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Gravierendes Wasserdefizit in Europa | Hintergrund aktuell | bpb.de

Gravierendes Wasserdefizit in Europa Interview mit Dr. Andreas Marx

Redaktion

/ 7 Minuten zu lesen

Europa ist von heftigen Dürren geplagt. Ein solches Wasserdefizit hat der Klimaforscher Andreas Marx auf dem Kontinent bislang noch nicht erlebt. Ist die Trinkwasserversorgung gefährdet?

Ein mit vertrockneten Muscheln und Algen bedecktes Kinderfahrrad liegt auf dem Gestein des weitgehend ausgetrockneten Flussbetts in Bingen am Rhein. (© picture-alliance/dpa, Frank Rumpenhorst)

Externer Link: Dr. Andreas Marx ist seit 2009 Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Der Klimaforscher verantwortet das Informationsportal des Deutschen Dürremonitors und war zuletzt Wissenschaftlicher Koordinator Anpassung in der Helmholtz Klimainitiative.

bpb.de: Italien erlebt gerade das trockenste Jahr seit mindestens zwei Jahrhunderten. Manche Städte wie Verona haben den Gebrauch von Trinkwasser stark rationiert. Auch anderswo in Südeuropa wurde wegen Wasserknappheit der Notstand ausgerufen. Wie dramatisch ist die Lage in Europa?

Andreas Marx: Europa ist großflächig von Dürren betroffen – von der Ukraine über Zentraleuropa bis Italien und Frankreich. Spanien und Portugal sind sogar flächendeckend von Dürre betroffen. Ein so großes kontinentales Wasserdefizit habe zumindest ich bislang noch in keinem Jahr wahrgenommen. Die Böden sind in vielen Ländern stark ausgetrocknet. Das Pflanzenwachstum ist deshalb nicht so, wie es in normalen Jahren wäre.

In Deutschland sind die Niederschläge seit Wochen gering, die Pegel vieler Flüsse stark gesunken. Auch 2018, 2019 und 2020 hatten wir sehr trockene Sommer.

Es ist nicht das Problem, dass die Böden mal trocken sind. Das Problem ist, dass die Böden über Jahre hinweg bis in große Tiefen hinein ausgetrocknet sind. Der Niederschlag, der seit Mitte 2018 gefallen ist, hat nicht gereicht, um die Böden wieder ausreichend feucht zu machen. In der Folge wird das Grundwasser nur noch wenig gespeist: Denn damit sich neues Grundwasser bilden kann, muss der Boden so nass sein, dass der Niederschlag durch den Boden bis zum Grundwasser durchlaufen kann. Die zuletzt trockenen Böden bedingen dagegen, dass die Grundwasserstände stagnieren oder fallen. Als Folge haben wir auf Deutschlands Flüssen fast überall extrem niedrige Pegelstände. Das hängt damit zusammen, dass ein großer Teil des Wassers in den Flüssen im Sommer normalerweise nicht aus der Welle von oben kommt, sondern über das Grundwasser seitlich in die Flüsse fließt. Wenn wie vielerorts die Grundwasserstände jedoch seit Jahren fallen, bedeutet dies, dass weniger Wasser in die Flüsse fließt und die Pegel deutlich sinken. So gab es dieses Jahr auf dem Rhein schon außergewöhnlich früh Probleme, die Kohle per Schiff zu den Kraftwerken zu bringen. Auch Konzerne wie BASF haben wegen des Niedrigwassers Probleme bei der Lieferung von Rohstoffen.

Inwieweit wird die Trinkwasserversorgung beeinträchtigt?

Wir haben bei der Trinkwasserversorgung nur lokal Probleme. Deutschland hat eine unglaublich gute, regional vernetzte Infrastruktur. Wir sind eine sehr wasserreiche Region, die unterschiedlichste Wasserquellen nutzt. Wir haben Talsperren, in denen wir Wasser im Winter sammeln, das wir dann im Sommer nutzen können. Es gibt hierzulande Tausende von Trinkwasserbrunnen, teilweise nehmen wir auch Wasser aus Flüssen für die Trinkwasserversorgung. Deutschland hat ein sehr gutes Leitungsnetz: Das Wasser wird aus verschiedenen Regionen über viele Kilometer hinweg dorthin transportiert, wo es benötigt wird. Selbst bei einem so außergewöhnlich seltenen Interner Link: Extremwetterereignis, wie wir es derzeit erleben, bricht deshalb die Trinkwasserversorgung hierzulande nicht zusammen.

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Heftigste Dürre in Europa seit über 250 Jahren.

Sind sie dennoch besorgt angesichts der derzeitigen Situation?

Ein Forscherteam um meine Kollegen Rohini Kumar und Oldrich Rakovec hat in Langzeitsimulationen die Externer Link: historischen Dürren im Zeitraum von 1766 bis 2020 rekonstruiert. Seit dem Startpunkt ist in Europa der Studie zufolge keine Dürre so heftig gewesen wie die von 2018 bis 2020. Doch dieses sehr starke Extremereignis wird nicht für immer andauern. Natürlich ist es nicht so wie bei einem Hochwasser, dass das alles nach drei, vier Tagen vorbei ist. Eine Dürre dauert mindestens ein halbes Jahr – und bis sich ein Dürreereignis in größeren Tiefen wieder auflöst, kann es sogar Jahre dauern. Aber klar ist: Es geht wieder vorüber. Wir sind in Mitteleuropa in der glücklichen Situation, dass der Jahresniederschlag in Zukunft leicht steigen wird. Das heißt, Deutschland wird eine wasserreiche Region bleiben. Deshalb sehe ich keine Gefahr für die Trinkwasserversorgung.

Hitzewellen könnten Expertinnen und Experten zufolge in Zukunft häufiger auftreten. Kann das zu einem Problem werden?

Noch einmal: Wir werden in Deutschland auch in Zukunft genug Wasser zur Verfügung haben. In einzelnen Regionen könnte es mitunter anders aussehen, falls dort ein großer Wasserverbraucher besonders viele Wasserressourcen zusätzlich verbraucht. Deshalb gab es große Diskussionen über den Fabrikbau von Tesla in Grünheide sowie die Baupläne von Intel in Magdeburg und Coca-Cola in Lüneburg. Regional kann das Wasserdargebot relativ einfach übernutzt und die Wasserversorgung an ihre Grenzen und darüber hinausgebracht werden. Großflächig ist aber zu erwarten, dass sich die Grundwasserstände auch künftig langjährig in dem Bereich bewegen, in dem sie jetzt auch sind. Wegen des Klimawandels werden stark ausgeprägte Dürreereignisse, wie wir sie derzeit erleben, zukünftig zwar mehr auftreten. Die steigende Hitze ist da eine Ursache. Man muss aber aufpassen, dass man da nicht Schwarz-Weiß denkt. Denn es ist ein Unterschied, ob ein Land dauerhaft im Wasserstress ist oder, ob künftig wie in Deutschland langjährig genug Wasser zur Verfügung steht. Das heißt natürlich nicht, dass wir nichts machen müssen. Wir müssen uns dem Extremereignis Dürre künftig stärker stellen und es vernünftig managen.

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Böden werden im Sommer künftig noch stärker austrocknen.

Sie sprechen den Klimawandel an. Wie groß ist sein Einfluss auf die Wasserversorgung hierzulande?

Vor allem im Winter wird es aufgrund des Klimawandels mehr regnen als früher. Auch der Umstand, dass es wegen steigender Temperaturen weniger Frost gibt, trägt dazu bei, dass in dieser Zeit der Grundwasserpegel steigen kann – denn bei einem gefrorenen Boden könnte das Wasser ja nicht ins Grundwasser sickern. Andererseits haben wir im Sommer mehr Hitzetage. Dadurch nimmt die Verdunstung weiter zu. Zugleich zieht die Vegetation das Grundwasser aus den Böden raus. Die Böden werden von Juli bis September in Deutschland noch stärker austrocknen. Das wird dazu führen, dass man sich in der Landwirtschaft etwa bei der Auswahl der Pflanzen anpassen muss.

Bislang werden in Deutschland gerade einmal ein Prozent der Wasserentnahmen für die Landwirtschaft genutzt. Das Umweltbundesamt geht aber davon aus, dass der Bewässerungsbedarf tendenziell zunehmen wird. Könnte das in Sommern mit weniger Niederschlägen zu Problemen führen?

Derzeit spielt Bewässerung der Landwirtschaft in Deutschland außerhalb von Niedersachsen de facto keine Rolle. Und dort stellt man sich schon heute darauf ein. So wird etwa im Winter Wasser aus Flüssen entnommen und dem Grundwasser zugeführt. Im Sommer hat man dann ein höheres Wasservolumen für die Landwirtschaft zur Verfügung. Wenn in der Landwirtschaft mehr bewässert werden würde, wäre dies in normalen Zeiten kein Problem. Bei einer Extremsituation wie jetzt, wo jahrelang die Grundwasserstände sinken, ist es aber eine ganz schlechte Idee, Grundwasser für die Bewässerung der Landwirtschaft zu nutzen.

Wie zentral sind die Beschaffenheit der Böden und die Versiegelung vieler Flächen für eine mögliche Wasserknappheit?

Die Versiegelung der Böden führt dazu, dass das Wasser nicht in den Boden eindringen kann und schnell abläuft. In manchen Städten wird da schon gegengesteuert und darauf geachtet, dass es mehr Flächen gibt, auf denen das Wasser regional versickern kann und nicht in der Kanalisation landet. So wird auch Überschwemmungen vorgebeugt.

Die Bundesregierung plant eine nationale Wasserstrategie. So soll etwa verschmutztes Wasser besser aufbereitet oder die Aufnahmefähigkeit der Böden verbessert werden. Was halten Sie von dem Externer Link: Zehn-Punkte-Plan?

Der Plan ist gut. Die nationale Ebene muss den Rahmen vorgeben, der dann auf der Ebene der Bundesländer und Kommunen konkret ausgearbeitet wird. Denn die Voraussetzungen sind in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich. Eine Stadt wie München, die wächst, hat wegen steigender Bevölkerungszahlen und damit steigendem Wasserverbrauch, andere Herausforderungen zu bewältigen als ländliche Regionen etwa in Ostdeutschland mit sinkenden Bevölkerungs- und Wasserverbrauchszahlen.

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Selbst bei einer Verdoppelung des Wasserpreises wäre Wasser immer noch sehr billig.

Wie können sich Städte und Landkreise besser gegen eine drohende Wasserknappheit rüsten?

Die Kommunen können in Extremsituationen, wie jüngst zum Teil geschehen, Wasserentnahmeverbote aussprechen oder die private Wassernutzung einschränken. In vielen Regionen Deutschlands durfte man zuletzt zwischen 10 und 18 Uhr zu Hause die Grünflächen nicht mehr bewässern. Dass sich manche Landräte bei ihren Bürgern für diese Einschränkungen entschuldigt haben, zeigt, dass viele Menschen noch nicht verstanden haben, in was für einem außergewöhnlichen Dürreereignis wir uns gerade befinden. Die Dürre hat in vielen Sektoren der Wirtschaft Milliardenschäden verursacht.

Apropos Verständnis der Bevölkerung. Mancherorts sind die Pools noch immer voll und die Garten-Sprinkler laufen auf vollen Touren. Wie könnten die Deutschen noch besser aufgeklärt werden?

Ich weiß nicht, ob die Bevölkerung noch besser aufgeklärt werden kann. In allen Nachrichtensendungen taucht die Dürre auf und ihre Konsequenzen werden breit abgebildet. Das führt dennoch nicht dazu, dass die Mehrheit der Menschen über ihren privaten Verbrauch nachdenkt. Die Politik ist gefragt, die je nach Region nötigen Maßnahmen auch für die Privathaushalte zu ergreifen.

Manche Experten etwa beim Bundesumweltamt halten höhere Preise, um den Wasserverbrauch zu reduzieren für sinnvoll…

… Selbst bei einer Verdoppelung des Wasserpreises wäre Wasser immer noch sehr billig. Ich denke nicht, dass Preiserhöhungen beim Wasserpreis für Privatverbraucher etwas bringen würden. Die Menschen zahlen ja im Geschäft für eine Flasche Wasser mitunter das Tausendfache von dem, was es aus der Leitung kosten würde – dabei ist die Qualität des Leitungswassers in vielen Regionen sehr gut.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere InformationenDie Wasserversorgung in Deutschland

In der Bundesrepublik ist die Wasserversorgung eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Hand und wird anders als in anderen Ländern nicht von privaten Konzernen kontrolliert. Die Zuständigkeit liegt bei den Kommunen. Sie können die Wasserversorgung unter Beibehaltung der Kommunalaufsicht an Dritte übertragen.

Rund 62 Prozent des Trinkwassers stammen aus Grundwasser, etwa 30 Prozent aus Oberflächenwasser – hinzu kamen unter anderem noch rund 8 Prozent Quellwasser. Dem Bundesumweltamt zufolge belief sich das sogenannte Wasserdargebot, also die aus dem natürlichen Wasserkreislauf zur Verfügung stehende nutzbare Menge an Süßwasser, hierzulande über viele Jahre hinweg im Schnitt auf fast 190 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Im Jahr 2016 standen für den Endverbrauch 5,2 Milliarden Kubikmeter Rohwasser zur Verfügung – neuere Zahlen fehlen. Die Wasserversorger stellten Privathaushalten und Kleingewerbe knapp 3,7 Milliarden Kubikmeter Trinkwasser, den Großteil des aufbereiteten Wassers, zur Verfügung. Rund 947 Millionen Kubikmeter, also rund ein Fünftel des Trinkwassers, floss an öffentliche Betriebe wie Krankenhäuser sowie größere privatwirtschaftliche Betriebe.

Der Wasserverbrauch in Privathaushalten ging in Deutschland seit der Wiedervereinigung spürbar zurück. 2016 nutzte jede Person täglich 123 Liter Trinkwasser. Das waren 21 Liter weniger als 1991. Die Energiebranche benötigt in Deutschland in der Regel kein Trinkwasser für ihre Kraftwerke – oft werden die u. a. für die Kühlung eines Kraftwerks nötigen Mengen jedoch aus potenziellen Trinkwasserquellen wie Flüssen entnommen. Durch die Schließung von Kraftwerken gab es hier in den vergangenen Jahren einen deutlichen Rückgang. Das Risiko durch Dürren in Extremsommern von Wasserknappheit betroffen zu sein, fällt in Deutschland regional sehr unterschiedlich aus.

Das Interview wurde geführt am 17. August 2022 und autorisiert am 22. August 2022.

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