Politisches System Sri Lankas
Sri Lanka verfügt über ein präsidiales Regierungssystem mit einem Präsidenten an der Spitze. Das Staatsoberhaupt wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt vom Volk gewählt, zuletzt im November 2019. Der Präsident hat weitgehende Befugnisse in Sri Lanka: Er ist sowohl Staatsoberhaupt als auch Regierungschef und der Oberbefehlshaber des Militärs. Er ernennt, auf Basis der Mehrheitsverhältnisse im Parlament, den Premierminister und dessen Kabinett.
Seit 2019 ist die Präsidentschaft auf zwei Amtsperioden begrenzt. Während der Amtszeit genießt der Präsident rechtliche Immunität und Schutz vor Strafverfolgung in amtlichen und privaten Angelegenheiten. Der Präsident kann mit einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments und nach vorheriger Prüfung durch den Obersten Gerichtshof abgesetzt werden. Die 225 Parlamentsabgeordneten werden alle fünf Jahre Interner Link: per Verhältniswahl gewählt.
Ihren Amtszeiten haben die Präsidenten in der Vergangenheit häufig genutzt, um das politische System Sri Lankas etwa in der Innen- und Außenpolitik umzugestalten. Von 2019 bis 2022 war der Präsident Gotabaya Rajapaksa an der Macht, dessen Familie die Politik Sri Lankas seit 20 Jahren bestimmt. Infolge der Proteste wurde Ranil Wickremesinghe zum Interimspräsidenten gewählt.
In Sri Lanka gibt es seit 2021 Proteste gegen die Regierung. Ab März 2022 entwickelten sich diese zu politischen Massenprotesten. Grund für die Proteste ist eine anhaltende Wirtschaftskrise, die mit einer rasant steigenden Interner Link: Inflation sowie Engpässen bei Treibstoff, Lebensmitteln und Medikamenten für die knapp 22 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner der Insel verbunden ist. Verschärft wurde die Krise durch eine hohe Auslandsverschuldung sowie Korruption, aber auch durch ausbleibende Einnahmen aus dem Tourismus während der COVID-19-Pandemie. Die Opposition warf dem ehemaligen Staatspräsidenten Gotabaya Rajapaksa zudem Missmanagement, Vetternwirtschaft und eine autoritäre Regierungsführung vor.
Im April 2022 kündigte Sri Lankas Regierung erstmals an, seine Kredite nicht mehr zurückzahlen zu können. Der Inselstaat im Indischen Ozean zählte Auslandsschulden in Höhe von 51 Milliarden US-Dollar und verfügte über keine nennenswerten Interner Link: Devisenreserven mehr. Das Land konnte damit die schwierige Versorgungslage der Bevölkerung nicht mehr durch Importe verbessern, was auch an dem Interner Link: niedrigen Wechselkurs der Landeswährung Sri-Lanka-Rupie lag.
Gewalteskalation gegen Protestierende
Nachdem es bei den Protesten zu gewaltsamen Zusammenstößen kam, rief Präsident Rajapaksa Anfang April 2022 den Notstand und eine 36-stündige Ausganssperre aus. Soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook und YouTube wurden gesperrt, da sich dort Widerstand gegen die Regierung organisiert hatte. Die Regierung setzte Polizei und das Militär gegen die friedlich Demonstrierenden ein. Laut den Vereinten Nationen gab es Berichte über exzessive und ungerechtfertigte Gewalt gegenüber Protestierenden, es kam zu Verhaftungen.
Im Mai eskalierte die Situation als Tausende Anhänger der Regierung versuchten, das Protest-Camp der Demonstrierenden vor dem Präsidentenpalast zu stürmen. Premierminister Mahinda Rajapaksa, der Bruder des Staatsoberhauptes und selbst ehemaliger Präsident, trat nach den Unruhen zurück. Am 11. Mai 2022 ordnete das Verteidigungsministerium schließlich an, dass Sicherheitskräfte auf Menschen schießen sollen, die Besitz schädigen oder Menschenleben in Gefahr bringen würden.
Massenprotest und Flucht des Präsidenten
Am 9. Juli 2022 demonstrierten Hunderttausende in Sri Lankas Hauptstadt Colombo. Die Gegner der Regierung stürmten den Präsidentenpalast. Als Folge setzte sich Gotabaya Rajapaksa mit einem Flugzeug auf die Malediven ab. Expertinnen und Experten vermuten, dass er sich damit auch einer möglichen Strafverfolgung in Sri Lanka entziehen wollte. Kurz danach flog er nach Singapur weiter, wo er am 14. Juli 2022 seinen Amtsverzicht erklärte.
Am 20. Juli wählte das Parlament Ranil Wickremesinghe zum neuen Präsidenten. Wickremesinghe war nach dem Rücktritt Mahinda Rajapaksas bereits als Premierminister im Amt und ist kein neues Gesicht in der Regierung Sri Lankas. Sechs Mal war er als Ministerpräsident an der Macht, bereits 1978 wurde er durch den damaligen Präsidenten, seinen Onkel Jayewardene, zum jüngsten Minister des Landes ernannt. Wickremesinghe gilt als umstritten, Protestierenden sehen in ihm einen Verbündeten Rajapaksas. Sie forderten bereits Wochen zuvor seinen Rücktritt als Premierminister. Der neue Präsident soll bis zur nächsten regulären Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 im Amt bleiben.
Ursachen der Wirtschaftskrise
Die Wirtschaftskrise und Staatspleite in Sri Lanka hat eine lange Vorgeschichte. Nachdem 2009 der 26-Jahre andauernde Bürgerkrieg endete, erwarb der damalige Präsident Mahinda Rajapaksa eine Vielzahl an Interner Link: Krediten und Interner Link: Anleihen bei ausländischen Banken und Staaten. Das Land verschuldete sich dadurch zwischen 2005 und 2015 insbesondere bei China.
Der Bürgerkrieg in Sri Lanka
1983 brach zwischen der tamilischen Minderheit und der singhalesischen Mehrheit in Sri Lanka (damals: Ceylon) ein Bürgerkrieg aus, der bis 2009 andauerte. Die Wurzeln des Kriegs gehen auf die britische Kolonialherrschaft (1815–1948) zurück. Da die tamilische Bevölkerung im Durchschnitt über eine höhere Bildung verfügte, wurden sie von den Briten stärker in die Kolonialverwaltung eingebunden als die buddhistisch geprägte singhalesische Bevölkerung. Dies führte zu Spannungen zwischen den beiden ethnischen Gruppen, als Sri Lanka 1948 unabhängig wurde.
Die singhalesische Bevölkerungsmehrheit übernahm politisch und kulturell die Führung des neuen Staates: Wichtige Positionen wurden mit Singhalesen besetzt, Singhalesisch 1972 zur einzigen Sprache erklärt, dem Buddhismus ein besonderer Status zugesprochen und Tamilen durch den Staat diskriminiert. In der Folge bildeten sich politische Parteien, aber auch bewaffnete Rebellengruppen, die für die Rechte und Selbstbestimmung der Tamilen kämpften. Am bedeutendsten wurde die Rebellenorganisation „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE), die einen unabhängigen tamilischen Staat im Nordosten Sri Lankas forderte.
1983 eskalierte der Konflikt, nachdem tamilische Rebellen mehrere Soldaten getötet hatten, worauf ein antitamilischer Pogrom möglicherweise unter Beteiligung der Regierung folgte. Der Bürgerkrieg entwickelte sich in vier Phasen, unterbrochen durch erfolglose Vermittlungsversuche. Eine politische Lösung scheiterte an der fehlenden Bereitschaft für Zugeständnisse auf beiden Seiten.
2006 startete der im Vorjahr gewählte Präsident Mahinda Rajapaksa eine militärische Offensive gegen die LTTE, die etwa ein Drittel des gesamten Staatsgebiets Sri Lankas kontrollierte. Die sri-lankischen Regierungstruppen eroberten die Gebiete schrittweise zurück. Am 18. und 19. Mai 2009 fanden die letzten Kampfhandlungen statt. Nach UNO-Schätzungen sollen in dem Bürgerkrieg ca. 100.000 Menschen getötet worden sein. Eines der gesellschaftlichen Kernprobleme Sri Lankas ist bis heute die Aussöhnung zwischen beiden Kriegsparteien.
Quelle: Destradi, S. (2009). Nach dem Bürgerkrieg - welche Zukunft für Sri Lanka? (GIGA Focus Asien, 6). Hamburg: GIGA German Institute of Global and Area Studies - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Institut für AsienStudien. Externer Link: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-286560
Vorerst verzeichnete die Wirtschaft ab 2009 ein starkes Wachstum. Das Land finanzierte mit den Anleihen große Infrastrukturprojekte wie einen Flughafen aber auch umstrittene Prestige-Bauten wie den sogenannten „Lotus Tower“ in Colombo. Sri Lankas Wirtschaft wurde in den folgenden Jahren von mehreren Krisen hart getroffen: So führten 2019 die Anschläge an Ostersonntag auf christliche Kirchen und Hotels mit zahlreichen Toten sowie die Covid-19-Pandemie ab Frühjahr 2020 zu einem Einbruch des Tourismus – einem für das Land lebenswichtigem Wirtschaftszweig.
Wirtschaftskraft sinkt
Seit zehn Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt Sri Lankas rückläufig. Seit 2020 wurde das Land durch Interner Link: Ratingagenturen kontinuierlich in der Kreditwürdigkeit heruntergestuft und verlor so den Zugang zu internationalen Finanzmärkten. Maßnahmen des ehemaligen Präsidenten Rajapaksa wie Externer Link: weitreichende Importverbote in vielen Wirtschaftssektoren, die die Währung stärken sollten, oder eine vorübergehende vollständige Umstellung auf biologische Landwirtschaft verschärften die Krise zusätzlich. Die Folgen davon waren geringere Ernten. Zuletzt war Externer Link: nach Angaben des Interner Link: UN-Welternährungsorganisation (FAO) die landwirtschaftliche Produktion um 50 Prozent zurückgegangen. Lebensmittel mussten nun zusätzlich aus dem Ausland eingekauft werden, was die Lebensmittelpreise zwischen 2020 und 2022 um 73 Prozent ansteigen ließ und die Währungsreserven aufzehrte. Die Regierung konnte damit ihre Auslandsschulden nicht mehr bedienen, während die Interner Link: Tilgungslast stieg.
Im Mai 2022 war Sri Lanka offiziell zahlungsunfähig und ließ eine Rückzahlungsfrist verstreichen. Das Land hatte mehrmals den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe gebeten. Ende Juli wurde jedoch bekannt, dass der IWF dem Land vorerst keinen neuen Kredit geben will. Die Inflation in Sri Lanka liegt nach Regierungsangaben bei mehr als 60 Prozent. Eine Umfrage des Interner Link: UN-Welternährungsprogramms (WFP) Externer Link: ergab Anfang Juli, dass 61 Prozent der Menschen in Sri Lanka derzeit weniger essen, Mahlzeiten auslassen oder weniger nahrhafte Lebensmittel zu sich nehmen.
Die Protestierenden
Der anhaltende Protest verdeutlicht den Riss zwischen den Regierenden und der wirtschaftlichen und politischen Oberschicht auf der einen Seite und der von Krisen geplagten Bevölkerung Sri Lankas auf der anderen Seite. Die Protestierenden sind nicht einem bestimmten Milieu zugeordnet, der Widerstand geht durch breite Teile der Bevölkerung. Ethnische und religiöse Spannungen traten über das gemeinsame Ziel des politischen Wandels und die Versorgungkrise in den Hintergrund. Allein die tamilische Minderheit im Norden und Osten des Landes soll zurückhaltend auf die Bewegung reagiert haben.
Probleme bleiben ungelöst
Zuletzt waren die Proteste auch aufgrund von Repressionen zurückgegangen. Nach seiner Wahl hatte der neu gewählte Präsident Wickremesinghe die Protestlager nahe des Präsidentenbüros räumen lassen. Anführer der Proteste wurden verhaftet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch rief die Regierung dazu auf, die „willkürlichen“ Verhaftungen einzustellen. Die Organisation kritisiert, der Präsident würde durch Einschüchterungen und Überwachung versuchen, die Proteste zu unterbinden.
In Sri Lanka gilt zunächst bis Ende August der Ausnahmezustand mit Ausgangssperren. Auch die Versorgungslage bleibt angespannt, es gibt weiterhin einen Mangel etwa an Nahrungsmitteln und Engpässe in der Stromversorgung. Das UN-Welternährungsprogramm will nun einen Nothilfeplan erstellen, mit dem kurzfristig Unterstützung für das Land organisiert werden soll.
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