Mitte Juli kam es in
Haftstrafen für Demonstranten
Landesweite Demonstrationen sind für den zentralistisch organisierten Inselstaat ungewöhnlich, Versammlungen von Oppositionellen wurden in der Vergangenheit weitestgehend unterbunden. Bei den Protesten im Juli zeigten diesmal weite Teile der Bevölkerung ihren Unmut über das Regime. Auch außerhalb Kubas demonstrierten Exilkubanerinnen und -kubaner weltweit gegen Missstände und die Regierung in Havanna. Solidaritätskundgebungen gab es etwa in Miami – in dem County Miami-Dade leben fast eine Millionen Kubanerinnen und Kubaner – und vor der kubanischen Botschaft in Washington D.C.
Die kubanische Justiz reagierte auf die Proteste mit Härte: Dutzende Demonstrierende wurden alleine bis Ende Juli in einem Schnellverfahren verurteilt. Die Vorwürfe der Anklage lauteten etwa auf Störung der Öffentlichen Ordnung und Anstiftung zum Aufruhr. Dabei wurden Haftstrafen von bis zu einem Jahr verhängt. Menschenrechtler bezeichneten diese Verfahren als nicht rechtsstaatlich. Human Rights Watch berichtete, dass den Angeklagten das Recht auf Verteidigung verweigert werde. Noch Ende Juli berichteten Menschenrechtsorganisationen von mehreren Hundert Menschen, deren Aufenthaltsort unklar sei. Die kubanischen Behörden haben keine offiziellen Zahlen zu den Verhaftungen veröffentlicht. Die Exilgruppe Cubalex spricht von 700 Verhaftungen bis zum 26. Juli, unabhängige Medienschaffende berichteten zuvor von 5.000 Festnahmen. Die Sicherheitskräfte gingen zum Teil mit Gewalt gegen regierungskritische Demonstrierende vor. Ein 36-Jähriger starb, eine Vielzahl Protestierender, aber auch Polizistinnen und Polizisten wurden verletzt. Um eine unabhängige Berichterstattung über die Proteste zu verhindern, sperrte die kubanische Regierung Mitte Juli phasenweise Teile des Internets sowie Messenger-Dienste.
Internationale Reaktionen
Die
Kubas wirtschaftliche Zugeständnisse
Die kubanische Regierung hat mittlerweile manche Forderungen der Demonstrierenden erfüllt: Reisende dürfen nun Medikamente, Lebensmittel und Hygieneprodukte zollfrei einführen. Bisherige Mengenbegrenzungen wurden aufgehoben. Zudem wurde Anfang August eine Wirtschaftsreform eingeführt, die das kubanische Wirtschaftssystem öffnen soll: Ab sofort dürfen Kubanerinnen und Kubaner private Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitenden gründen und betreiben. Die Reform wurde bereits lange Zeit beraten, von der Regierung aber immer wieder hinausgezögert. Die Proteste gelten damit mehr als Beschleuniger, denn als Auslöser der Reform. Schon im Juni wurde die wirtschaftliche Umgestaltung für diesen August angekündigt. In der Vergangenheit baute das kubanische System im Privatsektor auf Selbständige, die etwa 13 Prozent der Bevölkerung ausmachten – die Lizenzen für die Selbstständigkeit waren staatlich limitiert. Diese konzentrierten sich allerdings vorrangig auf die Tourismusbranche – Ferienwohnungen, sowie Gastronomie – die im Zuge der Corona-Pandemie eingebrochen ist.
Wirtschaftskrise als Protestursache
Auslöser der Proteste war der Unmut vieler Menschen über die Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Die andauernde Wirtschaftskrise im Land hat sich auch durch die Corona-Pandemie verschärft. Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Kubas und somit eine zentrale Einnahmequelle, die während der Pandemie weggebrochen ist. Dienstleistungen machen etwa 70 Prozent des kubanischen BIP aus, 2019 machte die Reise- und Tourismusbranche 10,6 Prozent aus. Auch die Währungsreform Anfang 2021 hat zu der Krise beigetragen: Bis dato galten der kubanische Peso und der konvertible Peso – eine kubanische Währungsalternative zum 1993 in Kuba legalisierten US-Dollar – als Zahlungsmittel, mit der Reform wurde der Peso als einzige Währungseinheit ernannt. Mit der Reform sollte die stagnierende und zentralisierte Wirtschaft angestoßen werden. Allerdings bremst die Pandemie den gewünschten Erfolg aus, stattdessen kam es zu einer spürbaren Inflation und damit zu Verteuerungen von Alltagsgütern.
Die Dimension der Proteste geht vor allem auf die massive Versorgungskrise des Landes zurück. Viele Güter, wie Fleisch und Benzin, sind extrem knapp. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten war zuletzt oft unzureichend. Zudem kommt es immer wieder zu Stromausfällen.
Bereits 2019 hat sich die wirtschaftliche Situation in Kuba verschlechtert. So blieben Erdölimporte aus Venezuela, einem engen Verbündeten Kubas, immer öfter aus – da Inflation, Mangelwirtschaft und Korruption in Venezuela selbst zu einer Rezession geführt haben. Zudem setzt ein
Embargo der Vereinigten Staaten gegen Kuba
Ein
Kubanisches Gesundheitssystem überlastet
Auch die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit dem Management der Corona-Pandemie hat zu den Demonstrationen beigetragen. Kuba ist von der Ausbreitung und den Folgen des COVID-19-Virus stark betroffen. Seit Juni steigen die Infektionszahlen weiter an, das Land gilt als Hochrisikogebiet. „Das Gesundheitssystem ist überlastet“, vermerkt das Auswärtige Amt. Kuba hat zwar eine hohe Dichte an Ärztinnen und Ärzten, doch in den Krankenhäusern selbst fehlt es an Schutzausrüstung und Medikamenten.
Unzufriedenheit mit dem politischen System
Vor allem viele junge Kubanerinnen und Kubaner klagen über fehlende berufliche, wirtschaftliche und auch politische Perspektiven. Im Frühjahr 2021 kam es in der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), die den Staat in einer Einparteienherrschaft regiert, zu einem Generationenwechsel: Raúl Castro (bis 2018 Staatspräsident) trat als Erster Sekretär der PCC zurück, Miguel Díaz-Canel (derzeitiger Staatspräsident) übernahm das Amt. Bereits bei diesem Wechsel im Präsidentschaftsamt wurde von der Bevölkerung eine größere politische und wirtschaftliche Offenheit erwartet. Dies ist bislang nicht eingetreten, auch weitere – größtenteils wirtschaftliche – Reformschritte Díaz-Canels gelten als eher vorsichtig.
Der kubanische Sozialismus
Im Jahr 1959 stürzten Rebellen um den späteren Regierungschef
Der 2008 als kubanischer Staatspräsident abgetretene und 2016 verstorbene Staatspräsident Fidel Castro setzte realsozialistische Maßnahmen um. Großgrundbesitzer wurden enteignet, jegliche Opposition mit Hilfe eines repressiven Sicherheitsapparats unterdrückt. Mit beispielsweise einer kostenlosen Gesundheits- und Bildungsversorgung sicherte er sich dennoch die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung.
Als „Kubanische Revolution“ wird der Umbau Kubas in einen realsozialistischen Staat im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie verstanden. Mittlerweile steht der Begriff insbesondere für die Beibehaltung des „revolutionären Kurses“ sowie für das Festhalten am Führungsanspruch der Kommunistischen Partei auf der Insel.
Einem Teil der Bevölkerung, der zuletzt auf die Straße ging, ging es daher um einen Systemwechsel. Einen bekannten Ausspruch des mittlerweile verstorbenen kubanischen Regierungschefs Fidel Castro formulierten Oppositionelle um: Statt „Patria o muerte“ (Vaterland oder Tod) skandierten sie „Patria y vida“ (Vaterland und Leben). Doch gingen politische Beobachterinnen und Beobachter selbst zum Höhepunkt der Proteste nicht davon aus, dass es in absehbarer Zeit einen Umsturz kommen könnte – der Rückhalt des Regimes in den Streitkräften und Sicherheitsbehörden ist ebenso wie bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung noch immer groß.