als 2019. Hinzugewonnen hat "E200" ("Erakond Eesti 200", deutsch: Partei Estland 200). Die Partei konnte 13,3 Prozent auf sich vereinen (+8,9 Prozentpunkte zu 2019). Die Sozialdemokraten haben 9,3 Prozent der Stimmen erhalten (-0,5 Prozentpunkte zu 2019). Die Vaterlandspartei musste Verluste hinnehmen und erreichte 8,2 Prozent der Stimmen (-3,2 Prozentpunkte zu 2019).

Zwei Koalitionen scheiterten

Bei der Interner Link: Parlamentswahl 2019 war die Reformpartei zwar mit 28,9 Prozent stärkste Partei geworden, stellte aber zunächst nicht die Regierung. Stattdessen konnte der damalige Ministerpräsident Jüri Ratas von der linksgerichteten Zentrumspartei ein Bündnis mit der mit der konservativen Volkspartei und der Partei "Isamaa" schmieden. Die Zentrumspartei hatte bei der Wahl 23,1 Prozent der Stimmen auf sich vereint.

Die Regierung unter Jüri Ratas scheiterte im Januar 2021, nachdem der Ministerpräsident wegen Korruptionsvorwürfen gegen seine Partei zurück trat. In der Folge bildete Kaja Kallas eine Koalition mit der Zentrumspartei unter ihrer Führung. Auch diese zerbrach im Juni 2022 nach knapp eineinhalb Jahren. Die Koalition hatte sich über ein Gesetzesvorhaben zur Ausweitung des Estnischen als Unterrichtssprache an Kindergärten und Schulen auch in den überwiegend von der russischsprachigen Minderheit besiedelten Gebieten überworfen. Zudem hatte die Höhe des Kindergelds zu einem Streit innerhalb der Regierung geführt.

Kaja Kallas blieb auch nach dem Koalitionsbruch Ministerpräsidentin und regiert seitdem in einem Dreierbündnis aus Reformpartei, Sozialdemokraten und Vaterlandspartei.

Estnisches ParlamentWie wird gewählt?

Estland ist eine parlamentarische Republik. Das Parlament ("Riigikogu") besteht aus einer Kammer, der 101 Abgeordneten angehören. Dem Parlament obliegen die Gesetzgebung, die Wahl der Staatspräsidentin oder des Staatspräsidenten und die Kontrolle der Regierung. Die Abgeordneten werden alle vier Jahre per Verhältniswahl gewählt. Es gilt eine Interner Link: Fünf-Prozent-Hürde. Wahlberechtigt sind alle estnischen Staatsbürgerinnen und -staatsbürger ab 18 Jahren, sofern sie nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden oder ein Gericht ihnen das Wahlrecht entzogen hat.

Das Staatsoberhaupt ist der Präsident bzw. die Präsidentin. Er oder sie kann das Parlament auflösen und Neuwahlen verkünden. Dies gilt etwa für den Fall, wenn die Abgeordneten bei der Wahl einer Ministerpräsidentin oder eines Ministerpräsidenten keine Mehrheit finden.

Interner Link: Estland gilt als Vorreiter beim E-Voting. Schon im Jahr 2005 hat das Land ein Online-Wahlverfahren eingeführt. Mehrere Tage vor der eigentlichen Wahl können Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme über das Internet abgeben.

Reformpartei mit sicherheitspolitischer Ausrichtung

Die aktuell regierende Reformpartei unter Kaja Kallas ist wirtschaftsliberal ausgerichtet und betont die individuelle Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Die Partei steht für einen schlanken Staat, der sich aber für den Erhalt der estnischen Nation und Kultur einsetzt. Die Reformpartei bekennt sich klar zur EU und fordert die Einführung des Euros. Zudem solle die Zusammenarbeit mit der NATO und den europäischen, baltischen Nachbarn ausgebaut und Verteidigungsausgaben von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes an die NATO entrichtet werden. Auch stehen Kallas und ihre Regierung seit Beginn des Interner Link: russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine für möglichst harte Sanktionen gegen Russland.

Nationalisten instrumentalisieren Krise

Die Estnische Konservative Volkspartei spricht sich für einen starken Nationalstaat aus, der durch eine erhöhte Geburtenrate und Begrenzung der Zuwanderung "gerettet" werden solle. Die Partei warnt vor einer Masseneinwanderung. Die Reformpartei stilisiert sich als einzige Partei, die den Wohlstand in Estland angesichts der "Wirtschaftskrise" retten könne. In dem Zusammenhang warnt die Partei vor einer "grünen Revolution", durch die die Bevölkerung weiter verarme. Die Partei wirbt für eine Steuersenkung auf Diesel, Benzin und Gas. Um die Sicherheit des Landes zu stärken, sollen die Verteidigungsausgaben auf mindestens drei Prozent erhöht werden.

Die rechtsnationalistische Estnische Konservative Volkspartei trat mit Spitzenkandidat Martin Helme an.

Zentrumspartei grenzt sich von Moskau ab

Die linksliberale Zentrumspartei, die mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Jüri Ratas als Spitzenkandidat antritt, wurde in der Vergangenheit häufig als "pro-russisch" bezeichnet. Angesichts des russischen Angriffskriegs hat sich die Partei aber klar zu der Unterstützung der Ukraine bekannt und sich von Moskau distanziert. Die Zentrumspartei steht zur NATO und zur EU. Die Partei sieht Gefahren etwa im Terrorismus, denen durch eine Stärkung der EU-Außengrenzen und Prävention begegnet werden solle. Im Fokus der Partei stehen zudem eine Stärkung des Sozialstaats sowie die Förderung der politischen Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern.

Weitere InformationenRussischstämmige Minderheit in Estland

In Estland lebt eine große russischsprachige Minderheit von 23,7 Prozent. Sie macht mit gut 315.000 fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung von rund 1,4 Millionen aus. Die russischsprachigen Menschen leben vor allem im Osten und Norden des Landes. Der Großteil von ihnen wurde während der Zeit der Sowjetunion in Estland angesiedelt, doch auch zuvor gab es bereits eine beträchtliche Gruppe russischstämmiger Estinnen und Esten. Viele der in Estland lebenden russischstämmigen Menschen haben mittlerweile eine estnische Staatsbürgerschaft.

Fast 82.000 Menschen, die der russischsprachigen Minderheit in Estland angehören, sind jedoch sogenannte "Nicht-Bürger". Sie leben zwar in Estland, haben aber keine estnische Staatsbürgerschaft. Sie dürfen bei kommunalen, nicht aber bei nationalen Wahlen abstimmen.

Vaterlandspartei mit Fokus auf Familie

Die konservative Vaterlandspartei "Isamaa" ist aktuell Teil der Regierung. Die Partei sieht eine grundlegende Aufgabe darin, den estnischen Nationalstaat zu erhalten. Dazu müssen laut Vaterlandspartei die Geburtenrate steigen und Familie gestärkt werden – auch finanziell. Die Unterrichtssprache solle grundsätzliche Estnisch sein. Auch die Vaterlandspartei bekennt sich zur NATO und zur EU.

Sozialdemokraten für Arbeitnehmerrechte

Die Sozialdemokraten, ebenfalls Teil der aktuellen Regierungskoalition, setzen sich für eine bessere soziale Absicherung ein. Arbeitnehmerrechte sollen verbessert werden, etwa indem der Mindestlohn schrittweise auf 1.200 Euro erhöht werden soll. Die Partei will Ausgaben in die Forschung deutlich erhöhen und so die Wirtschaft stärken.

"E200" neu in der Parteienlandschaft

Zu den jüngeren Parteien des Landes zählt die liberale Partei "E200". Estland 200 setzt auf Investitionen in der Bildungs- sowie in der Sicherheitspolitik des Landes. Die Partei scheiterte 2019 an der Fünfprozenthürde (4,4 Prozent).

Ukrainekrieg und Inflation zentrale Wahlkampfthemen

Der Ukrainekrieg war ein wichtiges Wahlkampfthema. Die Sorge in dem Land ist groß, Russland könne die baltischen Staaten angreifen. Estland teilt eine fast 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Weitere Themen waren die im Zuge der hohen Energiepreise rasant gestiegene Inflation, die Renten- sowie die Bildungspolitik.

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