Am 30. Juni 2006 billigte der Deutsche Bundestag die "Föderalismusreform I" mit Stimmen der damals regierenden Großen Koalition aus Union und SPD, die nach der Bundestagswahl 2005 die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit hatte. Eine Woche später, am 7. Juli 2006, stimmte auch der
kurz erklärtFöderalismus in Deutschland
In Deutschland wurde der Föderalismus als staatliches Organisationsprinzip 1949 in
Die Notwendigkeit einer Reform der Bund-Länder-Beziehungen wurde bereits seit den 1970er Jahren diskutiert. Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler kritisierten, dass der bundesstaatliche Konsenszwang zwischen Bundesregierung und Länderregierungen effektives Regieren einschränken würde. In den 1990er Jahren kam es immer wieder zu Phasen, in denen einer unionsgeführten Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) eine Mehrheit von SPD-geführten Bundesländern im Bundesrat gegenüberstand.
Nachdem es 1998 bei der Bundestagswahl zu einem Regierungswechsel gekommen war, beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz eine "umfassende Überprüfung" föderaler Strukturen mit dem Ziel "der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung". Die Initiative scheiterte zunächst. Im Oktober 2003 stimmten Bundestag und Bundesrat schließlich für die Einsetzung einer "Föderalismuskommission", der unter Hinzuziehung von Sachverständigen auch Vertreterinnen und Vertreter aus Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Landtagen und Kommunen angehörten. Als Union und SPD ab Herbst 2005 eine gemeinsame Bundesregierung bildeten, fand die Föderalismusreform Eingang in den Koalitionsvertrag.
Föderalismusreform I regelt Gesetzgebungszuständigkeiten
In der Interner Link: Föderalismusreform I wurden insgesamt 25 Änderungen am
Zudem räumte die Reform den Ländern mehr Kompetenzen ein.
Konkurrierende Gesetzgebung und Abweichungsgesetzgebung
Andere Kompetenzen, die vorher durch Rahmengesetze geregelt waren, wurden Teil der
Außerdem gilt seit der Föderalismusreform I für manche Bereiche eine sogenannte Abweichungsgesetzgebung: In bestimmten Fällen können Länder andere Regelungen erlassen als der Bund, das heißt die Regel "Bundesrecht bricht Landesrecht" ist hier außer Kraft. Das ist zum Beispiel beim Naturschutzrecht sowie in den Bereichen der Landschaftspflege und des Wasserhaushalts der Fall.
Der Länderzuständigkeit wurden das Versammlungsrecht, der Strafvollzug sowie das Ladenschluss- und Gaststättenrecht unterstellt. Beim Hochschulbau sind zudem die Länder allein zuständig, können aber auf freiwilliger Basis mit dem Bund kooperieren – sofern es um den Bau für Forschungsprojekte mit überregionaler Bedeutung geht und die Investitionskosten 5 Milliarden Euro übersteigen. Eine Besonderheit ist auch die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, denn obwohl Polizei grundsätzlich "Ländersache" ist, wurde dem
Schuldenbremse durch Föderalismusreform II
Auf zwei besonders schwierigen Feldern des deutschen Föderalismus kam keine Lösung zustande: Das Thema der Länderfusionen war gleich zu Beginn der Verhandlungen auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt worden. Auch bei der Ausgestaltung der
Letztere sollten im Mittelpunkt der "Föderalismusreform II" stehen, die eine Kommission ab Dezember 2006 vorbereitete und die am 29. Mai 2009 vom Bundestag und am 12. Juni 2009 vom Bundesrat verabschiedet wurde. Da sich die Vorbereitung dieser Reform zeitlich mit der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrise überlappte, verschob sich der Fokus der inhaltlichen Arbeit jedoch auf die Einrichtung einer deutschen "Schuldenbremse": Der Bund verpflichtete sich, ab 2016 pro Jahr nur noch 0,35 Prozent des
Die weiterhin ungelöste Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen bildete den inhaltlichen Bestandteil einer dritten Reformwelle, infolge derer ab 2020 der
Kritik: Reform weicht Solidaritätsprinzip auf
Ein zentraler Kritikpunkt an den Änderungen innerhalb der föderalen Ordnung betraf die befürchtete Erosion des
Auch die durch die Föderalismusreform II verankerte Schuldenbremse wurde häufig kritisiert – vor allem von Vertreterinnen und Vertretern einer Finanzpolitik , die auf
Debatten um Föderalismusreform bleiben aktuell
Auch die Kritik an der Handhabung der konkurrierenden Gesetzgebung ist weiterhin aktuell. Im März 2021 wurde der Externer Link: Berliner "Mietendeckel" vom Bundesverfassungsgericht mit der Begründung für nichtig erklärt , die Bundesregierung habe zur Regulierung von Mieten bereits das Gesetz zur sogenannten Mietpreisbremse erlassen. Das soziale Mietrecht falle in die konkurrierende Gesetzgebung, urteilten die Richterinnen und Richter. Das Land Berlin vertrat dagegen den Standpunkt, die Föderalismusreform habe dazu geführt, dass die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Wohnungswesen weggefallen sei.
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ist es überdies zu neuerlichen Debatten über die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern gekommen. Das betraf auch die Gesundheitspolitik, die regulär Ländersache ist. In einer Pandemie kann jedoch die Bundesregierung über das Externer Link: Infektionsschutzgesetz einige wichtige Regelungen zur Infektionsbekämpfung erlassen – weil dieser Bereich, anders als die Gesundheitspolitik als solche, in die
Henrik Scheller:
Interner Link: Der "erschöpfte Föderalstaat". Reformdebatte und Verfassungsrealität in Deutschland (APuZ 28-30/2015)Roland Sturm:
Interner Link: Zusammenarbeit im deutschen Föderalismus Sven Leunig:
Interner Link: Subsidiarität als Kompetenzverteilungsregel im deutschen Föderalismus? (APuZ 28-30/2015)Nathalie Behnke:
Interner Link: Föderalismus in der (Corona-)Krise? Föderale Funktionen, Kompetenzen und Entscheidungsprozesse (APuZ 35-37/2020)