Italien hat ein neues Parlament gewählt. Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Mario Draghi Mitte Juli fanden am 25. September Neuwahlen statt. Dabei hat nach ersten Hochrechnungen des staatlichen Fernsehens RAI die rechts-nationale Partei Fratelli d’Italia die Wahlen klar für sich entschieden. Das Bündnis unter der Führung von Giorgia Meloni erreichte etwa 25,7 Prozent und lag damit deutlich vor der Partito Democratico, die nur 19,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Der rechts-konservative Block mit Fratelli d’Italia, der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia von Silvio Berlusconi erreichte insgesamt etwa 43 Prozent. Damit könnte Fratelli d’Italia mit Giorgia Meloni die erste Ministerpräsidentin Italiens stellen. Die Wahlbeteiligung lag nur bei knapp 64 Prozent und erreichte damit einen historischen Tiefstand. An der 2018 hatten noch knapp 74 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen.
Regierungskrisen nach 2018
Die Interner Link: Parlamentswahl 2018 hatte keine klaren Mehrheiten hervorgebracht. Die damals eher in der politischen Mitte angesiedelte Movimento 5 Stelle (deutsch: Fünf-Sterne-Bewegung), die auf 33 Prozent der Stimmen gekommen war, bildete 2018 zunächst unter ihrer Führung eine Koalition mit der rechten Lega per Salvini Premier (deutsch: Liga für Salvini). Ministerpräsident wurde der damals parteilose Giuseppe Conte. Das Bündnis zerbrach 2019, nachdem der damalige Innenminister Matteo Salvini (Lega) wegen Streitigkeiten mit der Fünf-Sterne-Bewegung vorgezogene Parlamentswahlen gefordert hatte. Conte und die M5S schmiedete daraufhin ein Bündnis mit mehreren linken Parteien, darunter auch der Partito Democratico (deutsch: Demokratische Partei) – doch im Februar 2021 büßte Conte seine Mehrheit im Parlament ein, auch diese Koalition scheiterte. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hatte daraufhin das Amt als Ministerpräsident übernommen. Nur wenige Monate später folgte die nächste Regierungskrise, nachdem die Movimento 5 Stelle Draghi in einer wichtigen Abstimmung die Unterstützung verweigert hatte. Einem Vertrauensvotum, das der Ministerpräsident im Senat stellte, blieben mehrere Koalitionspartner fern. Draghi trat daraufhin zurück, leitete aber bis zu den Neuwahlen eine Übergangsregierung.
Mehr InformationenDas italienische Wahlsystem
Das italienische Parlament besteht aus zwei gleichberechtigten Kammern: dem Abgeordnetenhaus und dem Senat. Aufgrund eines Verfassungsreferendums im Jahr 2020 wird die Zahl ab dieser Wahl in beiden Kammern um mehr als ein Drittel reduziert: Dem Abgeordnetenhaus gehören künftig 400 Abgeordnete an, der Senat zählt dann 200 Senatorinnen und Senatoren. Die italienische Bevölkerung wählt ihr Parlament seit 2018 nach einem so genannten "Grabenwahlsystem". Gut 37 Prozent der Sitze in beiden Parlamentskammern werden nach einem Mehrheitsverfahren an Direktkandidatinnen und -kandidaten vergeben, rund 61 Prozent gehen unter Anwendung des Verhältniswahlrechts an die Listenkandidaten der Parteien. Acht Sitze im Unterhaus und vier Sitze im Senat werden von italienischen Bürgerinnen und Bürgern im Ausland gewählt. Nachdem das Wahlalter für den Senat zuletzt gesenkt wurde, liegt dieses nun für beide Kammern bei 18 Jahren.
Auf den einzelnen Wahllisten darf kein Geschlecht zu mehr als 60 Prozent vertreten sein. Jahrzehntelang war die italienische Parteienlandschaft auch aufgrund fehlender Sperrklauseln stark zersplittert. Die Regierungsbildung verlief in den vergangenen Jahrzehnten daher traditionell schwierig – immer wieder wurde das Wahlrecht deshalb reformiert. Aktuell gilt in beiden Kammern für Einzelparteien eine Drei-Prozent-Hürde, für Parteibündnisse liegt die Hürde bei zehn Prozent. Das Wahlsystem benachteiligt dabei kleinere Parteien – auch, weil diese seltener Direktmandate gewinnen.
"Mitte-Rechts war anders als Mitte-Links in der Lage ein breites Parteienbündnis zu schmieden, was ein großer Vorteil ist, auch, weil es mehr Direktmandate bringt", sagt der in Italien lebende und für das Goethe-Institut tätige Politikwissenschaftler Roman Maruhn gegenüber bpb.de. Auch Nino Galetti, Politologe und Leiter des italienischen Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, sieht Mitte-Rechts nicht zuletzt wegen des gemeinsamen Bündnisses im Vorteil.
Von dem Rechtsruck profitierten vor allem die Fratelli d'Itali unter der Spitzenkandidatin Giorgia Meloni: Jeder Vierte wählte laut HOchrechnungen die 2012 gegründete Partei – 2018 war die FdI dagegen gerade einmal auf vier Prozent gekommen. Die Partei versucht unter anderem mit nationalistischen Tönen in der Migrations- und Flüchtlingspolitik die Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Sie steht zudem für ein streng konservatives Familienbild, lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe ab und will Abtreibungen erheblich erschweren. Für die von der Energiekrise betroffene italienische Bevölkerung fordert Meloni rasche Hilfen. Zuletzt betonte sie, dass sie als Regierungschefin die Interessen Italiens über die Europas stellen würde. Außerdem fordert die Partei eine Direktwahl des Präsidenten, der zugleich mehr Kompetenzen bekommen solle.
Fratelli d'Italia – national-konservativ oder rechtsextrem?
Der Innsbrucker Politik-Professor Günther Pallaver sieht in Fratelli d'Italia eine "eindeutig rechtsextreme Partei". Ihr Mittelbau komme wie Meloni in weiten Teilen aus dem neofaschistischen "Movimento Sociale Italiano" (deutsch: Italienische Sozialbewegung). Auf EU-Ebene arbeite die Partei mit anderen rechtsextremen Parteien zusammen. Maruhn ordnet die Partei dagegen als "national-konservativ, teils rechts-konservativ" ein. In gewissen Strömungen der Partei gebe es "ausländerfeindliche" Tendenzen. Galetti vermisst bei den Fratelli d'Itali "eine klare Abgrenzung zu Rechtsextremen".
Laut Maruhn profitiert Fratelli d'Italia davon, dass man eine weibliche Spitzenkandidatin habe, was in Italien keine Selbstverständlichkeit sei. Ein weiterer Vorteil für sie ist, so Pallaver, dass die Partei bei den Problemen des Landes stets drauf verweisen könne, bislang nicht an der Regierung gewesen zu sein.
Lega – "stark föderalistisch und konservativ" bis in Teilen "rechtsextrem"
Teil des Mitte-Rechts-Bündnisses ist auch die Interner Link: Lega. Als 1989 gegründete Partei ist sie im volatilen italienischen Parteiensystem mittlerweile eine Konstante. Lange Zeit war die Partei, die bis 2018 noch "Lega Nord" hieß, Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftlern zufolge eine im italienischen Parteienspektrum weit rechtsstehende separatistische Partei, die sich vor allem den Interessen Norditaliens verschrieben hatte. Seit 2013 wird die Lega von Matteo Salvini geführt, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die Partei zu einer landesweiten Kraft zu machen. Salvini sorgte in seiner Zeit als Innenminister von Juni 2018 bis September 2019 mit seiner von Kritikern als inhuman gegeißelten Flüchtlingspolitik für Schlagzeilen.
Mit extremistischen Tönen in der Migrationspolitik schaffte die Lega es bei der Europawahl vor drei Jahren auf 34 Prozent der Stimmen. Bei der Parlamentswahl 2022 erreichte sie nur noch 8,6 Prozent.
Forza Italia – "eine stark auf Berlusconi zugeschnittene Partei"
Mit großen Verlusten ging der dritte Partner des Mitte-Rechts-Bündnisses aus der Wahl hervor: Die 1994 vom später viermaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gegründete Partei Forza Italia (Vorwärts Italien) erreichte lediglich acht Prozent, was einer Halbierung ihres Stimmenanteils im Vergleich zur Wahl 2018 entspricht.
Der 85-Jährige Berlusconi ist in Italien umstritten. Er wurde in der Vergangenheit mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, etwa wegen Steuerbetrugs. Sowohl Maruhn als auch Pallaver sehen in Forza Italia "eine stark auf Berlusconi und dessen Interessen zugeschnittene Partei". Die Partei sei einst rechtspopulistisch gewesen, gilt mittlerweile jedoch als konservativ-wirtschaftsliberal.
Partito Democratico ohne Bündnispartner
Zweitstärkste Partei wurde die Partito Democratico. Sie konnte leicht zulegen und schnitt mit 19,6 Prozent etwas besser ab, als bei der Parlamentswahl vor vier Jahren. Die 2007 gegründete Partei vertritt klassisch sozialdemokratische Inhalte. Die PD fordert einen starken Sozialstaat und setzte zuletzt programmatisch stark auf Hilfen für junge Arbeitslose, Studierende und generell für von den explodierenden Energiepreisen betroffene Menschen. Die Partei gilt als pro-europäisch und bekennt sich zur Interner Link: NATO-Mitgliedschaft. Ihr Spitzenkandidat ist Enrico Letta.
Versuche der PD aus wahltaktischen Gründen vorab eine Koalition mit M5S zu bilden, scheiterten. Auch mehrere andere linke Parteien lehnten eine Zusammenarbeit vorab ab. Ein mögliches Bündnis mit der Mitte-Links angesiedelten Partei Italia Viva (deutsch: Lebendiges Italien) des Ex-PD-Vorsitzenden Matteo Renzi kam nicht zustande. Eine kurzzeitige Allianz mit der sozialliberalen Partei Azione des einstigen Wirtschaftsministers Carlo Calenda löste sich bereits nach einigen Tagen wieder auf. Stattdessen traten Azione und Italia Viva mit einer gemeinsamen Liste an. Diese erreichte etwas mehr als sieben Prozent.
Fünf-Sterne-Bewegung verliert an Zuspruch
Die als populistisch geltende Partei Movimento 5 Stelle unter der Führung von Guiseppe Conte will sich keinem Lager zuordnen lassen. Sie erreichte16,3 Prozent und halbierte damit ihr Ergebnis. Die Partei setzt sich unter anderem für ein Grundeinkommen als Sozialleistung ein.
Die Wahlaussichten der M5S hat nicht zuletzt die Spaltung der Partei im Juni eingetrübt: Außenminister Luigi Di Maio verließ mit zahlreichen Abgeordneten die Fraktionen in beiden Parlamentskammern und gründete eine eigene Partei: Die zum Mitte-Links-Bündnis gehörende Impegno Civico (deutsch: Bürgerengagement). Grund für die Spaltung war die kritische Haltung Contes zu Waffenlieferungen an die Ukraine, die Di Maio befürwortet.
Themen im Wahlkampf: Inflation und mögliche Einflussnahme Russlands
Die Inflation und die in Italien stark gestiegenen Energiepreise sind wichtigste Themen des Wahlkampfs. Alle Parteien versprachen mehr oder weniger umfangreiche Hilfen für betroffene Bürgerinnen und Bürger. Diskutiert wurde etwa über die Einführung eines Gaspreisdeckels. Meloni und die Fratelli d'Italia kritisieren insbesondere die EU sowie Deutschland und versuchten mit Polemik bei den Wählerinnen und Wählern zu punkten.
Vor dem Hintergrund der steigenden Preise spielte auch die Sozialpolitik eine wichtige Rolle: Während die Fratelli d'Italia die Abschaffung des sogenannten Grundeinkommens fordern, machten sich insbesondere die PD und Fünf-Sterne-Bewegung für dessen Beibehaltung stark. Andere Parteien versuchen mit der Forderung von Steuersenkungen Stimmen zu gewinnen – so etwa die Lega.
Ein weiteres Thema im Wahlkampf war eine mögliche russische Einflussnahme auf die Wahl, etwa in Form der Finanzierung von Parteien durch Moskau. In den Fokus der Debatte geriet hier insbesondere die Lega , die laut Politikwissenschaftler Maruhn "enge Beziehungen zu den russischen Machthabern" unterhält.
Eine breite Debatte führte die italienische Öffentlichkeit im Wahlkampf zuletzt über die Migrationspolitik. Rechte Parteien wie die Fratelli d'Italia fordern einen härteren Kurs in der Einwanderungspolitik, insbesondere bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Ihre Vorsitzende Giorgia Meloni sprach sich gar für eine Seeblockade im Mittelmeer aus. Eine Position, die neben der PD von den meisten anderen Parteien ablehnt wird. Die Klimakrise spielte im Wahlkampf lange eine untergeordnete Rolle. Erst mit den jüngsten Unwettern in Italien wurde sie aufgegriffen.
Niedrige Wahlbeteiligung – viele Unentschlossene
Meinungsforschern zufolge waren gut 40 Prozent der Italienerinnen und Italiener zuletzt noch unentschlossen, für wen sie stimmen wollen. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 64 Prozent. Dies liegt laut Expertinnen und Experten nicht nur an der Unzufriedenheit vieler italienischen Menschen mit den antretenden Parteien, sondern auch an dem Wahltermin. "Erstmals wird Ende September, kurz nach Ende der Sommerferien gewählt", so Politikwissenschaftler Maruhn. Dies habe den Wahlkampf und die Mobilisierung für die Parteien erschwert. Auch Pallaver spricht angesichts des Wahltermines von großen Problemen bei der Wählermobilisierung – vor allem im linken Lager.
Unter einer Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wird erwartet, dass Italien eine nationalistischere Politik betreiben wird. Auch wenn sich Meloni zur EU- und Euro-Mitgliedschaft des Landes bekannt hat: Die Befürchtung ist groß, dass sich Italien unter den Fratelli d'Italia künftig stärker an Russland orientieren könnte. Der Politikwissenschaftler Günter Pallaver befürchtet zudem mögliche Einschränkungen bei der Pressefreiheit und eine Schwächung der Unabhängigkeit der Justiz.
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