Seit der letzten
Grund für den Wechsel an der Spitze der Regierung war ein politischer Skandal um einen Mordfall. Am 21. Februar 2018 wurden der 27-jährige Investigativjournalist Ján Kuciak und dessen Verlobte Martina Kusnírová erschossen. Kuciak recherchierte zu Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft, zu Steuerbetrug und mafiösen Strukturen in der Slowakei. Sein letzter (posthum veröffentlichter) Artikel erhebt den Vorwurf, dass Personen aus dem engsten Umfeld des damaligen Ministerpräsidenten Fico private und geschäftliche Beziehungen zum organisierten Verbrechen unterhalten haben sollen, darunter auch Ficos Beraterin Mária Trošková. Nach Massenprotesten trat Fico im März 2018 zurück.
Die nun anstehende Wahl wird zeigen, ob die gesellschaftliche Erschütterung über die Vorfälle zu einer grundlegenden Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in der Slowakei führt.
Wie wird gewählt?
Der Nationalrat der Slowakischen Republik hat 150 Sitze und wird alle vier Jahre gewählt. Es gibt keine Direktmandate, die Sitze werden nach einem reinen Verhältniswahlrecht verteilt. Allerdings ist es möglich, innerhalb einer Liste vier Vorzugsstimmen zu verteilen, um den eigenen Favoritinnen und Favoriten zu einem vorderen Listenplatz zu verhelfen. Wahlberechtigt sind slowakische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Es gilt eine Sperrklausel von fünf Prozent.
Wer steht zur Wahl?
Die Smer-SD von Ministerpräsident Peter Pellegrini lässt sich nach Meinung von Politikwissenschaftlern weniger als sozialdemokratische, sondern als sozialpopulistische und linksnationalistische Partei einstufen. Im aktuellen Wahlkampf stellt sie die Unterstützung von Rentnern und jungen Familien sowie den Ärztemangel in den Mittelpunkt. Als Vorsitzender arbeitet weiterhin der zurückgetretene Regierungschef Robert Fico. Eine Fortführung der bisherigen Koalition ist unwahrscheinlich, da die beiden Juniorparteien der Regierungskoalition SNS und Most-Hid Gefahr laufen, an der Fünfprozenthürde zu scheitern. Die SNS bezeichnet sich selbst als national-konservative Partei, die die nationale Souveränität der Slowakei fördern will. Most-Hid präsentiert sich hingegen pro-europäisch und will sich für den Schutz des Rechtsstaats und von Minderheiten einsetzen.
Die größte Oppositionspartei im Parlament ist derzeit die konservative und wirtschaftsliberale Sloboda a Solidarita (SaS), die jedoch seit der Wahl im Jahr 2016 an Bedeutung verloren hat. Sie fordert unter anderem einen Abbau von Bürokratie und will sich gegen Korruption einsetzen. In aktuellen Umfragen liegen sieben weiteren Parteien oberhalb oder nur knapp unterhalb der Fünfprozenthürde und könnten möglicherweise in das Parlament einziehen, darunter auch die Protestpartei OĽaNO (Obyčajní ľudia a nezávislé osobnosti, Deutsch: "Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten") des ehemaligen SaS-Abgeordneten Igor Matovič. Sie will die demokratischen Institutionen stärken und Korruption bekämpfen.
Im konservativen Spektrum wirbt auch die Externer Link: 2019 gegründete Partei Za l’udi (Deutsch: "Für das Volk") des früheren Präsidenten Andrej Kiska um Wähler. Sie gilt als liberal und europafreundlich. Das Bündnis Progresívne Slovensko/Spolu (PS/SPOLU, Deutsch: "Progressive Slowakei/Gemeinsam") vertritt linksliberale Positionen. Ihm gehört die Juristin und Umweltaktivistin Zuzana Čaputová an, die im Juni 2019 zur Staatspräsidentin der Slowakei gewählt wurde.
Auch eine rechtsextreme Partei tritt zur Wahl an: die ĽSNS (Ľudová strana – Naše Slovensko, Deutsch: "Volkspartei – Unsere Slowakei") von Parteichef Marian Kotleba, die seit 2016 im Parlament vertreten ist. 2019 war ein zwei Jahre dauerndes Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Gruppierung gescheitert, da das Gericht nicht genügend Beweise für Verstöße gegen die demokratische Grundordnung sah. Kotleba wird darüber hinaus vorgeworfen, auf einer Gedenkfeier für Jozef Tiso, der als Präsident der slowakischen Präsidialdiktatur geherrscht und mit Adolf Hitler kooperiert hatte, Codes aus der Neonazi-Szene verwendet zu haben.
Auch die populistische Protestpartei Sme Rodina (Deutsch: Wir sind eine Familie), die KDH (Kresťanskodemokratické hnutie, Deutsch: Christdemokratische Bewegung) und die Dobrá Vol‘ba (Deutsch: Gute Wahl) haben den Umfragen zufolge Chancen, die Fünfprozenthürde zu überwinden. Während die Sme Rodina etwa ein Recht auf Mindestwohnraum schaffen und Schülerinnen und Schülern kostenlose Tickets für den Nahverkehr zur Verfügung stellen will, spricht sich die KDH unter anderem für ein traditionelles Familienmodell und die Förderung von Familienunternehmen aus. Die Dobrá Vol’ba will sich unter anderem für niedrigere Mieten und den Ausbau regionaler Krankenhäuser einsetzen.
Was sind die wichtigsten Themen im Wahlkampf?
Die Morde an Kuciak und dessen Verlobter wirken bis heute nach. So sind die Bekämpfung von korrupten Strukturen und die Debatte um die Unabhängigkeit der Justiz zentrale Themen des Wahlkampfs. Auch der Aufstieg des Rechtsextremismus durch den zunehmenden Zuspruch für die ĽSNS wird diskutiert, wiederholt kam es deswegen zu Protesten. Bisher schließen alle Parteien eine Koalition mit der ĽSNS aus.
Parallel zum Wahlkampf findet der Prozess zu den Morden an Kuciak und Kusnírová statt. Als Auftraggeber ist der Geschäftsmann Marian Kočner angeklagt, der gute Kontakte zu Polizei, Justiz und der Smer-SD unterhalten und sich von Kuciaks Recherchen bedroht gefühlt haben soll. Der Mörder, ein 37-jähriger Ex-Soldat, hat die Tat mittlerweile gestanden. Er belastet Kočner und eine seiner Mitarbeiterinnen. Beide streiten eine Beteiligung ab.
Wer könnte nach der Wahl regieren?
Seit der Wahl 2006 war die Smer-SD die dominierende politische Kraft im Land. Im Jahr 2012 erreichte sie 44,4 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit der Sitze im Nationalrat. Bereits mit der Wahl 2016 begann eine Zersplitterung der Parteienlandschaft in der Slowakei. Kamen damals die Sozialdemokraten noch auf 28,3 Prozent, so sehen jüngste Umfragen die Smer-SD als stärkste Kraft bei weniger als 20 Prozent der Stimmen, nur knapp vor OĽaNO. Mit dem Bündnis PS und der Partei Za l’udi könnten darüber hinaus zwei Gruppierungen jeweils auf bis zu zehn Prozent der Stimmen kommen, die bisher nicht im Nationalrat vertreten sind. Insgesamt ist nach aktuellen Umfragen zu erwarten, dass der neu gewählte Nationalrat aus sechs bis elf Parteien bestehen könnte.
Nicht nur diese mögliche Zersplitterung des Parlaments, sondern auch das Abschneiden der ĽSNS könnte eine entscheidende Rolle für die Regierungsbildung spielen. Ob und wie man mit den Rechtsextremen, die Umfragen zufolge auf mehr als zehn Prozent der Stimmen hoffen können, kooperieren darf, ist Gegenstand einer heftigen Kontroverse.