In der Nacht vom 22. auf den 23. November töteten zwei Interner Link: Rechtsextremisten bei zwei Brandanschlägen in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln aus rassistischen Motiven drei Menschen und verletzten neun weitere zum Teil schwer. In der Tatnacht griffen die Täter zwei von türkischstämmigen Familien bewohnte Häuser an. Sie verübten beide Angriffe mit Molotowcocktails – den ersten um ca. 0:30 Uhr in der Ratzeburger Straße, den zweiten gegen 1:00 Uhr in der Mühlenstraße. Bei dem ersten Brand gab es neun zum Teil schwer verletzte Personen. Der zweite Brandanschlag traf das Haus der Familie Arslan. Die 51-jährige Bahide Arslan und zwei ihrer Enkelinnen, die 14-jährige Ayşe Yilmaz und die 10-jährige Yeliz Arslan, starben bei dem Anschlag auf das Haus in der Mühlenstraße.
Einer der beiden Täter meldete die Brände anonym der Polizei und beendete seine Anrufe jeweils mit den Worten "Heil Hitler!". Die Täter, die der Skinhead-Szene zugeordnet werden, wurden wenige Tage nach der Tat festgenommen. Die Ermittlungen zu dem Brandanschlag zog die Bundesanwaltschaft an sich.
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht verurteilt Michael P. am 8. Dezember 1993 wegen dreifachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, Lars C. wurde zu zehn Jahren Haft nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten die Häuser gezielt hatten abbrennen wollen. Beide Täter wurden vorzeitig aus der Haft entlassen: Lars C. im Jahr 2000, Michael P. 2007.
Der Anschlag von Mölln erregte weltweit Aufsehen. In ganz Deutschland demonstrierten Tausende gegen Rechtsextremismus und Rassismus. An der Trauerfeier für die Opfer, Bahide Arslan, Ayşe Yilmaz und Yeliz Arslan, nahmen am 27. November 1992 in Hamburg mehr als 10.000 Menschen teil.
Mit den Brandanschlägen von Mölln erreichte die rechtsextreme Gewalt in Deutschland eine neue Stufe: Es waren die ersten rassistisch motivierten Anschläge im wiedervereinten Deutschland, bei denen Menschen starben. Die Morde waren Teil einer Reihe von rechtsextremen Anschlägen und Ausschreitungen, die die Bundesrepublik in den 1990er-Jahre erschütterten. Zwischen 1990 und 1992 kam es in Deutschland gehäuft zu rechtsextremen Gewalttaten. Allein für 1990 verzeichnete die Amadeu-Antonio-Stiftung insgesamt sieben Todesopfer rechtsextremer Gewalt. 1991 sind es acht Opfer. Das Jahr 1992 forderte 27 Tote.
Rechtsextreme Gewaltserie der 1990er-Jahre in Deutschland
Als Beginn der rechtsextremen Gewaltserie der 1990er-Jahre in Deutschland gelten die Interner Link: Ausschreitungen in Hoyerswerda. Im September 1991 ereigneten sich mehrere rassistisch motivierte Übergriffe, die sich gegen Bewohnerinnen und Bewohner eines Vertragsarbeiterwohnheims und einer Flüchtlingsunterkunft richteten. Asylsuchende und Vertragsarbeiter wurden nach mehrtägigen Ausschreitungen unter dem Beifall der umstehenden Menge aus ihren Unterkünften vertrieben und mit Brandflaschen und Steinen beworfen. An den Übergriffen waren bis zu 500 Menschen beteiligt.
Im August 1992, drei Monate vor den Anschlägen in Mölln, griffen Rechtsextreme ein Asylbewerberheim und eine Unterkunft für Vertragsarbeiter in Interner Link: Rostock-Lichtenhagen an. Die Ausschreitungen dauerten vor den Augen der Polizei und bis zu 3.000 Schaulustigen mehrere Tage an, Unterkünfte wurden in Brand gesetzt. Im darauffolgenden Jahr, im Mai 1993, wurden fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus im nordrhein-westfälischen Interner Link: Solingen aus rassistischen Motiven ermordet.
Im Osten Deutschlands verfestigten sich, auch vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der früheren DDR-Wirtschaft und der daraus resultierenden sozialen Umbrüche, rechtsextreme Strukturen besonders stark. Rechtsextremismus war in den 1990er-Jahren in den östlichen Bundesländern flächendeckend in der Jugendkultur verankert.
Im Laufe der 1990er-Jahre entwickelte sich der aufkommende Rassismus und Rechtsextremismus zu einem gesamtdeutschen Problem. Die rechtsextreme DVU zog 1991 in Fraktionsstärke in die Bremer Bürgerschaft und 1992 in den Landtag von Schleswig-Holstein ein. Die rechtsradikalen "Republikaner" bekamen bei der Landtagswahl 1992 in Baden-Württemberg 10,9 Prozent der Stimmen.
Verschärfung des Asylrechts
In den 1990er-Jahren beeinflusste die gestiegene Zahl von Flüchtlingen das politische Klima in Deutschland. Eine Ursache für die Zunahme waren die Jugoslawienkriege. Die Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP einigten sich 1993 mit der SPD auf den sogenannten "Asylkompromiss", der eine Änderung des Grundgesetztes zur Folge hatte: Geflüchtete, die sich zuvor in Drittländern oder "sicheren Herkunftsstaaten" aufgehalten hatten, haben seitdem keinen Anspruch mehr auf Asyl in Deutschland. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin die de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl in Deutschland.
Serie rechtsextremer Gewalt in der jüngeren Vergangenheit
Auch nach der Jahrtausendwende kam es immer wieder zu rassistischen und rechtsextremen Anschlägen und Ausschreitungen. Die Terrororganisation Interner Link: Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) mordete jahrelang unerkannt. Zwischen 2000 und 2007 tötete das Trio insgesamt neun Menschen aus rassistischen Motiven und eine Polizistin. Auch in der jüngeren Vergangenheit gab es zahlreiche Interner Link: rechtsterroristische Anschläge. Am 22. Juli 2016 erschoss der 18-jährige David S. Interner Link: aus rassistischen Motiven in München neun Menschen und sich selbst. Am 1. Juni 2019 erschoss ein Rechtsextremist den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor seinem Wohnhaus.
Interner Link: Am 9. Oktober 2019 versuchte der bewaffnete Rechtsextremist Stephan B. in Halle (Saale) am jüdischen Feiertag Jom Kippur erfolglos in eine Synagoge einzudringen, um dort versammelte Menschen zu töten. Nachdem ihm dies misslungen war, tötete er zwei Menschen außerhalb des Gotteshauses. Im Februar 2020 erschoss Tobias R. in Interner Link: Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen, seine Mutter und sich selbst.
Gedenkveranstaltungen
Auch in diesem Jahr wird den Opfern der Möllner Anschläge mit mehreren Gedenkveranstaltungen gedacht. Am 23. November soll es einen interreligiösen Gottesdienst geben. Anschließend ruft die Stadt Mölln zu einem Gang aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Orten der Brände in der Mühlenstraße und der Ratzeburger Straße auf. Für den 18. November hatte zudem die Türkische Gemeinde in Deutschland eine Gedenkveranstaltung organisiert.
Ibrahim Arslan, der den Brandanschlag in Mölln überlebte, kritisiert die offizielle Erinnerungskultur. Gegenüber dem NDR erklärte er, es sei nie gemeinsam mit den Betroffenen darüber nachgedacht worden, wie man mit dem offiziellen Gedenken umgehen soll. Seit 2013 veranstaltet er zum Jahrestag die "Möllner Rede im Exil", Interner Link: die dieses Jahr am 20.11. in Hamburg stattfand .
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