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Neuwahlen in Bulgarien

Redaktion

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Nach dem Auseinanderbrechen der Regierungskoalition in Bulgarien fanden am 2. Oktober Neuwahlen statt. Es war der vierte Urnengang seit April 2021. Die Bildung einer stabilen Regierung dürfte abermals schwierig werden.

Ein Passant vor dem Gebäude des bulgarischen Parlaments in Sofia. (© picture alliance / EPA)

Am 2. Oktober wählt Interner Link: Bulgarien (BGR) ein neues Parlament. Die vorgezogenen Neuwahlen wurden nötig, weil im Juni die erst ein halbes Jahr zuvor von vier Parteien gebildete pro-westliche Regierungskoalition zerbrach. Dem Bündnis hatten die Anti-Korruptionspartei "Wir setzen den Wandel fort" (PP), die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP), Demokratisches Bulgarien (DB) sowie "Es gibt so ein Volk" (ITN) angehört. Nachdem letztere aus der Koalition ausstieg, verlor Ministerpräsident Kiril Petkow (PP) die Mehrheit im Parlament.

Mit 25,3 Prozent stärkste Kraft wurde die Partei GERB von Ex-Premierminister Bojko Borissow. Dahinter lag PP mit 20,2. Die Partei DPS erhielt 13,8 Prozent. Viertstärkste Kraft wurde die als pro-russisch geltende Vazrazhdane (deutsch: Wiedergeburt) mit 10,2 Prozent. Die BSP erhielt 9,3 Prozent der Stimmen. Mit 7,4 Prozent zog die Partei DB ins Parlament ein. ITN verpasste den Einzug ins Parlament mit 3,8 Prozent knapp.

Erneut schwierige Regierungsbildung erwartet

Da GERB bei der Wahl die stärkste Kraft wurde, dürfte dessen Vorsitzender Borissow Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten erheben. Seine Chancen eine Regierung zu bilden, stehen Beobachtern zufolge aber eher schlecht. Die GERB ist politisch isoliert, weil sie von den meisten Parteien im Lande für die grassierende Korruption verantwortlich gemacht wird. Petkow und die PP dürften aufgrund der anhaltenden Zersplitterung der Parteienlandschaft und sehr großer Konflikte mit theoretisch möglichen Koalitionspartnern auf zentralen Politikfeldern ebenfalls massive Probleme haben, eine tragfähige Regierung zu bilden.

Scheitert eine Regierungsbildung erneut würde das Land weiterhin von einer von Präsident Radew ernannten Übergangsregierung regiert werden. Und in der Zeit eines aufgelösten Parlaments hat das eher pro-russische Staatsoberhaupt enorme Machtbefugnisse, weshalb manche Beobachter eine Annäherung an den Kreml fürchten.

Gründe für das Scheitern der Regierung

Insbesondere um Haushaltsfragen hatte es Streit zwischen den Partnern gegeben. Der Vorwurf: Petkows Kabinett habe wirtschafts- und finanzpolitisch zu wenig gegen die hohe Inflation getan, die im Juni mit 17 Prozent einen Höchststand erreichte. Auch Unstimmigkeiten um eine mögliche Annäherung an das Nachbarland Interner Link: Nordmazedonien und die Haltung gegenüber einer möglichen Aufnahme des Nachbarlandes in die EU waren ein Grund für das Auseinanderbrechen der Regierung.

Beim ersten erfolgreichen Misstrauensvotum in der bulgarischen Geschichte im Juni hatte eine knappe Mehrheit der 240 Parlamentarier gegen die Regierung gestimmt. Den Antrag zum Sturz Petkows eingebracht hatte die größte Oppositionsfraktion Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB). Drei vom als pro-russisch geltenden Staatspräsidenten Rumen Radew unternommene Versuche, eine Partei mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen, scheiterten in der Folge.

Im August setzte Staatspräsident Radew ein Übergangskabinett aus Experten ein. Es wird von dem ihm nahestehenden früheren Sozialminister Galeb Donew geführt. Dieser soll insbesondere die Energie- und Nahrungsmittelversorgung des ärmsten EU-Landes sichern und die massiv gestiegene Inflation bekämpfen. Nicht zuletzt die Gasversorgung bereitet vielen Bulgaren Sorge. Das Land bezog vor dem Ukrainekrieg dreiviertel seines Erdgases aus Interner Link: Russland – Moskau hatte die Lieferungen jedoch bereits Ende April eingestellt, da Bulgarien sich weigerte, seine Gas-Rechnungen in Rubel zu bezahlen.

Gescheiterte Mehrheitsbildungen

Die Abstimmung am 2. Oktober war die vierte Parlamentswahl innerhalb von rund eineinhalb Jahren. Bei der Wahl im April 2021 war die konservativ-nationale GERB des langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borissow zwar erneut stärkste Kraft. Doch die Regierungsbildung scheiterte aufgrund fehlender Koalitionspartner. Bei den nächsten vorgezogenen Interner Link: Neuwahlen im Juli 2021 wurde dann die Partei "Es gibt ein solches Volk" (Ima takaw narod, ITN) mit etwa einem Viertel der Sitze stärkste Kraft. Knapp dahinter folgte die GERB. In der Folge scheiterten die Versuche beider Parteien zu einer Regierungsbildung erneut.

Aus der Interner Link: erneuten Wahl im November 2021 ging schließlich "Wir setzten den Wandel fort" (Prodlschawame promjanata, PP) mit Spitzenkandidat Petkow als stärkste Kraft hervor. Mit knapp 26 Prozent der Stimmen musste sich die Partei weitere Koalitionspartner suchen. Die Viererkoalition unter PP-Führung hatte sich unter anderem die Umsetzung mehrerer Justizreformen, die Korruptionsbekämpfung, den Kampf gegen Corona und einen wirtschaftlichen Wiederaufschwung zum Ziel gesetzt. Ab dem Frühjahr standen zunehmend der Ukrainekrieg, das Verhältnis zu Nordmazedonien, die Energiekrise und die explodierenden Preise im Fokus der Regierung. Die sehr unterschiedliche Ausrichtung der Parteien in zentralen politischen Fragen war von Beginn an eine Hypothek für die Petkow-Regierung und führte zum Auseinanderbrechen des Bündnisses.

Die bisher größte Oppositionspartei ist GERB (Graschdani sa ewropejsko raswitie na Balgaria, deutsch: Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens). Die Mitte-Rechts-Partei stellte mit einer kurzen Unterbrechung von 2009 bis 2021 den bulgarischen Ministerpräsidenten, konnte danach aber v.a. wegen ihrer Verwicklung in mehrere Korruptionsaffären keine mehrheitsfähige Koalition mehr zustande bringen. Innenpolitisch ist die GERB konservativ, außenpolitisch bekennt sie sich zur Westbindung des Landes, ökonomisch verfolgt sie ein wirtschaftsliberales Programm.

Die Partei "Wir setzten den Wandel fort" (bulgarisch: Prodalschawame promjanata, PP) von Spitzenkandidat Petkow sieht sich vor allem als Kraft gegen die grassierende Korruption. Im Externer Link: Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Bulgarien 2021 auf Platz 78 und damit hinter allen anderen EU-Staaten. Das im September 2021 als Wahlkoalition von den beiden Harvard-Absolventen Kiril Petkow und Assen Wassilew gegründete Bündnis positioniert sich in vielen Politikfeldern im Mitte-Links-Spektrum. Außenpolitisch ist die PP EU-freundlich.

Spitzenkandidat der erst 2020 gegründeten populistischen Mitte-Rechts-Partei ITN (Ima takaw narod, deutsch: Es gibt ein solches Volk) war der Sänger und TV-Moderator Slawi Trifonow. Bei der Wahl im Juli 2021 war "Es gibt ein solches Volk" noch auf 24 Prozent, im November nur mehr auf 9 Prozent gekommen.

So wird das Parlament gewählt und das sind seine Aufgaben

Die Volksvertretung Bulgariens ist ein Einkammerparlament. Die 240 Abgeordneten der Narodno Sabranie ("Volksversammlung") werden per Verhältniswahl in 31 Wahlkreisen gewählt. Die Verfassung sieht eine Legislaturperiode von vier Jahren vor.

Zur Wahl stellen sich Parteien mit ihren Listen. Wählerinnen und Wähler können mit einer Präferenzstimme in sehr begrenztem Umfang Einfluss darauf nehmen, wer über die Liste für eine Partei ins Parlament einzieht. Sowohl für Parteien und Parteikoalitionen gilt eine Vier-Prozent-Hürde für den Einzug in die Volksversammlung.

Bulgarien ist eine parlamentarische Demokratie mit präsidialen Elementen. Der direkt vom Volk gewählte Präsident hat in manchen Fragen, etwa der Außen- und Verteidigungspolitik, große Mitspracherechte. So ist das bulgarische Staatsoberhaupt auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. In Ausnahmesituation hat er sehr große Machtbefugnisse.

Die Bulgarische Sozialistische Partei (Bălgarska Socialističeska Partija, BSP) steht für einen massiven Ausbau des Sozialstaats. Spitzenkandidatin war Korneliya Ninova. Die Partei gilt als EU-kritisch. Auch wird ihr eine Nähe zum Kreml nachgesagt. In der letzten Regierung unterstützte die BSP jedoch Petkows pro-westlichen Kurs in weiten Teilen.

Die von Mustafa Karadaji angeführte Bewegung für Rechte und Freiheiten (Dwischenie sa Prawa i Swobodi, DPS) repräsentiert vor allem die Interessen der türkischen Minderheit in Bulgarien und pflegt gute Kontakte zu Ankara. Sie versteht sich selbst als liberal und gilt als ethno-religiös.

Die vierte bis Juni an der Regierung beteiligte Partei "Demokratisches Bulgarien" (Demokratitschna Balgarija, DB) will Korruption bekämpfen und vertritt einen Mix aus liberalen, rechten und grünen Positionen.

Die ultra-nationalistische Partei Vŭzrazhdane (Wiedergeburt) zog im November mit rund 5 Prozent der Stimmen erstmals ins Parlament ein und gilt als pro-russisch.

Zentrale Themen im Wahlkampf waren die Gaskrise, die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten und die Haltung gegenüber Russland und der Ukraine. Und wie bei den vergangenen Wahlen, ist die weit verbreitete Interner Link: Korruption ein wichtiges Thema.

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