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Vor 80 Jahren: Der Warschauer Aufstand

Redaktion

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Der Warschauer Aufstand war der bewaffnete Widerstand der Polnischen Heimatarmee gegen die deutschen Besatzer in Polen. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.

Soldaten der Polnischen Heimatarmee während des Warschauer Aufstands, der vom 1. August bis zum 2. Oktober 1944 dauerte. (© picture-alliance/akg)

Am 1. August 1944 erhob sich die Armia Krajowa (Polnische Heimatarmee, AK) im Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzungsmacht. 63 Tage dauerten die Kämpfe an. Bis zum 2. Oktober hatten die Deutschen den Aufstand blutig niedergeschlagen und Warschau fast vollständig zerstört.

Dem Aufstand in Polen waren Interner Link: fünf Jahre brutaler Unterdrückung durch die deutschen Besatzer vorausgegangen. Am 1. September 1939 Interner Link: hatte Deutschland Polen überfallen und damit den Zweiten Weltkrieg begonnen. Am 17. September floh die polnische Regierung aus dem Land – zehn Tage später kapitulierte die belagerte und bombardierte Hauptstadt Warschau. Währenddessen marschierte im Osten Polens die Rote Armee ein, um das Land entsprechend dem geheimen Zusatzprotokoll des Interner Link: Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich aufzuteilen. Nur einen Tag später, am 28. September 1939, wurde die Teilung Polens durch den sogenannten „Grenz- und Freundschaftsvertrag“ zwischen den beiden Mächten geregelt. Es war die Interner Link: vierte Teilung in der polnischen Geschichte.

Der deutsche Einmarsch kostete bereits im Herbst 1939 zehntausende Polinnen und Polen das Leben, weitere Zehntausende wurden zwangsumgesiedelt, vertrieben oder Interner Link: in Konzentrationslager deportiert. Die Nationalsozialisten errichteten ein brutales Besatzungsregime. Interner Link: Polen sollte im Sinne der nationalsozialistischen "Lebensraum-Politik" vernichtet werden.

Entrechtung, Deportation, Zwangsarbeit

Hunderttausende Polen wurden von den Deutschen entrechtet, zu Interner Link: Zwangsarbeit rekrutiert und – bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 – vom Westen in die Mitte des Landes deportiert. SS-, Wehrmachts- und Polizeieinheiten Externer Link: ermordeten fast die gesamte jüdische Bevölkerung in Polen. Einen Interner Link: Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto im April 1943 schlugen sie brutal nieder. Insgesamt Interner Link: verloren mehr als vier Millionen europäische Juden ihr Leben in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern im besetzten Polen. Zwischen fünf und sechs Millionen polnische Staatsbürgerinnen und -bürger wurden während der deutschen Besatzung Polens Opfer von Krieg, Terror und Völkermord.

Deutsche Besatzung Polens

Opfer: Die Besatzung Polens durch Deutschland während des Zweiten Weltkriegs kostete fast die gesamte jüdische Bevölkerung in Polen das Leben, rund drei Millionen Menschen. Insgesamt kamen zwischen fünf und sechs Millionen polnische Staatsbürger/-innen (15-17 Prozent der gesamten Bevölkerung) durch Krieg, Terror und Völkermord ums Leben.

Warschau: Lange Zeit galt Warschau als eine der schönsten Städte der Welt und wurde "Paris des Ostens" genannt. Die deutschen Besatzer ließen die Stadt nach dem Aufstand 1944 planmäßig von Brand- und Sprengtrupps zerstören. Am Ende waren 90 Prozent der Gebäude zerstört.

Armia Krajowa (AK): Die Armia Krajowa, die "Polnische Heimatarmee", gilt als größte Widerstandsbewegung in den von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten. Die Mitglieder verübten Partisanenangriffe und Sabotage-Akte. Viele ihrer Mitglieder gerieten nach Kriegsende in sowjetische Kriegsgefangenschaft oder gingen in den antikommunistischen Untergrund.

Widerstand der Polnischen Heimatarmee

Ein Teil der polnischen Regierung unterstützte den Widerstand von London aus. Als „Polnischer Untergrundstaat“ wurden die Organisationen bezeichnet, die der polnischen Exilregierung unterstellt waren, darunter auch die Polnische Heimatarmee. Der bewaffnete Arm der Untergrundbewegung zählte 1943 insgesamt 350.000 Mitglieder.

Zugleich konkurrierten kommunistische Widerstandkräfte erfolglos mit dem Untergrundstaat. Das änderte sich, als die Rote Armee im Sommer 1944 Richtung Warschau vorrückte. In Moskau wurde am 20. Juli 1944 das „Polnische Komitee der Nationalen Befreiung“ (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN) gegründet. Das PKWN strebte einen kommunistischen Staat nach sowjetischem Vorbild an.

Am 1. August 1944 griff die Polnische Heimatarmee mit rund 40.000 Kämpfern die deutschen Besatzer in Warschau an. Ihr Ziel war es, die Stadt zu befreien und als legitime politische Macht die näher rückenden sowjetischen Truppen zu empfangen. Anfangs brachte die Polnische Heimatarmee die Hälfte Warschaus unter ihre Kontrolle, ohne die Hilfe der Alliierten brach der Aufstand jedoch zusammen. Wie nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939, den Großbritannien und Frankreich zunächst abwartend verfolgt hatten, griff kein Mitglied der Anti-Hitler-Koalition ein, um die Aufständischen zu unterstützten.

Dass die Sowjetunion nicht einschritt, war dem Kalkül Stalins geschuldet: Er spekulierte auf ein Nachkriegs-Polen unter sowjetischer Kontrolle und hatte deswegen kein Interesse an einem Erfolg der Polnischen Heimatarmee. Stalin verwehrte den Alliierten den Zugang zu Flughäfen und zu einem Hafen, über die sie die Aufständischen in Warschau mit Waffen hätten versorgen können.

SS-Massaker und die Zerstörung Warschaus

Die Racheakte deutscher SS- und Wehrmachtsverbände kosteten während der Niederschlagung des Aufstands weiteren zehntausenden Menschen – insbesondere Zivilisten – das Leben. Besonders brutal gingen die SS-Sonderkommandos unter Oskar Dirlewanger und Heinz Reinefarth vor, die zahlreiche Massaker verübten. Allein in den Warschauer Stadtteilen Ochota und Wola erschossen die Soldaten binnen weniger Tage bis zu 50.000 Zivilisten.

Nach 63 Tagen Aufstand kapitulierte die Polnische Heimatarmee am 2. Oktober 1944. Warschau wurde daraufhin von den deutschen Besatzern fast vollständig zerstört. Nach Schätzungen wurden zwischen 150.000 und 200.000 Menschen während des Aufstandes getötet.

Für die im Sommer 1944 in Warschau begangenen Verbrechen wurde keiner der Hauptverantwortlichen vor einem bundesdeutschen Gericht verurteilt.

Langes Schweigen

Den Kämpfenden und Gefallenen des Warschauer Aufstandes durfte Interner Link: im Nachkriegs-Polen auf sowjetische Anordnung hin nicht gedacht werden. Stattdessen wurde die Bedeutung des kommunistischen Widerstands gegen die NS-Besatzung betont. In der Zeit des Stalinismus bis 1956 wurden Anführer des Polnischen Untergrundstaates verhaftet und zum Teil in Schauprozessen verurteilt.

Erst 1989 wurde auf dem Warschauer Krasiński-Platz ein Denkmal für den Aufstand eingeweiht. Mittlerweile erinnern jedes Jahr am 01. August Gedenkfeiern in ganz Warschau an den Aufstand und seine Opfer. Zum 80. Jahrestag hält auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede.

Das Denkmal des Warschauer Aufstands auf dem Krasiński-Platz (Warschau) wurde 1989 enthüllt. (© picture-alliance, Schoening | Schoening)

Aktuelle Reparationsforderungen

Die Aufarbeitung des Warschauer Aufstands ist noch nicht abgeschlossen. 2017 forderte die damalige polnische Regierungspartei Interner Link: PiS offiziell Reparationszahlungen von Deutschland. Aus polnischer Sicht findet die NS-Vernichtungs- und Versklavungspolitik zwischen 1939 und 1945 gegenüber der Zivilbevölkerung bis heute zu wenig Beachtung in Deutschland. 2022 präsentierte die PiS-Regierung am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen ein Gutachten: Dem zufolge belaufen sich die Schäden durch die deutsche Besatzung auf 1,3 Billionen Euro. Interner Link: Die deutsche Bundesregierung sieht diese Ansprüche hingegen als abgegolten an – aufgrund des Londoner Vertrags und des Interner Link: Zwei-plus-Vier-Vertrags, der als Ersatz für einen Friedensvertrag gilt und in dem keine Reparationsansprüche geregelt sind.

Mit dem Regierungswechsel in Warschau im Jahr 2023 haben sich Interner Link: die deutsch-polnischen Beziehungen verbessert. Ministerpräsident Donald Tusk (Interner Link: PO, Bürgerplattform)betonte dennoch, dass er eine materielle und moralische Wiedergutmachung erwarte, distanziert sich aber von den Forderungen der vorherigen Regierung.

Polen und Deutschland setzen auf eine engere Zusammenarbeit, unter anderem in der Wirtschaft, Sicherheit und Verteidigung. Die Vorhaben wurden Externer Link: im Juli 2024 in einem Aktionsplan festgehalten. Darin wird auch die Rolle der Geschichte thematisiert, konkrete finanzielle Vereinbarungen zur Entschädigung gibt es allerdings nicht. Stattdessen wird etwa die Wichtigkeit der Gründung des Deutsch-Polnischen Hauses betont. Dieses soll in Berlin zur Erinnerung an die polnischen Opfer im Zweiten Weltkrieg errichtet werden. Bereits 2020 hatte der Bundestag für einen Gedenkort gestimmt.

Hinweis: Die ursprüngliche Version dieses Text wurde im Jahr 2019 veröffentlicht und von der Redaktion am 01.08.2024 aktualisiert.

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