Das Schriftleitergesetz, das bereits am 4. Oktober 1933 vom Kabinett verabschiedet worden war und am 1. Januar 1934 in Kraft trat, veränderte die Arbeit von Deutschlands Journalisten grundlegend. Es war das entscheidende Instrument nationalsozialistischer Medienkontrolle - aber nicht der erste Schritt.
Schon bald nachdem die Regierung des am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannten Adolf Hitler ins Amt gekommen war, begannen die Nationalsozialisten mit ihrer Politik der "Gleichschaltung" von Vereinen, Verbänden und Institutionen. Ziel war es, das gesamte gesellschaftliche Leben unter Kontrolle zu bringen. Das galt auch für die Medien.
Zur nationalsozialistischen Politik müsse man sich "mit einem klaren Ja oder einem klaren Nein bekennen; und dieses Ja oder Nein duldet kein Wenn und kein Aber", hatte Propagandaminister Joseph Goebbels bereits in einer Rede vor der auswärtigen Presse am 6. April 1933 angekündigt. "Die geistigen Kräfte des deutschen Journalismus, die sich zu einem Ja verpflichten, können der wärmsten ideellen und materiellen Unterstützung der Regierung gewiss sein."
Sozialdemokratisch und links orientierte Parteipresse von SPD und KPD ließ das NS-Regime nach dem Reichstagsbrand schon im Februar 1933 verbieten. Was den Nationalsozialisten noch fehlte, war eine rechtliche Handhabe gegen die bürgerliche Presse. Diese Funktion übernahm das Schriftleitergesetz.
Aus Redakteuren wurden "Schriftleiter"
Die Nationalsozialisten machten keinen Hehl daraus, dass sie den Berufsstand verändern wollten. Das begann schon bei der Wortwahl: Aus "Redakteuren" wurden durchweg "Schriftleiter", ein Chefredakteur war fortan ein "Hauptschriftleiter". Die neuen Rahmenbedingungen, die Journalisten auferlegt wurden, bedeuteten eine vollständige Kontrolle des deutschen Pressewesens durch den NS-Staat.
Das Gesetz regelte den Zugang zum Journalistenberuf im Sinne der Nationalsozialisten. "Schriftleiter" mussten die deutsche Reichsangehörigkeit besitzen (§ 5) und einen "Ariernachweis" vorlegen (§ 6). Ausländern und Deutschen jüdischen Glaubens sowie solchen, die "mit einer Person nichtarischer Abstammung verheiratet" waren, war damit per Gesetz der Weg in den Journalismus verwehrt.
Politische Kontrolle über die Eintragung in die Schriftleiterliste
Eine zusätzliche Hürde war die aus dem Gesetz resultierende Pflichtmitgliedschaft in der Reichspressekammer (§ 8) – sie musste von den jeweiligen Landesleitern genehmigt werden. Dem Reichminister für Volksaufklärung und Propaganda wurde ein explizites Vetorecht eingeräumt: Er konnte ohne Nennung konkreter Gründe die Eintragung in die Schriftleiterliste der Reichspressekammer verweigern. Wer politisch nicht fügsam war, bekam keine Arbeit mehr in den zugelassenen Medien.
Journalisten wurden ganz direkt zur Loyalität gegenüber der NS-Diktatur verpflichtet. So gingen sie dem NS-Gesetz zufolge einer "öffentlichen Aufgabe" nach (§ 1), die konkret definiert wurde (§ 14): Sie sollen aus der Berichterstattung "fernhalten", was die "Kraft des deutschen Volkes" oder den "Gemeinschaftswillen" schwächte. Außerdem sollen sie Inhalte vermeiden, die aus "anderen Gründen sittenwidrig sind" – dies war ein "Gummiparagraph", der auf sämtliche für die Nationalsozialisten unliebsamen Berichte angewendet werden konnte.
Entmachtung der Verleger
Und schließlich veränderte das Schriftleitergesetz auch die Machtstrukturen in den Verlagen. Die so genannten Hauptschriftleiter (§ 18 ff.) waren persönlich haftbar für den politischen Kurs im Textteil ihrer Zeitung und verpflichtet, ihn zu kontrollieren. Dadurch wurde es Verlegern unmöglich, politischen Einfluss auf die Ausrichtung zu nehmen. Jede Zeitung war fortan einzig und allein der nationalsozialistischen Ideologie verpflichtet. Das galt auch für wissenschaftliche Fachzeitschriften.
In der Personalpolitik waren den Verlegern die Hände ebenfalls gebunden. Hatte ein Journalist einmal die Zugangsvoraussetzungen zum Schriftleiterberuf erfüllt, konnte er ohne das Vorliegen entsprechender politischer Gründe nicht wieder von den Verlegern entlassen werden (§ 30). Mehr noch: Verleger, die regimekritische Redakteure beschäftigten, konnten de jure bis zu drei Monaten Haft bestraft werden (§ 37), de facto wurden Andersdenkende verfolgt und nicht selten in Konzentrationslagern ermordet.
Wer regimetreu war, bekam mehr Sicherheit
Der Widerstand gegen das Gesetz war überschaubar. Viele ehemalige Journalisten nahmen die für die Treue zum NS-Staat gebotene Sicherheit an. Schließlich waren sie, wenn sie sich an die politischen Vorgaben des NS-Regimes hielten, faktisch unkündbar. Oft ist deshalb davon die Rede, dass durch die Bestimmungen des Schriftleitergesetzes der Journalistenberuf einen "beamtenähnlichen" Status erhalten habe. Linientreue Redakteure mussten weder Verleger noch Chefredakteure fürchten.
Kritische und aus rassistischen Erwägungen unerwünschte Journalisten jedoch verloren nun ihre Stellen. Schätzungen gehen von bis zu 1.300 Berufsgerichtsverfahren gegen "marxistische" und jüdische Redakteure aus.
Sinkende Auflagen
Wirtschaftlichen Erfolg hatten die NS-Medien bei den Lesern jedoch nicht. Sie verloren zusehends an Auflage. Viele Bürger waren gelangweilt von der eintönigen Berichterstattung. Eine indirekte Folge des Schriftleitergesetzes ist eine Pressekonzentration im Deutschen Reich. Blätter, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren, wurden oft vom Franz-Eher-Verlag in München aufgekauft, der auch Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" herausgab. Bei Kriegsende kontrollierte der Verlag mehr als 80 Prozent der in Deutschland veröffentlichten Tageszeitungen.
Mit einer "Kundmachung" der Provisorischen Nachkriegsregierung vom 20.6.1945 wurde neben anderen Rechtsvorschriften der Nazis, auch das Schriftleitergesetz aufgehoben und rückwirkend zum 27.4.1945 außer Kraft gesetzt.
Eine direkte Nachwirkung des Schriftleitergesetzes ist es, dass der Zugang zum Journalistenberuf in der Bundesrepublik nicht reguliert wird. "Journalist" darf in Deutschland heute jeder sein. Und auch für die Funktion des "Redakteurs" gibt es keine gesetzlichen Zugangsbeschränkungen. Selbst die Pressefreiheit wird im Grundgesetz nicht weiter ausdefiniert und an Voraussetzungen gebunden. Sie leitet sich schlicht aus Artikel 5 ab: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten."