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Vor 100 Jahren: Proklamation der ersten Münchner Räterepublik | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 100 Jahren: Proklamation der ersten Münchner Räterepublik

Redaktion

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In Bayern verlief die Revolution von 1918 zunächst weitgehend friedlich. Mit der Ermordung von Ministerpräsident Eisner änderte sich das. Am 7. April 1919 wurde in München die erste Räterepublik ausgerufen. Es folgten Bürgerkrieg und politisches Chaos.

Ausrufung der Münchner Räterepublik am Stachus (Karlsplatz) am 7. April 1919. (© picture-alliance/akg)

Als im Ersten Weltkrieg die Niederlage Deutschlands absehbar wurde, zerbrach die Monarchie: Ende Oktober 1918 verweigerten Matrosen auf den Kriegsschiffen der deutschen Hochseeflotte in Wilhelmshaven den Befehl, zu einer letzten, selbstmörderischen Schlacht in der Nordsee auszulaufen. Der Protest erreichte Anfang November Kiel, wo kriegsmüde Matrosen die Macht übernahmen und die sogenannte Novemberrevolution auslösten. Von dort schlug der Matrosenaufstand wie ein Lauffeuer auf andere deutsche Städte über.

Überall in Deutschland bildeten sich spontan Soldaten- und Arbeiterräte. Die beiden Arbeiterparteien, die "Mehrheitssozialdemokraten" (MSPD) und die 1917 von der SPD abgespaltenen "Unabhängigen Sozialdemokraten" (USPD), setzten sich an die Spitze der Rätebewegung. Die zentralen Forderungen lauteten sofortiges Kriegsende, Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und Demokratisierung.

"Freistaat Bayern"

Rasch erreichte die Protestwelle auch Bayern, wo ebenfalls keine Kriegsbegeisterung mehr herrschte. Die Ernährungslage war schlecht und der bayrische König Ludwig III. galt als willenloses Werkzeug des deutschen Kaisers, der in den Augen vieler Bayern vor allem im Interesse des ungeliebten Preußens handelte. Am 7. November 1918 versammelten sich 40.000 bis 60.000 Demonstranten auf der Münchner Theresienwiese bei einer Friedenskundgebung, zu der die beiden Arbeiterparteien und die freien Gewerkschaften aufgerufen hatten. Noch am gleichen Abend rief eine kleine Gruppe um den Pazifisten und unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) Kurt Eisner den "Freistaat Bayern" aus und erklärte das Ende der bayrischen Monarchie.

Der bayrische König Ludwig III. setzte sich noch in derselben Nacht nach Österreich ab. Damit war er der erste Monarch, der in der Novemberrevolution abgesetzt wurde. Zwei Tage später wurde in Berlin die Abdankung von Wilhelm II. bekannt gegeben. Nur wenige Stunden später rief Philipp Scheidemann (MSPD) die erste "deutsche Republik" aus, gefolgt von Karl Liebknecht (Spartakusbund), der die "freie sozialistische Republik Deutschland" proklamierte.

In Bayern wurde am 8. November als vorläufiges Parlament ein Nationalrat gebildet, in dem Eisner erster (provisorischer) Ministerpräsident des neuen Freistaats wurde. Eisners erklärte Ziele waren das sofortige Kriegsende und die Einführung einer parlamentarischen Demokratie, die durch die Wahl des bayrischen Landtags am 12. Januar konstituiert werden sollte.

Doch schon bald war der schichtübergreifende Minimalkonsens, der den Umsturz ermöglicht hatte, aufgezehrt. Zwischen den linken Kräften entbrannte ein Kampf zwischen Anhängern des Parlamentarismus und des Rätesystems, während rechtsgerichtete Kräfte die Restaurierung eines autoritären Nationalstaats anstrebten. Eisner selbst wurde wegen seiner jüdischen Herkunft und weil er die deutsche Kriegsschuld eingestanden hatte zunehmend zur Zielscheibe antisemitischer und nationalistischer Hetze. Bei den bayrischen Landtagswahlen im Januar 1919 erlitt Eisners Partei, die USPD, mit nur 2,5 Prozent der Stimmen eine verheerende Niederlage. Gewinner waren die MSPD und bürgerliche Parteien.

In den Wochen nach den Wahlen eskalierten die politischen Spannungen: Noch bevor Eisner zurücktreten konnte, wurde er am 21. Februar 1919 von einem reaktionären Gegner der Revolution erschossen.

"Zweite Revolution" - Kampf zwischen Parlamentarismus und Rätesystem

Nach der Ermordung Eisners und den darauffolgenden Schießereien im bayerischen Landtag tauchten viele Abgeordnete und Regierungsmitglieder unter. In diesem Machtvakuum hatten vor allem die Räte noch eine gewisse politische Macht. Sie bildeten noch am gleichen Tag einen Zentralrat, der als Gegenpol zu den parlamentarischen Parteien die Macht in München übernahm.

Zur Klärung der politischen Zukunft Bayerns berief der Zentralrat einen gesamtbayerischen Rätekongress für Ende Februar ein, auf dem die Mehrzahl der Delegierten jedoch gegen eine Räterepublik stimmte. Anfang März gelang es, einen Kompromiss zwischen den Vertretern der Räte und den Abgeordneten im Landtag auszuhandeln. Am 17. März wurde eine neue parlamentarische Regierung gebildet, der Johannes Hoffmann (MSPD) als erster demokratisch legitimierter Ministerpräsident vorstand. Die politische Zukunft Bayerns schien entschieden. Doch Hoffmann gelang es nicht, die Spannungen zwischen parlamentarischen Parteien und lokalen Arbeiter- und Soldatenräten abzubauen. Ende März gewannen die Befürworter einer Räterepublik in München zunehmend die Oberhand.

Erste Räterepublik in München

Am 7. April 1919 riefen Vertreter des Zentralrats und des Revolutionären Arbeiterrats in München die "Baierische" Räterepublik aus. Die Regierung Hoffmann wurde für abgesetzt erklärt. Daraufhin flohen Ministerpräsident Hoffmann und seine Anhänger nach Bamberg. Nun gab es zwei Regierungen in Bayern.

Dem Münchner Experiment schlossen sich weitere Städte in ganz Bayern an. Allerdings gelang es nur in Augsburg und Rosenheim die Räterepubliken länger aufrechtzuerhalten. In Orten wie Hof und Würzburg wurden sie umgehend beseitigt oder lösten sich nach kurzer Zeit selbst auf.

Die Münchner Räterepublik wurde in ihrer ersten Phase von Intellektuellen geprägt. Dazu gehörten der pazifistische Literat Ernst Toller (USPD) sowie die anarchistischen Schriftsteller Gustav Landauer und Erich Mühsam. Die Volksbeauftragten planten, leere Wohnungen für Arme zu beschlagnahmen, das Bildungssystem zu reformieren, Kapitalflucht zu stoppen und Schlüsselindustrien zu verstaatlichen. Taten blieben jedoch weitgehend aus, weil qualifiziertes Personal fehlte. Stattdessen herrschte Mangel an Lebensmitteln und Brennstoffen, weil die Regierung Hoffman einen Einfuhrstopp veranlasst hatte.

Ausrufung der zweiten Räterepublik am 13. April 1919

Die erste Räterepublik hatte jedoch nur kurz Bestand: Am 13. April versuchte die Regierung Hoffman die Räteregierung mithilfe der ihr treuen "Republikanischen Schutztruppe" zu stürzen. Der sogenannte Palmsonntagsputsch wurde von Anhängern der Räterepublik und der Kommunistischen Partei (KPD) niedergeschlagen, führte jedoch zu einem Machtwechsel in München.

Noch während der Kämpfe erklärte die KPD die erste Räterepublik nach knapp einer Woche für beendet und rief eine kommunistische Räterepublik aus. An die Stelle des Zentralrats traten ein von den Kommunisten dominierter Aktionsausschuss sowie ein Vollzugsrat, welche die neue Regierung bildeten. Tonangebend waren jetzt die Kommunisten Eugen Leviné und Max Levien.

Die neuen Machthaber, die nach bolschewistischem Vorbild eine "Diktatur des Proletariats" errichten wollten, begannen schnell mit weiteren Maßnahmen, um ihre Macht abzusichern: Mit einem sofortigen Generalstreik verschafften sie sich Zeit, um eine Rote Armee aufzustellen. Angehörige des bürgerlichen Lagers wurde entwaffnet und unter Druck gesetzt. Es kam zu Verhaftungen, Beschlagnahmungen von Bargeldbeständen und Presseverboten.

Auseinanderbrechen der zweiten Räteregierung

Von Bamberg aus mobilisierte die Regierung Hoffmann zusammen mit der Berliner Reichsregierung militärische Truppen zur Niederschlagung der Räterepublik. Auf Geheiß von Reichswehrminister Gustav Noske (MSPD) rückten ab Mitte April Reichswehrsoldaten aus Berlin und Württemberg sowie Freikorpsverbände Richtung München vor. Ende April war München eingekreist.

Geiselerschießung und Vergeltung

Am 30. April 1919 erschossen Rotarmisten im Münchner Luitpold-Gymnasium zehn Geiseln, überwiegend Mitglieder der deutsch-völkischen Thule-Gesellschaft. Offenbar eine Vergeltungsmaßnahme: Regierungssoldaten hatten am 29. April 1919 in Münchens Außenbezirken Gefangene hingerichtet. Mit dem "Geiselmord" durch die Rotarmisten wurde das brutale Vorgehen der Reichswehr- und Freikorpseinheiten während der Eroberung Münchens legitimiert, die am 1. Mai 1919 begann.

Niederschlagung der Räterepublik fordert über 600 Tote

Dem Einmarsch der als "Weißen Armee" bezeichneten Regierungstruppen und Freikorps-Kämpfer fielen in München 335 Zivilisten zum Opfer, die teilweise irrtümlich für Kommunisten gehalten wurden. Bis zur Niederschlagung der kommunistischen Räterepublik am 3. Mai 1919 starben mehr als 600 Menschen.

Auch nach der Einnahme Münchens gingen die Kampfhandlungen weiter, bei der die Regierungstruppen und die rechtsgerichteten Freikorpsmitglieder ihrerseits eine Welle des "Weißen Terrors" in der Stadt verbreiteten. Erst am 8. Mai 1919 endeten die letzten Kämpfe in München. Es folgte eine Verhaftungswelle vermeintlicher und tatsächlicher Kommunisten. Auch Hinrichtungen wurden vollstreckt, wie zum Beispiel in den Fällen von Landauer und Leviné. Rechte Verbrechen wurden hingegen kaum geahndet.

Kommunistenhass und Antisemitismus

Der Schock über den "Geiselmord" der Kommunisten am Luitpold-Gymnasium, machte die Gewaltexzesse der Regierungs- und der Freikorpseinheiten für weite Teile der Münchner Bevölkerung akzeptabel. Die Deutungshoheit über die Revolution hatten nun die Sieger: die politische Rechte und das konservative Bürgertum. Der einst als unvermeidlich hingenommene Sturz der Monarchie im November 1918 galt nun als illegitim. Die Dolchstoßlegende, nach der die Linke für die deutsche Niederlage im Weltkrieg verantwortlich sei, gewann an Boden.

Neues Leitmotiv wurde die Verachtung der demokratisch-liberalen Gesellschaft, welche unter den Generalverdacht gestellt wurde, dem Bolschewismus Tür und Tor zu öffnen. Dass im Frühjahr 1919 neben Eisner, Toller, Mühsam und Leviné auch andere Protagonisten mit jüdischer Herkunft aktiv waren, gab dem ohnehin starken Antisemitismus weiteren Auftrieb und führte zur Verbreitung der Propagandafigur des "jüdischen Bolschewismus".

"Ordnungszelle Bayern"

In Bayern fand in der Folgezeit ein Rechtsrutsch statt. 1920 wurde der nationalkonservative Gustav von Kahr Ministerpräsident. Er kündigte für die "Ordnungszelle Bayern" ein "strenges Einschreiten gegen Überfremdung durch Stammesfeinde" an. Sozialdemokraten waren in der Regierung nicht mehr vertreten. München – bis 1914 eine liberale Künstlerstadt – wurde zum Zentrum republikfeindlicher Kräfte. Die Verhältnisse im nachrevolutionären München kamen auch Adolf Hitler und seiner 1920 gegründeten NSDAP stark entgegen. 1935 ernannte Hitler München sogar zur "Hauptstadt der Bewegung".

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