Während der kommunistischen Herrschaft in Polen kam es immer wieder zu Aufständen gegen die Entscheidungen der herrschenden Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR). Einer dieser Proteste war der sogenannte Dezember-Aufstand von 1970 ("Grudzień 1970").
Vorgeschichte
Schon im Juni 1956 nahmen etwa 100.000 Menschen am Externer Link: Arbeiteraufstand von Poznań teil, den die PZPR blutig niederschlagen ließ. Dabei wurden 57 Menschen getötet
Ende 1957 setzte in Polen mit dem Verbot der liberalen Zeitung "Po prostu" eine neuerliche Phase der Repression ein. Im März 1968 kam es zu Studentenunruhen, nachdem Wochen zuvor eine Inszenierung des Stückes "Dziady" (Totentanz) von Adam Mickiewicz am Warschauer Nationaltheater wegen antisowjetischer Tendenzen abgesetzt worden war. Im Zentrum der Proteste standen Forderungen nach Meinungsfreiheit und gesellschaftlicher Liberalisierung. Da einige Anführer der Studentenproteste aus jüdischen Familien kamen – so zum Beispiel der spätere Chefredakteur der Zeitung "Gazeta Wyborcza", Adam Michnik – nutzte die PZPR die Proteste für ihre über Jahre andauernde antisemitische Kampagne, in deren Folge über
Wirtschaftskrise Ende der 1960er-Jahre
Außenpolitisch konnte die Parteiführung mit der Unterzeichnung des
Um der Krise entgegenzuwirken, leitete die PZPR Wirtschaftsreformen ein. So wurde beispielsweise das alte Lohnboni-System reformiert, das auf unrealistisch niedrigen Produktionszielen basierte. Eine andere Reform traf die Verbraucherpreise: Durch gezielte Veränderungen sollte der Konsum im Sinne der Planwirtschaft beeinflusst werden.
Bestimmte Güter wurden verbilligt, beispielsweise Fernsehgeräte und Waschmaschinen, andere jedoch am 12. Dezember 1970 drastisch im Preis erhöht. Mehl sollte um 16 Prozent teurer werden, Marmelade um 36,8 Prozent und Fleischwaren zwischen 17,8 und 19,1 Prozent. Zudem wurden – im beginnenden Winter – die Preise für Heizmittel wie Koks um ein Viertel erhöht. Da das Parteiregime schon mit Gegenwehr aus der Bevölkerung rechnete, wurden zeitgleich erhöhte Sicherheitsmaßnahmen angeordnet.
Die Preiserhöhungen trafen die Polen in der Vorweihnachtszeit, was die Empörung zusätzlich verstärkte. Zu den ersten Protesten kam es am darauffolgenden Montag, den 14. Dezember, auf der Lenin-Werft in Gdańsk (Danzig). Dort versammelten sich 3.000 Personen vor dem Verwaltungsgebäude des Werkes. In jenen Tagen begann auch das politische Engagement der Kranführerin Anna Walentynowicz, die bei den Protesten von 1980 wieder als Streikführerin in Erscheinung treten sollte.
Massaker in Gdynia
Am 15. Dezember griffen die Proteste auf verschiedene Städte der polnischen Ostseeküste über, so zum Beispiel Gdynia, Elbląg, Słupsk und Szczecin. Władysław Gomułka genehmigte den Einsatz von Schusswaffen, um die Aufstände niederzuschlagen. Es gab erste Todesopfer. Die blutigen Auseinandersetzungen erreichten am 17. Dezember in Gdynia ihren Höhepunkt: Dort feuerten Soldaten des polnischen Militärs und andere Sicherheitskräfte am frühen Morgen auf Arbeiter, die auf dem Weg vom Bahnhof zur besetzten Werft waren. Offiziellen Angaben zufolge wurden an dem Tag 18 Personen erschossen.
Nach Beginn der Aufstände verhängte die Regierung über die gesamte Küstenregion eine strikte Nachrichtensperre. Gomułka trat am 20. Dezember als Chef der PZPR zurück. Sein Nachfolger wurde Edward Gierek. Die Proteste flauten ab, entwickelten aber in den darauffolgenden Jahren eine enorme Symbolkraft im Kontext der Opposition gegen staatliche Unterdrückung: Sie galten als der Moment, in dem sich der Arbeiter- und-Bauern-Staat durch die Gewalt gegen Protestierende selbst diskreditierte. Das Gedenken an die Ereignisse war von offizieller Seite unerwünscht, Walentynowicz und andere hielten jedoch die Erinnerung wach.
Gedenken mit Symbolwert
Als fast zehn Jahre später an der Lenin-Werft jene Proteste aufflammten, die zur Gründung der Gewerkschaft
Im Jahr 1995 wurde Anklage gegen die noch lebenden Verantwortlichen für die Niederschlagung der Proteste von 1970 beim Bezirksgericht Gdańsk eingereicht, darunter auch der Vize-Premierminister Stanisław Kociołek und der damalige Verteidigungsminister Wojciech Jaruzelski. Die Verhandlung zog sich über 18 Jahre hin. Im Jahr 2013 wurden zwei Militärs zu Bewährungsstrafen verurteilt, Kociołek wurde freigesprochen.