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Wahlen in Bosnien-Herzegowina 2022 | Hintergrund aktuell | bpb.de

Wahlen in Bosnien-Herzegowina 2022

Redaktion

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Am 2. Oktober wurde in Bosnien-Herzegowina gewählt. Die Wahlen fanden vor dem Hintergrund wachsender politischer Spannungen in dem Land statt und endeten mit Verlusten für die Nationalisten bei der Wahl zum Staatspräsidium.

Die Nationalflagge von Bosnien-Herzegowina. (© picture-alliance, Zoonar | Aleksey Butenkov)

In Bosnien-Herzegowina wurde am 2. Oktober unter anderem das Staatspräsidium neu gewählt. Es fungiert als kollektives Staatsoberhaupt und besteht aus drei direkt gewählten Vertretern der Hauptethnien des Landes: Bosniaken, Kroaten und Serben. Der Vorsitz im Staatspräsidium wechselt alle acht Monate.

Die nationalistischen Kandidaten für den kroatischen und bosniakischen Sitz haben die Wahl verloren. Nach Auszählung von etwa 85 Prozent der Stimmen hat sich der Vertreter der gemäßigten und pro-europäischen Demokratischen Front Željko Komšić für den kroatischen Sitz im Staatspräsidium durchgesetzt. Der Sozialdemokrat Denis Bećirović, der zu den nicht nationalistischen Reformern gezählt wird, konnte den bosniakischen Sitz gewinnen. Bei den Serben siegte die Nationalistin Željka Cvijanović. Sie ist eine Vertraute des Separatisten Milorad Dodik, der bislang den serbischen Sitz innehatte.

Zudem fanden in der Republika Srpska (RS) Präsidentschaftswahlen sowie die Wahl zum Entitätsparlament statt. In der Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH) wurde das Entitätsparlament sowie die Versammlungen der Kantone gewählt. Da die Stimmen noch nicht vollständig ausgezählt sind, liegen hier noch keine offiziellen Ergebnisse vor.

Bosnien-Herzegowina ist ein föderalistisch aufgebauter Staat, dessen komplexes Regierungssystem als Folge des Abkommens von Dayton von 1995 entstanden ist. Demnach besteht Bosnien aus zwei Entitäten: der Republika Srpska und der Föderation von Bosnien und Herzegowina, welche wiederum aus den mehrheitlich bosniakischen und kroatischen Landesteilen besteht.

Wer kandidierte für das Staatspräsidium?

Der Kroate Željko Komšić trat als einziger Vertreter aus dem bestehenden Staatspräsidium wieder zur Wahl an. Er vertritt die Demokratische Front. Seine Herausforderin war Borjana Krišto von der nationalkonservativen HDZ.

Für den bosniakischen Sitz im Staatspräsidium traten drei Bewerber an. Bakir Izetbegović, der Sohn des ersten Staatspräsidenten Alija Izetbegović, trat für die bonsiakisch-nationalistische Partei SDA an. Er war bereits von 2010 bis 2018 Mitglied des Staatspräsidiums. Die anderen beiden Mitbewerber waren Mirsad Hadžikadić von der zentristischen Plattform für Fortschritt (Platforma za progres), ein Informatikprofessor von der University of North Carolina, und der Sozialdemokrat Denis Bećirović.

Um den serbischen Sitz bewarben sich fünf Kandidatinnen und Kandidaten. Die pro-russischen und serbisch-nationalistischen Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) schickten die derzeitige Präsidentin der Republika Srpska, Željka Cvijanović, ins Rennen. Die SNSD ist die wichtigste politische Kraft in der serbischen Entität. Für die rechtsnationale Serbische Demokratische Partei (Srpska Demokratska Stranka, SDA) trat Mirko Šarović an, der bereits von 2002 bis 2003 Mitglied des Staatspräsidiums war. Vojin Mijatović bewarb sich für die Sozialdemokraten um einen Sitz im Staatspräsidium.

Wer regierte bislang?

Das kollektive Staatsoberhaupt Interner Link: Bosnien-Herzegowinas, das Staatspräsidium, wurde zuletzt 2018 gewählt. Es bestand aus folgenden Vertretern: Milorad Dodik von der Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (Savez nezavisnih socijaldemokrata, SNSD) als Vertreter der Serben; Željko Komšić von der Demokratischen Front BH (Demokratska fronta BH, DF) als Vertreter der Kroaten; und Šefik Džaferović von der Partei der Demokratischen Aktion (Stranka demokratske akcije, SDA) als Vertreter der Bosniaken.

Im gleichen Jahr wurde auch das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Die SNSD, der DF, die SDA sowie die Kroatische demokratische Gemeinschaft Bosnien und Herzegowinas (Hrvatska demokratska zajednica Bosne i Hercegovine, HDZ) und die Partei Vereintes Serbien (Ujedinjena Srpska, US) bildeten bislang die Regierung, den Ministerrat. Derzeitiger Vorsitzender des Ministerrates ist Zoran Tegeltija (SNSD).

Der hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina

Eine Besonderheit im politischen System des Landes ist die Rolle des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina. Dieses Amt geht auf das Friedensabkommen von Dayton zurück. Die Unterzeichner vereinbarten die Einsetzung eines Hohen Repräsentanten, der die Umsetzung des zivilen Teils des Abkommens überwachen soll. Das internationale Mandat wurde im Dezember 1995 durch Externer Link: Resolution 1031 des UN-Sicherheitsrates erteilt. Der Hohe Repräsentant wird vom Externer Link: Friedensimplementierungsrat ernannt, in dem Vertreter aus mehr als 40 Nationen sitzen. Nach Eigendefinition arbeitet er mit dem "Volk" und den "Institutionen" des Landes zusammen, damit Bosnien-Herzegowina eine "friedliche und lebendige Demokratie" werde.

In der Praxis hat der Hohe Repräsentant immense Machtbefugnisse: Er kann unter anderem Gesetze erlassen und demokratisch gewählte Politiker aus ihren Ämtern entfernen. Diese Befugnisse werden auch "Bonn Powers" genannt – weil sie 1997 vom Friedensimplementierungsrat auf einer Sitzung in Bonn beschlossen wurden. Seit 2021 ist der deutsche Politiker Christian Schmidt (CSU) als Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina im Amt.

Wie wird gewählt?

Bosnien-Herzegowina ist ein föderalistisch aufgebauter Staat, dessen komplexes Regierungssystem als Folge des Abkommens von Dayton im Jahr 1995 entstanden ist. Demnach besteht Bosnien aus zwei Entitäten: der Republika Srpska und der Föderation von Bosnien und Herzegowina, welche wiederum aus den mehrheitlich bosniakischen und kroatischen Landesteilen besteht. Es gibt zwei bundesstaatliche Institutionen, die alle vier Jahre neu gewählt werden.

Einerseits das Staatspräsidium, welches als kollektives Staatsoberhaupt fungiert: Es besteht aus drei direkt gewählten Vertretern der Hauptethnien. Der Vorsitz im Staatspräsidium wechselt alle acht Monate. Andererseits das Abgeordnetenhaus von Bosnien und Herzegowina mit 42 Abgeordneten, von denen 28 aus der Föderation von Bosnien und Herzegowina stammen und 14 aus der Republika Srpska. Die Wahlen finden in beiden Entitäten getrennt statt. In der Föderation von Bosnien und Herzegowina werden 21 Sitze in fünf Mehrpersonenwahlkreisen nach den Regeln des Verhältniswahlrechts vergeben. Sieben weitere Sitze dienen als Ausgleichsmandate. In der Republika Srpska werden neun Abgeordnete in drei Mehrpersonenwahlkreisen bestimmt, fünf weitere über Ausgleichsmandate. Die Bürgerinnen und Bürger im Gebiet Brčko, das etwa ein Prozent der Staatsfläche ausmacht, müssen sich entscheiden, in welcher Entität sie ihre Stimme abgeben wollen. Das Abgeordnetenhaus ist die zweite Kammer des Parlaments. Die erste Kammer ist das Haus der Völker von Bosnien und Herzegowina.

Darüber hinaus gibt es noch separate Entitätsparlamente in der Föderation von Bosnien und Herzegowina sowie in der Republika Srpska. Beide Entitäten haben auch eigene Regierungen und eigene Staatsoberhäupter. In der Föderation von Bosnien und Herzegowina wird der Präsident indirekt durch Abgeordnete gewählt, in der Republika Srpska direkt durch das Volk.

Das Wahlalter liegt bei 18 Jahren.

Wachsende Spannungen

Die vergangenen vier Jahre waren politisch von wachsenden Spannungen geprägt. International sorgte das Parlament der Republika Srpska (RS) Ende 2021 mit einem Abspaltungsbeschluss für Aufsehen. Demnach wollen sich die bosnischen Serben aus der gemeinsamen Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern, Justiz, Sicherheit und Verteidigung zurückziehen. Verantwortlich für diese Initiative war Milorad Dodik, der serbische Vertreter im Staatspräsidium.

Auch kroatische Nationalisten trugen zu politischer Instabilität bei. Der aus der kroatischen HDZ stammende Finanzminister Vjekoslav Bevanda sorgte beispielsweise dafür, dass die Finanzierung der jetzigen Wahlen zwischenzeitlich als unsicher galt. Ziel der HDZ war es, eine Wahlrechtsreform zu erzwingen, die den Interessen der HDZ entsprochen hätte.

Das politische System steht in der Kritik: Einerseits sind die Institutionen auf eine konsensbasierte Politik ausgelegt, andererseits werden die Institutionen immer wieder für Machtkämpfe missbraucht.

Kampf um ein neues Wahlrecht

Schon der Start in den Wahlkampf wurde zu einem Politikum von internationaler Tragweite. Die kroatische Regierung unterstützte die Forderung der bosnischen HDZ nach einer Reform des Wahlrechts. Im Kern ging es unter anderem darum, dass eine Drei-Prozent-Hürde für die Entsendung von Vertretern in das Haus der Völker festgeschrieben werden sollte: Das hieße, dass Vertreter von Ethnien, die weniger als drei Prozent der Bevölkerung in einem bestimmten Kanton stellen, kein Recht auf Repräsentanz mehr hätten. Auf eine solche Regelung drängt die HDZ. Und die kroatische Regierung drohte zwischenzeitlich, die Interner Link: Nato-Aufnahme von Schweden und Finnland zu blockieren, wenn der Hohe Repräsentant Christian Schmidt nicht das Wahlgesetz dementsprechend verändern würde. Dabei wurde die kroatische Regierung von Großbritannien und den USA in ihrer Position unterstützt.

Im Juli legte Schmidt Vorschläge zur Änderung des Wahlgesetzes vor, die tatsächlich die Einführung einer Drei-Prozent-Hürde beinhalteten. Der HDZ wäre es damit möglich gewesen, das Haus der Völker zu blockieren. Nach massiver Kritik ruderte der Hohe Repräsentant zurück. Ende Juli machte Schmidt von seinen "Bonn Powers" Gebrauch und legte ein "Transparenzpaket" vor, das nunmehr nur noch einige technische Änderungen des Wahlgesetzes beinhaltete. Ende August startete Schmidt eine neue Beratungsrunde zur Änderung von Wahlgesetz und Verfassung.

Bosnien-Herzegowina weist eine verhältnismäßig sehr hohe Arbeitslosenquote auf. Sie betrug im Jahr 2021 15,8 Prozent und war damit mehr als doppelt so hoch wie die Quote im EU-Durchschnitt. Bosnien-Herzegowina hat 2016 seine Bewerbung zum Beitritt in die EU eingereicht. Der Status als Beitrittskandidat soll gewährt werden, wenn das Land eine umfangreiche Reform des Wahlrechts und der Verfassung umsetzt.

Mehr zum Thema:

Interner Link: Nicolas Moll: Bosnien und Herzegowina (Dossier Südosteuropa)

Interner Link: Nenad Stefanow: Grenzen und Grenzziehungen in Südosteuropa (Dossier Südosteuropa)

Interner Link: Vor 30 Jahren: Beginn des Bosnienkrieges (Hintergrund aktuell, April 2022)

Interner Link: Martina Fischer: Bosnien-Herzegowina (Dossier Kriege und Konflikte, 12.11.2020)

Interner Link: Vor 25 Jahren: UN-Sicherheitsrat beschließt Friedensmission für Kroatien und Bosnien-Herzegowina (Hintergrund aktuell, Februar 2017)

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