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Vor 75 Jahren: "Stuttgarter Schuldbekenntnis" der Evangelischen Kirche | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 75 Jahren: "Stuttgarter Schuldbekenntnis" der Evangelischen Kirche

Redaktion

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Am 19. Oktober 1945 stellte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland die "Stuttgarter Schulderklärung" vor, in der die Kirche Stellung zur eigenen Rolle im Nationalsozialismus nahm. Der Text war hochumstritten. Die Schuldaufarbeitung der Kirchen fand in den Jahren nach Kriegsende seinen Anfang und dauert bis heute an.

Erst im Jahr 2019 wurde diese Glocke mit Hakenkreuz-Symbol in der Michaelkirche in Faßberg (Niedersachsen) ausgetauscht. Die Kirche wurde von den Nationalsozialisten errichtet und im Jahr 1938 eingeweiht. (© picture-alliance/dpa)

Durch die "Gleichschaltung" verfolgte das Interner Link: NS-Regime das Ziel, alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens mit nationalsozialistischer Ideologie zu durchdringen. Damit war sie ein wichtiges Instrument der Herrschaftssicherung nach der Machtübernahme Adolf Hitlers. Auch die Kirchen sollten unter nationalsozialistische Kontrolle gebracht werden. Im Jahr 1933 bekannten sich 62,7 Prozent der deutschen Bevölkerung zur evangelischen und 32,5 Prozent zur katholischen Kirche.

Die katholische Kirche im Nationalsozialismus

Die katholische Kirche stand vor Hitlers Machtergreifung traditionell der Interner Link: Zentrumspartei nahe. Um die zuvor oft NS-kritische katholische Kirche zu beschwichtigen, schloss das Regime am 20. Juli 1933 das Interner Link: Reichskonkordat mit dem Vatikan. Es sah das Ende des politischen Katholizismus in Deutschland vor, garantierte aber auch die innere Unabhängigkeit sowie die freie Verbreitung von Kirchenschriften. Die nationalsozialistische Führung hielt sich jedoch nicht an das Konkordat und erließ später zahlreiche staatliche Einschränkungen. Im Jahr 1937 veröffentlichte Papst Pius XI. seine Enzyklika "Mit brennender Sorge", die scharfe Kritik am NS-Staat enthielt. Zu den prominentesten katholischen Geistlichen, die sich gegen das Regime stellten, gehörte der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, der in seinen Predigten insbesondere die nationalsozialistische Ermordung kranker und behinderter Menschen anprangerte.

Die evangelischen Landeskirchen im Nationalsozialismus

Die 28 evangelischen Landeskirchen verwalteten sich vor der Machtübernahme der NSDAP selbstständig und waren nur lose zusammengeschlossen, seit Mai 1922 im Deutschen Evangelischen Kirchenbund. Dieser ging im Juli 1933 in der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) auf. Bei den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 konnten sich die "Deutschen Christen" – eine Vereinigung evangelischer Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten – mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit aller abgegeben Stimmen durchsetzen. Die "Deutschen Christen" konnten damit wichtige Kirchenämter in fast allen Landeskirchen besetzen. Zum Reichsbischof wurde Ludwig Müller, den Hitler zuvor schon zum "Bevollmächtigten für die Angelegenheiten der Evangelischen Kirche" ernannt hatte. Der im öffentlichen Dienst eingeführte "Arierparagraph", der vermeintlich nicht-"arische" Bevölkerungsteile von der Teilhabe in gesellschaftlichen Einrichtungen ausschloss, wurde auch von immer mehr Landeskirchen umgesetzt.

Aus Protest gegen den wachsenden Einfluss der "Deutschen Christen" und die Gleichschaltungspolitik schlossen sich im September 1933 evangelische Theologen und Amtsträger zum Pfarrernotbund zusammen, aus dem sich die "Bekennende Kirche" herausbildete. Zu keinem Zeitpunkt jedoch wusste die "Bekennende Kirche" eine Mehrheit der Gläubigen hinter sich. Ab dem Jahr 1937 wurden führende Figuren und Mitglieder der "Bekennenden Kirche" verstärkt verfolgt und verhaftet. Die "Bekennende Kirche" verstand sich nicht per se als politische Oppositionsbewegung. Unter ihren Mitgliedern waren aber Widerstandskämpfer wie Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer, der im April 1945 im KZ Flössenburg ermordet wurde.

Gründung der EKD in Treysa

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde am Ende August 1945 im nordhessischen Treysa die Interner Link: Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als neue Dachorganisation für die 28 Landeskirchen gegründet. Bereits in Treysa waren Beobachter des sich damals in Gründung befindlichen Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) anwesend, einem weltweiten Zusammenschluss von Kirchen. Der ÖRK signalisierte der EKD, dass sie in die Weltgemeinschaft aufgenommen werden könne – dass dafür aber offene Worte über die "Unterlassungssünden des deutschen Volkes, einschließlich der Kirche" erwartet werden würden.

Auf der ersten Vollsitzung des EKD-Rats in Stuttgart am 18. und 19. Oktober 1945 wurde eine entsprechende Stellungnahme formuliert, die später als "Stuttgarter Schuldbekenntnis" bekannt werden sollte.

In der Erklärung heißt es unter anderem: "Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. […] Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." Gleichzeitig signalisierte die EKD mit der Erklärung ihren Willen zu einem Neuanfang.

Schuldbekenntnis wurde über Massenmedien veröffentlicht

Verfasst wurde die Erklärung von drei EKD-Ratsmitgliedern: Hans Christian Asmussen, Otto Dibelius und Martin Niemöller. Alle drei waren führende Vertreter der "Bekennenden Kirche". Außerdem wurde der Text von acht weiteren Kirchenvertretern unterschrieben, darunter die Landesbischöfe von Württemberg und Bayern, sowie – als Laienvertreter – der spätere Bundespräsident Interner Link: Gustav Heinemann.

Das Stuttgarter Schuldbekenntnis wurde über die von den Alliierten kontrollierten Tageszeitungen und den Rundfunk verbreitet. Der "Kieler Kurier" veröffentlichte das Stuttgarter Schuldbekenntnis beispielsweise am 27. Oktober 1945 mit der Zeile: "Evangelische Kirche bekennt Deutschlands Kriegsschuld". Innerhalb der Landeskirchen riefen solche Formulierungen Entsetzen hervor. Der Deutsche Evangelische Missionsrat kritisierte, dass die Worte der Erklärung "in einer Atmosphäre der christlichen Verbundenheit" gewählt worden seien und nicht für die Veröffentlichung in Massenmedien gedacht waren. Insgesamt machten sich bis 1946 nur vier Landeskirchen das Schuldbekenntnis zu eigen.

Vielen ging das Bekenntnis nicht weit genug

Kritik von ganz anderer Seite rief hervor, dass in dem Text die Rolle der evangelischen Christinnen und Christen für den Kriegsausbruch und den Interner Link: Holocaust nicht ausdrücklich benannt werden. Die Formulierung, dass die evangelische Kirche "gegen den Geist" des Nationalsozialismus "gekämpft" habe, wird heute – angesichts der erfolgreichen Gleichschaltung in weiten Teilen der DEK – oft als Schönfärberei und Verharmlosung empfunden. Mit dem "Wort zur Schuld an Israel", das im April 1950 auf der Synode in Berlin-Weißensee beschlossen wurde, bekannte sich die EKD erstmals zur Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen gegenüber Jüdinnen und Juden. Die kritische Aufarbeitung der Kirchengeschichte setzte erst Jahre später ein.

Als bedeutend gilt das Stuttgarter Schuldbekenntnis dennoch. Einerseits erfüllte es seinen ursprünglich beabsichtigten Zweck: Als im Jahr 1948 der Ökumenische Rat der Kirchen zu seiner ersten Vollversammlung in Amsterdam zusammentrat, nahm auch die EKD mit einer Delegation daran teil. Andererseits leitete das Schuldbekenntnis auch eine Debatte über die politische Verantwortung der Kirche ein.

Katholisches Hirtenwort vom August 1945

Die katholischen Bischöfe veröffentlichten ihrerseits bereits am 23. August 1945 ein gemeinsames "Hirtenwort". Darin wird der Widerstand betont, den die katholische Kirche gegenüber dem NS-Regime geleistet habe. Gleichzeitig schreiben die Bischöfe jedoch, dass zahlreiche Katholiken in die Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt waren. Auch im Hirtenwort wurde der Holocaust nicht thematisiert, der Nationalsozialismus als solcher wird nur einmal erwähnt. Auch den katholischen Bischöfen wurde vorgeworfen, sich ausweichend zu äußern.

Im April 2020 veröffentlichten die deutschen Bischöfe zum 75. Jahrestag des Kriegsendes in Europa eine neuerliche Erklärung. Dort hieß es nun: "Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges 'Nein' entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg". Das 23-seitige Papier wurde nun als ein echtes "Schuldbekenntnis" gewertet.

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