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Der Ukrainekrieg und die globale Ernährungssicherheit | Hintergrund aktuell | bpb.de

Der Ukrainekrieg und die globale Ernährungssicherheit

Tobias Heidland

/ 11 Minuten zu lesen

Der russische Angriff auf die Ukraine hat eine globale Ernährungskrise ausgelöst, deren Schwere bisher nur grob abschätzbar ist. Viel hängt davon, ab wie verschiedene Länder in den folgenden Monaten und Jahren reagieren werden.

Ein ukrainischer Soldat geht durch eine zerstörte Scheune nahe der Frontlinie, Region Saporischschja, Ukraine, 12.06.2022. Wegen der anhaltenden Kämpfe zwischen den russischen und ukrainischen Streitkräften auf den Feldern kann in diesem Gebiet keine Ernte eingebracht werden. (© Celestino Arce Lavin/ZUMA Press Wire)

Die Ukraine und Russland gehören zu den größten Agrarproduzenten weltweit. Die Ukraine produzierte 2019 30% des globalen Sonnenblumenöls, Russland weitere 27%. Mehr als die Hälfte der globalen Produktion kommt also aus diesen beiden Ländern. Prozentual weniger groß, aber für die Kalorienversorgung der Menschheit noch entscheidender, sind rund 19% der Weltproduktion von Gerste, 13% des Weizens und 4.4% des Mais.

Diese Zahlen mögen zunächst nicht allzu groß erscheinen. Im Vergleich zu anderen Ländern, die ihre eigene Produktion überwiegend im Inland verbrauchen wie etwa Indien (siehe Interner Link: Fallstudie 2), ist jedoch gerade die Ukraine ein großer Nettoproduzent: Ein erheblicher Teil der inländischen Produktion wird exportiert. So machte 2019 der in der Ukraine produzierte Mais 16% der global gehandelten Gesamtmenge aus, obwohl er nur 3,2% der weltweiten Gesamtproduktion darstellt.

Warum die Ukraine und Russland so wichtig für die globale Ernährungssicherheit sind, liegt zum Teil an den großen Flächen, die in den Ländern zur Verfügung stehen. Der europäische Teil Interner Link: Russlands ist mehr als zehnmal so groß wie Deutschland, die Ukraine ist etwa 70% größer als die Bundesrepublik. Wichtiger aber sind die Bodenbeschaffenheit und das dazu passende Klima: Das Klima hat in Teilen der Ukraine und Russlands sogenannte Schwarzerde-Böden geschaffen, die zu den fruchtbarsten Regionen weltweit gehören. Die Ukraine war daher Interner Link: schon vor der Sowjetzeit einer der "Brotkörbe Europas". Nach Ende der Sowjetunion und der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre wurde die oft technologisch abgehängte Landwirtschaft durch staatliche und private Investitionen immer produktiver, so dass die Überschüsse, die für den Export zur Verfügung stehen, pro Kopf der Bevölkerung sehr hoch sind.

Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die weltweiten Agrarmärkte?

In der Ukraine fallen durch den Krieg die Ernten dieses Jahr deutlich geringer aus, da aus mehreren Gründen die Anbaumenge sinkt: Der Boden konnte wegen der Kämpfe zum Teil nicht bestellt werden; die Belieferung mit Saatgut oder Dünger stockte; Traktoren hatten keinen Diesel, weil dieser für die Armee gebraucht wurde. Bauern in der Ukraine werden im Februar und März eher gezögert haben, ihr Firmenkapital vollständig in eine neue Aussaat zu investieren, da unklar war, ob die Ukraine militärisch fallen würde. Im Sommer 2022 wird - bereits vor der russischen Invasion gesäter - Winterweizen teils ungeerntet auf den Feldern stehen bleiben. Bauern sind aus den Kampfgebieten geflohen, ihre Maschinen wurden zerstört oder von russischen Soldaten gestohlen, Felder wurden teils bewusst vermint. Die global produzierte Menge an Agrarprodukten nimmt also ab. Aber auch in Russland könnte es mittelfristig zu Problemen kommen, wenn beispielsweise aus dem Ausland importierte Hightech-Agrarmaschinen nicht mehr repariert werden können, weil sich die Firmen aus Sorge vor dem Verhalten des russischen Staats zurückgezogen haben.

Russland und Belarus gehören zu den weltweit wichtigsten Produzenten von Düngemitteln. Dünger ist ein essenzieller Produktions- und wichtiger Kostenfaktor, der auch die Produzenten in anderen Ländern beeinflusst. Schon vor einigen Jahren machten Düngemittel in Deutschland für viele Unternehmen die Hälfte der Direktkosten an der Produktion (Saatgut, Düngemittel, Pflanzenschutz) aus. Ohne Dünger sinken die Erträge jedoch für viele Anbauprodukte deutlich. Geringerer Düngemitteleinsatz wird die Angebotsknappheit weiter verschärfen. In den letzten Jahren sind die Düngemittelpreise bereits deutlich gestiegen, weil Gas und Kohle, die häufig in der Produktion eingesetzt werden, deutlich teurer geworden sind. Russland hat die Exporte von Düngemitteln 2022 stark reduziert, was den Druck auf den Rest der Welt weiter erhöht.

Die Produzenten müssen nun neue Produktionsentscheidungen treffen, bei denen gleichzeitig gestiegene Verkaufspreise und Produktionskosten zu berücksichtigen sind. Gerade in ärmeren Ländern, in denen die Bauern Schwierigkeiten haben, den Dünger, das Saatgut und andere Produktionsmittel im Voraus zu finanzieren, werden deshalb die Produktionsmengen sinken.

Hinzu kommt ein Transportproblem. Produzenten aus der Ukraine können durch die Zerstörungen der Infrastruktur und die Blockade der Häfen ihre Ernte nicht exportieren. Lagerbestände stecken also in der Ukraine fest. Derzeit wird geprüft, ob es möglich sei, Getreide zunächst in die EU zu exportieren und dort auf Schiffe zu verladen, was wiederum höhere Kosten nach sich ziehen würde.

Durch den Krieg sinkt die auf dem Weltmarkt verfügbare Menge an Agrarrohstoffen. Dies betrifft besonders in der Ukraine produziertes Getreide und Pflanzenöl. Das fallende Angebot trifft auf eine seit Jahren steigende Nachfrage nach Getreide. Dieser Anstieg ist insbesondere durch den immer weiter steigenden Fleischkonsum getrieben. Zur Einordnung lohnt der Blick, wie Getreide in Deutschland verwendet wird: In Deutschland werden etwa 27% des produzierten Getreides für menschliche Nahrung verwendet, 70% in der Tiermast eingesetzt und die restlichen 3% industriell verwendet, vor allem für Biosprit.

Die gesunkene Menge am Weltmarkt durch die Exportstopps und den Krieg treffen auf eine stabile und mittelfristig eher steigende Nachfrage – wodurch die Preise für die Agrarrohstoffe steigen. Damit die Unternehmen wie Bäckereien keine Verluste machen, geben sie die gestiegenen Produktionskosten an die Verbraucher weiter.

Dieser Preisanstieg lässt sich gut an den Handelspreisen für verschiedene Produkte an den Börsen beobachten. Die genauen Preise hängen von der Art des Weizens und der Liefermenge ab. Eine gängige Vertragsart sind Lieferungen von 50.00 Bushel (1 Bushel = ca. 27 Kilogramm), das sind etwa 136 Tonnen Weizen. Die tagesaktuellen Preise für in Kürze zu liefernden Weizen sprangen direkt zu Kriegsbeginn Ende Februar von ca. 8 US-Dollar pro Bushel auf über 12 US-Dollar. Bis zur Ankündigung Indiens Mitte Mai 2022, Weizenexporte zu stoppen, pendelten sie sich dann bei über 10 Dollar ein. Zum Vergleich: 2017 bis 2021 lag der Preis noch bei etwa 4 US-Dollar pro Bushel. Durch die sinkende Produktion sind nicht nur die aktuellen Preise im Großhandel, sondern auch die mittelfristigen Preiserwartungen deutlich erhöht. Unternehmen, die zum Teil pandemiebedingt bereits seit 2021 den deutlich spürbaren Anstieg der Produktionskosten verkraften müssen, entschließen sich jetzt auch in Deutschland dazu, ihre Preise für die Endkunden zu erhöhen.

Wer ist besonders betroffen?

Der Konsum bestimmter Lebensmittel hat eine kulturelle Komponente, die historisch betrachtet mit den lokalen Anbaubedingungen zusammenhängt. Ein Beispiel: Im Norden Europas war traditionell Roggen wichtiger als Weizen, der in wärmeren Gefilden besser wächst. Das erklärt noch immer die in Europa zu beobachtenden Brotkonsum-Vorlieben. In Nordafrika hingegen wird Weizen in großen Mengen in Form von Brot, Couscous und regionalen Gerichten wie Belila konsumiert und macht erhebliche Teile des Kalorienbedarfs aus (siehe Interner Link: Fallstudie 1.)

Der Interner Link: Krieg in der Ukraine geht aber über den Mangel an Weizenexporten hinaus und betrifft wie bereits geschildert auch andere Getreide wie Mais sowie Ölsaaten, beispielsweise Sonnenblumen. Diese Grundnahrungsmittel zeichnen sich generell dadurch aus, dass sie im Normalfall günstig sind, viele Kalorien liefern und einfach transportiert werden können. Gerade in Städten ärmerer Länder sowie bei humanitären Krisen (siehe Interner Link: Fallstudie 3) sind sie daher von Bedeutung.

Besonders stark betroffen sind all jene Länder, die bis zum Kriegsbeginn große Teile ihrer Grundnahrungsmittel aus der Ukraine und Russland importiert haben. Das sind insbesondere Staaten, die große Pro-Kopf-Mengen von Lebensmitteln wie Weizen aus der Ukraine und Russland einführen. Diese Länder sind in zweierlei Hinsicht betroffen: Zum einen macht Weizen in diesen Staaten einen großen Anteil am Konsum aus. Zugleich gibt es eine große Abhängigkeit von den beiden Erzeugerländern Russland und der Ukraine, weil sie selbst nicht ausreichend Grundnahrungsmittel produzieren. Weniger betroffen sind hingegen trotz hohen Importanteils Länder, in denen die entsprechenden Produkte pro Kopf wenig konsumiert werden (z.B. Benin).

Länder wie Deutschland, die sich weitgehend selbst mit Grundnahrungsmitteln versorgen können – sofern diese nicht aus anderen Klimazonen importiert werden müssen – sind ebenfalls vergleichsweise wenig betroffen. In Deutschland ist der gestiegene Preis des Getreides daher für die Endverbraucher im Frühjahr 2022 noch nicht so sehr zu spüren – es sei denn man kauft Mehl als Rohprodukt. Auf den Nahrungsmitteleinkauf generell gesehen macht sich eher das Fehlen von Öl in den Supermarktregalen und der generelle Preisanstieg durch höhere Dünger- und Interner Link: Energiepreise bemerkbar.

Welche kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen haben die gestiegenen Lebensmittelpreise?

Viele Ernährungskrisen entstehen lokal, weil Ernten beispielsweise wegen einer langanhaltenden Dürre ausfallen. Davon sind häufig sowohl lokale Bauern als auch die Stadtbevölkerung betroffen. In der aktuellen Krise ist es in den meisten Ländern anders. Sehen wir von Problemen mit gestiegenen Düngemittel- und Energiepreisen ab, gibt es in den Ländern, die selbst ihre Grundnahrungsmittel produzieren, keine Reduktion der Ernten durch den Ukrainekrieg. Während die Nettoproduzenten vom Krieg nur indirekt durch die teureren Produktionsinputs betroffen sind und ihre Ernährungssicherheit recht gut gewährleistet werden kann, wirkt er sich auf die Nettokonsumenten sehr negativ aus: Besonders betroffen sind landlose Arbeiter, die beispielsweise als Tagelöhner auf den Farmen arbeiten und sich ihr Essen bei unveränderten Löhnen zu gestiegenen Preisen kaufen müssen. Gleiches gilt für die Stadtbevölkerung generell. Selbiges gilt für Bauern, die Cash-Crops wie beispielsweise Kakao oder Baumwolle produzieren und ihre Lebensmittel kaufen. Die Kriegsfolgen sind also innerhalb der betroffenen Länder heterogen und in urbanen Räumen besonders stark spürbar. Gerade für Kleinkinder kann eine Ernährungskrise lebenslange Gesundheitsfolgen haben. Die Krise wird also auch längerfristig messbare negative Effekte in vielen Ländern haben.

Hinsichtlich der Dynamik der Krise kann davon ausgegangen werden, dass das verknappte Angebot kurzfristig besonders starke Folgen haben wird. Es ist zu erwarten, dass Bauern durch die weltweit gestiegenen Preise einen höheren Anreiz haben, ihre Produktion auf die zuvor von der Ukraine und Russland produzierten Güter umzustellen. Ein Bauer könnte beispielsweise Weizen statt anderem Getreide anbauen. Allerdings geht dies oft nur mit Einschränkungen einher, denn Böden und Klima sind häufig nicht optimal geeignet. Die Produktivität in der weltweiten Weizen- und Sonnenblumenproduktion wird ohne die Produktionen in Russland und der Ukraine sinken und der Preis insgesamt auf einem höheren Niveau bleiben, auch wenn er ein Stück weit absinken wird, wenn das Angebot steigt. Außerdem fehlt die nun ersetzte Produktion der vorher produzierten Güter, sodass auch die Preise anderer Produkte steigen werden. In Deutschland wird kommendes Jahr auf vielen Äckern durch eine Ausnahmegenehmigung von der Fruchtfolge zweimal in Folge Weizen produziert werden. Die in der Fruchtfolge folgenden Ernten (z.B. Roggen, Gerste, Raps) verschieben sich entsprechend und das Angebot verknappt sich. Die Folge sind also mittelfristig breitere Preisanstiege, nicht nur bei den zuvor von der Ukraine exportierten Produkten. Hinzu kommt der Effekt der Dünger- und Energiepreise.

Es lässt sich also eine Preisspitze prognostizieren. Der Preis wird sich dann nach einem schrittweisen Rückgang auf einem höheren Niveau einpendeln als noch vor dem Ukrainekrieg. Wie hoch diese Preisveränderungen sein werden, hängt jedoch auch von der politischen Handhabung und anderen Faktoren wie dem Wetter ab.

Fallstudie 1:

Ein Landbesitzer zählt Weizensäcke in der Nildelta-Provinz al-Sharqia, Ägypten, 11. Mai 2022. Ägypten ist der größte Weizenimporteur der Welt und versucht infolge des Krieges, seine eigene Weizenproduktion zu steigern. (© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Amr Nabil)

Interner Link: Ägypten mit seiner Bevölkerung von über 100 Millionen Menschen ist eines der am stärksten vom Rückgang der Exporte betroffenen Länder. Nach Schätzungen stammen über ein Drittel der Kalorien, die die Ägypter zu sich nehmen, aus Weizen. Im Schnitt werden pro Kopf etwa 200 kg Weizen pro Jahr konsumiert (zum Vergleich: in Deutschland sind es etwa 80 kg). Da diese Mengen nicht im Inland produziert werden können, ist Ägypten der größte Weizenimporteur der Welt. Kaufkraftbereinigt liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Ägypten bei etwa 12.000 Dollar (in Deutschland bei über 50.000 Dollar). Da große Teile der Bevölkerung sehr arm sind, haben zwei Drittel Zugang zu staatlich subventioniertem Brot, das mit einem Preisdeckel versehen ist. Günstiges Brot ist ein wichtiger Faktor für die staatliche Legitimation, da die Bevölkerung in anderen Bereichen relativ wenig staatliche Unterstützung erhält. Die Subventionen für günstiges Brot bieten jedoch wenig Anreiz bei Bauern, Mühlen und Bäckereien die Produktion im Inland effizienter zu machen. Sie tragen daher zu hohen Lebensmittelkosten bei, die wiederum die Staatskassen belasten. Außerdem sind die staatlichen Hilfen wenig zielgerichtet, da die Gruppe der Subventionsempfänger nur schwer zu begrenzen ist. Ursprünglich sollte die Preisbindung im Sommer 2022 ein Ende nehmen und durch ein System finanzieller Transfers an ärmere Haushalte abgelöst werden. Nach dem sprunghaften Anstieg der Weizenpreise wurde diese Reform jedoch im März 2022 auf Eis gelegt. Der ägyptische Staat versucht den Preisanstieg nun mit Subventionen abzufedern, doch die Sorge vor Demonstrationen wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise ist weiterhin groß – auch weil es vermutlich zu Einsparungen bei anderen wichtigen Angeboten wie etwa der Schulbildung aufgrund des fehlenden Geldes kommen muss. Das ägyptische Beispiel zeigt, wie die Krise und der staatliche Versuch, die Folgen abzumildern, auch Auswirkungen auf andere Lebens- und Politikbereiche hat.

Fallstudie 2:

Ein Arbeiter entlädt auf einem Getreidegroßmarkt in Neu-Delhi, Indien, Weizen aus einem Anhänger, 17. Mai 2022. Aus Angst vor einer Knappheit im Inland verbot die Regierung Mitte Mai den Export von Weizen. (© picture alliance / AA | Amarjeet Kumar Singh)

In Indien leben knapp 1,4 Milliarden Menschen, die ein kaufkraftbereinigtes Pro-Kopf-Einkommen von durchschnittlich circa 6.000 Dollar haben. Für die Ernährung seiner Bevölkerung nutzt Indien etwa 88% seines Weizenverbrauchs. Im Gegensatz zur EU, wo nur 46% des Weizenverbrauchs von Menschen konsumiert wird, wird in Indien Weizen weniger in der Tiermast eingesetzt – auch, weil große Teile des Landes vegetarisch leben. Pro Kopf liegt der Konsum von Weizen in Indien bei etwa 60 kg pro Jahr. Indien ist in der Getreideproduktion weitgehend Selbstversorger. Die indische Weizenproduktion macht etwa 14% der Weltproduktion aus, aber nur 1% der weltweiten Exporte. Durch starke Lobbygruppen im Land war der indische Weizen oft teurer als der am Weltmarkt verfügbare. Nach dem Anstieg der globalen Preise war die Hoffnung groß, dass indische Farmer vermehrt Weizen anbauen würden. Damit, so die Erwartung, könnten sie von den gestiegenen Weltmarktpreisen profitieren und zugleich das fehlende ukrainische Angebot zum Teil ausgleichen. Premierminister Narendra Modi von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) bot bereits Hilfe für Länder mit Nahrungsmittelengpässen an. Die schwere Hitzewelle im Frühjahr 2022 führte jedoch dazu, dass die indische Regierung ihre Produktionserwartung um knapp 6% senkte. Die Preise in Indien stiegen in der Folge stark. Aus Angst vor einer Knappheit im Inland verbot die Regierung Mitte Mai den Export von Weizen. Die Hoffnung, dass Indien den Preisdruck auf dem Weltmarkt abmildern könnte, hat sich damit zerschlagen. Die Märkte reagierten in der Folge mit einem zusätzlichen Anstieg (siehe Tabelle XY). Das indische Beispiel zeigt, wie Hitzewellen oder Dürren, die durch den Klimawandel wahrscheinlicher werden, mit den Kriegsfolgen interagieren und diese verschlimmern.

Fallstudie 3:

Mitarbeiter von Hilfsorganisationen entladen in Sana'a, Jemen, einen Lastwagen mit Nahrungsmitteln für die Bevölkerung, 26.04.2022. Der Krieg in der Ukraine verschärft die Lebensmittelknappheit in dem Land zusätzlich. (© picture alliance / EPA | YAHYA ARHAB)

Jemen mit seinem langjährigen Interner Link: Bürgerkrieg steht stellvertretend für verschiedene Länder mit großem Bedarf an humanitärer Unterstützung. Das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen der etwa 30 Millionen Einwohner in dem Land lag vor Beginn des Krieges gegen die Ukraine unter 4.000 Dollar und steht derzeit zu aktuellen Wechselkursen deutlich unter 1.000 Dollar. Insgesamt wird geschätzt, dass 19 Millionen Menschen in dem Land akut auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind und 2,2 Millionen Kinder unter 5 Jahren sowie 1,3 Millionen schwangere oder stillende Mütter unter schwerer Unterernährung leiden. Das Interner Link: Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen hatte bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine davor gewarnt, dass 38 Länder weltweit aufgrund von Klimawandel, Übernutzung von Böden und Kriegen am Rande einer Hungersnot stünden. Bei der Versorgung dieser Länder spielte die Ukraine eine besondere Rolle als wichtigster Lieferant von Getreide und Sonnenblumenöl. Getreide und Sonnenblumenöl sind die wichtigsten Lebensmittel in der humanitären Hilfe – ausgegeben teils direkt, teils in Form von Schulspeisungen. Dies wird meist durch die Ausgabe von finanziellen Mitteln an Betroffene zusätzlich unterstützt, damit auch lokale Kapazitäten für die Lebensmittelproduktion und Logistik genutzt werden können. Bauern sollen durch die kostenlosen Lebensmittel nicht aus dem Markt gedrängt werden, ihre Lebensgrundlage verlieren und somit zu einer Verschärfung der Krise beitragen. In Folge der gestiegenen Lebensmittelpreise, insbesondere beim Weizen, meldete das Welternährungsprogramm dem UN-Sicherheitsrat, dass es im Mai 2022 die Rationen für 8 Millionen bereits auf Lebensmittelhilfen angewiesene Personen im Jemen reduzieren musste.

Weitere Inhalte

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktor des Forschungszentrums "Internationale Entwicklung" am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Kürzlich ist unter der Federführung von Prof. Heidland die Studie Externer Link: "Langfristige Effekte des Ukrainekonflikts auf die Ernährungssicherheit in Afrika" erschienen.