Die Präsidentschaftswahl in
Die zweiten freien Wahlen seit dem Arabischen Frühling
Tunesien ist eine junge Demokratie. 2011 stürzte die Bevölkerung den Diktator Zine el-Abidine Ben Ali in der sogenannten Jasminrevolution. Daraufhin hat Tunesien als einziges Land nach dem
Der Präsident im politischen System Tunesiens
Das semi-präsidentielle Regierungssystem Tunesiens sieht vor, dass sowohl der Präsident als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Der Premierminister wird von der stärksten Partei im Parlament vorgeschlagen und von den Abgeordneten gewählt. Der Präsident ernennt die Mitglieder der Regierung, sie benötigen jedoch ebenfalls die Zustimmung des Parlaments.
Tunesien ist eine Republik mit dem Islam als Staatsreligion und in der Verfassung garantierter Religionsfreiheit. Um das Präsidentenamt kann sich bewerben, wer von Geburt an die tunesische Staatsbürgerschaft besitzt, Muslim ist und das 35. Lebensjahr vollendet hat.
Zu den aussichtsreichen Bewerbern um das Amt des Staatsoberhaupts gehört der aktuelle tunesische Premierminister Youssef Chahed. Nach der letzten Parlamentswahl bildete er für die säkulare Sammlungspartei Nidaa Tounes die Regierung. Doch nach internen Machtkämpfen bekennen sich heute nur noch 26 ihrer ursprünglich 86 gewählten Abgeordneten zur Nidaa. Auch Chahed verließ die Partei und gründete Anfang 2019 die Abspaltung Tahya Tounes. Der 43-Jährige ist seit 2016 Premierminister einer "Regierung der nationalen Einheit", an der neben der Nidaa zahlreiche andere Parteien beteiligt sind. Als Regierungschef verfolgte Chahed Sparmaßnahmen und setzte im Januar 2018 eine Steuerreform durch, die Massenproteste auslöste.
Im gemäßigt-islamistischen Spektrum gilt der 71-jährige Anwalt und Theologe Abdelfattah Mourou als Favorit. Er tritt für die konservative Ennahda-Partei an. Mourou ist derzeit kommissarischer Parlamentspräsident. Dieses Amt hatte er von Mohamed Ennaceur übernommen, der nach dem Tod von Präsident Essebsi zum Übergangspräsidenten ernannt worden war. Mit Mourou hat die Ennahda erstmals einen Kandidaten für das Amt nominiert.
Festnahme eines Kandidaten
Chancen auf einen Wahlsieg werden auch dem einflussreichen Medienunternehmer Nabil Karoui eingeräumt. Er hatte sich zuletzt öffentlich als Wohltäter inszeniert und etwa in marginalisierten Regionen des Landes öffentlichkeitswirksam Lebensmittel verteilt. Doch Karoui wurde einen Monat vor der Wahl festgenommen. Tunesischen Medienberichten zufolge wird ihm die mutmaßliche Beteiligung an Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Karoui darf zwar trotz der Inhaftierung zur Wahl antreten, kann jedoch nur eingeschränkt Wahlkampf machen. Seine säkular-liberale Qalb-Tounes-Partei sieht die Festnahme politisch motiviert.
Als wenig aussichtsreich gelten die Kandidaturen der politischen Linken: Das Linksbündnis Volksfront, UPL (liberal) und der Bloc Democrate (sozial-liberal) bilden derzeit im Parlament die Opposition. Ob sich an der Stimmung in der Wählerschaft zuletzt etwas geändert hat, ist kurz vor der Wahl unklar: Wegen befürchteter Wahlbeeinflussung dürfen Umfragen seit dem 16. Juli nicht mehr veröffentlicht werden.
Sollte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 15. September kein Bewerber die absolute Mehrheit erhalten, kommt es zwei Wochen nach Bekanntgabe der Ergebnisse zu einer Stichwahl.
Wirtschaftsthemen bestimmen Wahlkampf
Tunesien hat seit der Jasminrevolution zwar weitreichende demokratische Reformen eingeleitet. Doch die tunesische Demokratie gilt als instabil: Seit 2011 gab es neun verschiedene Regierungen, die politischen Parteien bilden regelmäßig neue Allianzen oder spalten sich ab. Drei der Präsidentschaftskandidaten sprachen sich im Wahlkampf für eine Verfassungsreform aus, um die Regierung handlungsfähiger zu machen.
Ein wichtiges Wahlkampfthema war der Zustand der Wirtschaft. Mehrfach kam es in den vergangenen Jahren zu landesweiten Demonstrationen gegen Korruption, Armut und Massenarbeitslosigkeit. Rund 15,5 Prozent der Tunesier waren nach Angaben der Weltbank 2018 ohne Arbeit. Bei der Jugend ist die Arbeitslosenrate mehr als doppelt so hoch (34,8 Prozent). Viele Kandidaten versprachen daher im Wahlkampf, sich für Sozialprogramme einzusetzen und etwa durch mehr ausländische Investitionen vor allem in strukturschwachen Regionen im Süden und Westen Tunesiens neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Ein weiteres Thema war die Sicherheitspolitik. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Terroranschläge in Tunesien – im vergangenen Juni detonierten in der Innenstadt von Tunis mehrere Bomben. Tunesien ist zudem ein wichtiges Transitland für Menschen, die nach Europa fliehen wollen, was für die tunesischen Behörden zusätzliche Herausforderungen bedeutet. An der tunesisch-libyschen Grenze wurde eine Sperranlage zum Schutz vor Terrorismus aus dem Nachbar- und Bürgerkriegsland errichtet. Kritiker der gemäßigt-islamistischen Ennahda-Partei befürchten, dass ein Wahlsieg des religiösen Lagers zu einer Radikalisierung islamistischer Gruppen im Land führen könnte.
Parlamentswahl am 6. Oktober
Wichtig für die Stabilisierung der tunesischen Demokratie ist neben der Wahl des Präsidenten auch die Parlamentswahl am 6. Oktober. Mehr als 15.000 Kandidaten auf 1.500 Wahllisten bewerben sich um 217 Parlamentssitze. In Tunesien besteht seit einer Änderung des Wahlgesetzes 2016 eine Regelung zu Geschlechterparität. Parteien sind verpflichtet, ihre Wahllisten zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Aktuell sind 36 Prozent der Abgeordneten im Parlament Frauen.
Zur Parlamentswahl treten neben den bislang stärksten Parteien Nidaa Tounes und Ennahda sowie den oppositionellen UPL und Bloc Democrate auch einige Parteien an, die sich während der letzten Legislaturperiode abgespalten haben, etwa die Machroua Tounes – Al Horra (sozial-liberal) und Bloc National (liberal).