In Deutschland hat die Zahl einkommensarmer Menschen laut Armutsbericht des Externer Link: Paritätischen Gesamtverbands im Jahr 2021 einen historischen Höchststand erreicht: Die Armutsgefährdungsquote lag 2021 bei 16,6 Prozent. Demnach gibt es hier 600.000 mehr arme Menschen als vor der Pandemie – insgesamt 13,8 Millionen. 2006 hatte die Quote bei noch 14 Prozent gelegen. Durch die anhaltend hohe Inflationsrate verschärft sich die Lage weiter.
Mehr InformationenWie wird Armut definiert?
Grundsätzlich unterscheidet die Armutsforschung zwischen absoluter und relativer Armut. Als absolute Armut wird dabei ein Zustand definiert, in dem ein Mensch seine wirtschaftlichen und sozialen Grundbedürfnisse nicht befriedigen kann und unter dem Interner Link: Existenzminimum lebt. Relative Armut beschreibt Armut im Verhältnis zum jeweiligen gesellschaftlichen Wohlstandsniveau eines Landes: Demnach ist jemand relativ arm, wenn das Einkommen deutlich unter dem nationalen Durchschnittseinkommen liegt und dadurch die sozioökonomische und -kulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nur sehr eingeschränkt möglich ist.
In Deutschland wird die Interner Link: Armutsentwicklung häufig durch die sogenannte Armutsgefährdungsquote beschrieben. Diese gibt an, wie hoch der Anteil der armutsgefährdeten Personen an einer Gesamtgruppe ist. Die Messung der Armutsgefährdung orientiert sich an der relativen Definition von Armut. Als armutsgefährdet gelten Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens aller Haushalte in Deutschland, dem sogenannten Median, beträgt. 2021 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1.251 Euro netto im Monat, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2.627 Euro. Die Daten werden im Rahmen des Interner Link: Mikrozensus abgefragt.
Corona-Pandemie spitzte die Lage zu
Der wirtschaftliche Einbruch, der 2020 durch die Corona-Pandemie ausgelöst wurde, verschlechterte die Situation vieler Haushalte in Deutschland. Dies zeigt sich deutlich in der Armutsgefährdungsquote von 2021, die im Vergleich zu 2020 um 0,4 Prozentpunkte gestiegen ist. Besonders Selbstständige sind infolge der Pandemie überproportional oft unter die Armutsgrenze gerutscht. Auch Geringverdienerinnen und -verdiener verzeichneten damals sinkendende Haushaltseinkommen. Gleiches gilt für Menschen mit Migrationshintergrund sowie für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.
Durch die wirtschaftlichen Einbußen in der Corona-Pandemie erreichte die Armut unter Kindern und Jugendlichen einen neuen Höchstwert von 20,8 Prozent.
Inflation trifft Arme besonders
Ein neues Niveau erreichte die Armut durch den Ukrainekrieg und die dadurch steigenden Energiepreise. Die Inflationsrate lag im Oktober dieses Jahres 10,4 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Nahrungsmittel waren im selben Monat sogar um 20,3 Prozent teurer als im Oktober 2021. Preissteigerungen auf der Konsumebene führen dazu, dass das vorhandene Einkommen an Kaufkraft verliert. Der Realwert des Einkommens sinkt im Ausmaß der Inflationsrate. Dadurch schrumpft der materielle Lebensstandard. Laut Paritätischem Gesamtverband bedeutet das für Menschen, die Sozialleistungen beziehen, dass sie das Existenzminimum nicht mehr sichern können. Verteuern sich Nahrungsmittel und Energie, sind Menschen mit kleineren Einkommen besonders benachteiligt, da sie in der Regel einen größeren Teil dieses Einkommens für diese Produkte ausgeben.
Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat jeder dritte Haushalt keine nennenswerten Rücklagen. Viele Deutsche können die steigenden Preise aus eigener Kraft kaum kompensieren.
Vermögen sehr ungleich verteilt
Nach Angaben des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) lag das gesamte Nettovermögen in Deutschland im Jahr 2017 bei 7,78 Billionen Euro.
Vermögensverteilung
Das Vermögen ist dabei sehr ungleich verteilt: Werden die erwachsenen Personen nach der Höhe ihres Nettovermögens geordnet und dann in zehn gleich große Gruppen (Dezile) eingeteilt, so zeigt sich für das Jahr 2017, dass das reichste Zehntel über 56,1 Prozent des gesamten Vermögens verfügte. Das oberste Prozent hielt rund 18 Prozent des gesamten Vermögens – so viel wie die ärmsten 75 Prozent der Bevölkerung zusammen. Die untere Hälfte der Bevölkerung ab 17 Jahren hatte im Jahr 2017 einen Anteil am Nettogesamtvermögen von lediglich 1,3 Prozent.
Erwerbslose, Alleinerziehende und Studierende besonders oft arm
Besonders von Armut bedrohtInterner Link: sind Arbeitslose: Mit 47 Prozent war 2021 laut Statistischem Bundesamt fast jeder Zweite von ihnen armutsgefährdet. Die Ursachen sind vielfältig. So existiert z.B. ein großer Niedriglohnsektor in Deutschland, wodurch die Wahrscheinlichkeit groß ist, bei Arbeitslosigkeit in die Armut abzurutschen.
Auch Studierende sind überproportional betroffen: 37,9 Prozent von ihnen waren im Jahr 2021 armutsgefährdet. Ein großer Teil der Studierenden ist nicht in der Lage, unerwartete größere Ausgaben aus eigenen finanziellen Mitteln zu bezahlen. Nach wie vor schwer belastet sind zudem viele Interner Link: Alleinerziehende. Im vergangenen Jahr war mehr als ein Viertel der Personen aus Haushalten von Alleinerziehenden (26,6 Prozent) armutsgefährdet. Zum Vergleich: In Haushalten mit zwei Erwachsenen und einem Kind waren es nur 9 Prozent.
Kinder können das Armutsrisiko erhöhen. Mit jeder Geburt steigen die Ausgaben, anderseits erschwert die Betreuung der Kinder einen Ausgleich durch Mehrarbeit – oder führt sogar zu einer Reduzierung der Erwerbstätigkeit.
Frauen häufiger von Armut bedroht
Frauen sind hierzulande in allen Altersgruppen stärker armutsgefährdet als Männer: Im vergangenen Jahr waren 16,5 Prozent der Frauen armutsgefährdet, bei Männern lag dieser Wert bei 15,1. Unter Seniorinnen über 75 Jahren waren mehr als 21 Prozent armutsgefährdet, während gleichzeitig 15,9 Prozent Männern in dieser Altersgruppe gefährdet waren. Ursachen sind unter anderem, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten und weniger verdienen. Dadurch und durch die Tatsache, dass sie im Durchschnitt längere Erziehungszeiten einlegen, haben sie oft geringere Rentenansprüche. Die Armutsgefährdungsquoten aus dem Jahr 2020, aufgelistet nach sozio-ökonomischen Faktoren, stellt das bpb-Format Interner Link: Zahlen und Fakten ausführlich dar.
Die ersten zwei Entlastungspakete
Angesichts der rasant steigenden Preise hat die Bundesregierung seit Februar drei Entlastungspakete für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen auf den Weg gebracht. Im Februar 2022 beschloss die Bundesregierung das erste, im Mai 2022 das zweite Entlastungspaket.
Die Entlastungspakete enthielten Maßnahmen wie das Neun-Euro-Monatsticket, mit dem Bürgerinnen und Bürger von Juni bis August 2022 deutschlandweit den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen konnten. Für einkommensteuerpflichtige Erwerbstätige gab es zudem eine zu versteuernde einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro sowie einen Kinderbonus von 100 Euro für alle Familien. Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen erhielten einmalig 200 Euro bzw. von Arbeitslosengeld 100 Euro.
Drittes Entlastungspaket
Im September 2022 brachte der Bund ein drittes Entlastungspaket im Volumen von 65 Milliarden Euro auf den Weg. Der Maßnahmenkatalog umfasst unter anderem eine Strom- und Gaspreisbremse für Privathaushalte und Industrie. Allein dieser Energiekosten-Abwehrschirm soll bis zu 200 Milliarden Euro umfassen. Die Bundesregierung plant zudem ein vergünstigtes Verkehrsticket für den ÖPNV, dem sogenannten 49-Euro-Ticket. Über Details des geplanten Tickets, das im Mai 2023 eingeführt werden soll, verhandeln Verantwortliche von Bund, Ländern und Kommunen noch.
Ab Januar wird die bisherige Grundsicherung Hartz IV durch ein sogenanntes Bürgergeld ersetzt. Der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen steigt auf etwa 500 Euro, was einer Steigerung um zehn Prozent gleichkommt.
Kritik an Maßnahmen
Die Entlastungspakete wurden breit diskutiert und kritisiert. Teile der Opposition hielten sie für zu teuer, die Interner Link: Wohlfahrtsverbände für nicht zielgerichtet genug. Sie monierten, dass einerseits ärmere Schichten zu wenig entlastet und andererseits Wohlhabende von den Hilfen profitieren würden.
Auch aus EU-Ländern kam Kritik, z.B. aus Spanien und Italien. Sie monierten, dass nicht alle Länder die finanziellen Mittel hätten, um so umfangreiche Entlastungspakete zu verabschieden.
Mehr zum Thema