Am 26. Februar hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zum "Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" verkündet. Demnach verstoße der entsprechende Paragraf 217 des Strafgesetzbuches (StGB) gegen das Grundgesetz und sei somit nichtig. Das im Grundgesetz verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse auch ein "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" und die "Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen", begründet der Zweite Senat sein Urteil. Der Bundestag hatte Anfang November 2015 mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit einen fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf beschlossen, der die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" strafbar gemacht hatte. Weitere Anträge, etwa die
Gesetzesreform von 2015
Externer Link: Paragraf 217 des Strafgesetzbuches (StGB) zufolge machte sich seit Dezember 2015 strafbar, "wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt". Im Falle einer Verurteilung drohte Beschuldigten bislang eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Angehörige waren hingegen von der Strafandrohung ausgenommen – ebenso wie dem Suizidwilligen "nahestehende" Personen, wenn diese nicht wiederholt so handelten. Nicht von dem Gesetz erfasst war die Begrenzung von Behandlungen, also etwa das
Mit der Neufassung des Paragrafen 217 wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Vereine wie "Sterbehilfe Deutschland" oder die Schweizer "Dignitas" ihre Angebote ausweiten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand hatte damals auf aus seiner Sicht negative Folgen kommerzieller Sterbehilfe in Nachbarländern verwiesen. "Auch bei der Sterbehilfe schafft das Angebot eine Nachfrage", sagte er bei der Plenumsdebatte 2015. Brand gehörte zu den Initiatoren des fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurfs. Darin heißt es, die Menschen sollten sich nicht an organisierte Formen des Suizids gewöhnen. Kranke oder Alte sollten sich nicht zum Sterben gedrängt fühlen, etwa um der Gesellschaft oder ihren Familie nicht zur Last zu fallen.
Vor der Reform 2015 war es für schwer kranke Patientinnen und Patienten auch in Deutschland möglich, mithilfe eines Sterbehilfevereins Suizid zu begehen. Der Verein organisierte die tödlichen Substanzen – die Schwerkranken nahmen diese dann selbst ein oder betätigten eine automatische Spritze.
Rechtliche Grauzone?
Gegen die Reform gab es von Beginn an Protest. Kritikerinnen und Kritiker bemängelten unter anderem, dass die Neuregelung Menschen, die ihr Leben wegen einer unerträglichen Krankheit selbst beenden wollten, abhängig mache von der Unterstützung durch Laien. Für viele Betroffene sei ärztliche Hilfe beim Suizid jedoch alternativlos, weil sie keine Verwandten mehr hätten oder diese ihnen die Unterstützung verwehrten.
Außerdem wurde kritisiert, dass es nach geltendem Recht für ein "geschäftsmäßiges Handeln" nicht zwangsläufig eines Gewinnstrebens bedarf. Manche Medizinerinnen und -mediziner befürchteten, sich strafbar zu machen oder sich zumindest in einer rechtlichen Grauzone zu bewegen. Denn aus juristischer Sicht konnte es bereits als geschäftsmäßiges Handeln gelten, wenn sie etwa wiederholt Schwerkranken Medikamente zur Verfügung stellen, mit welchen diese bei einer Überdosis ihr Leben beenden könnten.
Befürworterinnen und Befürworter des Verbots hatten dagegen argumentiert, es werde präzise unterschieden zwischen Ärztinnen und Ärzten, "die in schweren Situationen nach ihrem Gewissen handeln und anderen, die es darauf anlegen, geschäftsmäßig, mit Absicht und auf Wiederholung angelegt, die Suizidbeihilfe zu fördern".
Zentrale Fragen in der
Verfassungsbeschwerden gegen Paragraf 217
Mehrere schwerkranke Menschen, in- und ausländische Sterbehilfevereine sowie einzelne Medizinerinnen und Mediziner hatten in den letzten Jahren Verfassungsbeschwerden gegen Paragraf 217 eingereicht.
Während die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) insgesamt nicht von negativen Auswirkungen auf ihre Arbeit durch die Gesetzesreform ausgingen, sahen die klagenden Ärztinnen und Ärzte in der Reform eine Verletzung der in Artikel 4 und 12 des Grundgesetzes verankerten Gewissens- und Berufsfreiheit. Das Gesetz verhindere eine am Wohl des Patienten orientierte Behandlung.
Die Klägerinnen und Kläger, die sich aufgrund einer schweren Erkrankung Sterbehilfe wünschen, leiteten außerdem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Artikel 2 des Grundgesetzes ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Dieses Recht beinhalte auch die Inanspruchnahme der Unterstützung Dritter bei der Umsetzung eines Suizids. Ähnlich begründete das Bundesverfassungsgericht auch sein Urteil.
Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hatte die Verfassungsbeschwerden in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht 2017 unterstützt.
Verhandlung in Karlsruhe
Grundlage für das Urteil des Verfassungsgerichts am 26. Februar 2020 war eine zweitägige mündliche Verhandlung, die am 16. und 17. April 2019 in Karlsruhe stattfand. Damals verhandelte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts über sechs Verfassungsbeschwerden, die sich direkt gegen Paragraf 217 wendeten.