Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bemühte sich der Vatikan um die Neuordnung und Konsolidierung seiner völkerrechtlichen Beziehungen.
Der Vatikan
Als Vatikan bezeichnet man umgangssprachlich zwei verschiedene Völkerrechtssubjekte: den nur 44 Hektar großen Staat der Vatikanstadt und den Heiligen Stuhl. Dabei wird dem Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche eine eigene Völkerrechtssubjektivität zuerkannt. Folglich regelt der Heilige Stuhl die diplomatischen Beziehungen des kleinsten Staates der Welt. Hierzu bedient man sich des Abschlusses von Konkordaten, völkerrechtlich verbindlichen Verträgen des Heiligen Stuhls mit einzelnen Staaten.
Von besonderer Bedeutung waren die sogenannten Lateranverträge, die der Heilige Stuhl 1929 mit dem faschistischen Italien schloss und die aus einem Staatsvertrag, einem Finanzabkommen und einem Konkordat bestanden. Somit schufen sie nicht nur einen finanziellen Ausgleich für die 1870 erfolgte Zwangseingliederung des vatikanischen Territoriums in Italien, sie bedeuteten vor allem auch die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität der Vatikanstadt ("Stato della Città del Vaticano"). Der römisch-katholische Glaube wurde italienische Staatsreligion und der rechtliche Status der Kirche gegenüber dem totalitären Regime von Benito Mussolini schien mit den Verträgen abgesichert.
Auch mit den deutschen Ländern Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) konnte der "Botschafter" des Heiligen Stuhls im Deutschen Reich, Eugenio Pacelli (ab 1939 Papst Pius XII.) Konkordate aushandeln, die das Verhältnis zwischen Land und Glaubensgemeinschaft regelten. Die seit 1924 geführten Verhandlungen mit der Weimarer Republik scheiterten jedoch an fehlenden Mehrheiten im Parlament.
Das Reichskonkordat und die Machtübernahme der Nationalsozialisten
Nach der Machtübernahme der Interner Link: Nationalsozialisten wurden sie wieder auf die politische Agenda gesetzt. Am 30. Januar 1933 ernannte Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler, am 23. März 1933 billigten die Abgeordneten des Reichstags mit großer Mehrheit das
Dass das Ermächtigungsgesetz mit den Stimmen der katholischen
Die katholische Zentrumspartei und das Konkordat
In der Ende der 1970er-Jahre aufgeflammten und bis heute nicht endgültig aufgelösten "Scholder-Repgen-Kontroverse" vertrat der evangelische Kirchenhistoriker Klaus Scholder die These, Eugenio Pacelli habe den nationalsozialistischen Unterhändlern die Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz als Gegenleistung für das Konkordat angeboten und Hitler damit den legalen Weg in die Diktatur geebnet. An der Spitze der Zentrumspartei hatte seit Ende 1928 Ludwig Kaas gestanden, ein enger Mitarbeiter Pacellis, der an den Abschlüssen des badischen und des preußischen Konkordats mitgewirkt hatte und an der Aushandlung des Reichskonkordats einen großen Anteil hatte.
Dagegen argumentierten andere, insbesondere Konrad Repgen und Hubert Wolf – das Konkordat sei ein "Defensivvertrag" gewesen: Die Kirche habe die Katholiken in Deutschland vor der Diktatur schützen und die Distanz der Kirche zum Nationalsozialismus wahren wollen. Wolf zufolge hat Pacelli auf die Entscheidung der Zentrumspartei keinen Einfluss genommen. Er sei im Gegenteil über die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz ebenso verärgert gewesen wie über die Zurücknahme der Verurteilung des Nationalsozialismus durch die deutschen Bischöfe vier Tage später. Denn damit, so Wolf, "schlugen die deutschen Katholiken Pacelli sozusagen seine beiden einzigen Trümpfe aus der Hand, die er bei seinen Verhandlungen mit Hitler über das Reichskonkordat hatte".
Die Nationalsozialisten brauchten durch das Ermächtigungsgesetz jedenfalls keine Bestätigung durch den Reichstag mehr und benutzen ihre absolute Macht auch in den diplomatischen Beziehungen. Der Abschluss des "Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich" am 20. Juli 1933 galt als ein außenpolitischer Erfolg für das Nazi-Regime und brachte ihm auch innenpolitisch einen Prestigegewinn.
Die Elemente des Reichskonkordats
Der Konkordatstext garantierte die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, den Fortbestand katholischer Vereine sowie insbesondere der Bekenntnisschulen und der konfessionellen Lehrerbildung. Bischöfe hatten (und haben dies bis heute) nach Artikel 16 des Vertrages fortan gegenüber dem Staat einen Treueid zu leisten. Zugleich wurde Geistlichen nach Artikel 32 jede Betätigung in politischen Parteien verboten.
QuellentextTreueid
"Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, dem Deutschen Reich und dem Lande Treue. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtmäßigen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte."
Das Konkordat diente zum Zeitpunkt seines Abschlusses sowohl dem Interesse der Kirche als auch dem der Nationalsozialisten: Ziel der NS-Führung war es, mit den Konkordatsabschluss den katholischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu besänftigen, Geistlichen politische Einmischung zu verbieten und die deutschen Katholiken dazu zu bewegen, sich – so Hitler – "von jetzt an rückhaltlos in den Dienst des nationalsozialistischen Staates" zu stellen.
Als Motivation der katholischen Kirche gilt, die befürchtete Zerschlagung der institutionellen kirchlichen Strukturen in Deutschland abzuwehren, denn bereits seit Monaten zementierten die Nationalsozialisten ihre Diktatur. Sie verboten Parteien, lösten Länderparlamente auf, zerschlugen Gewerkschaften und hebelten Grundrechte aus. "So wie einst das Christentum oder später die Reformation ihre gigantischen politischen Auswirkungen hatten, so wird jede politische völkische Umwälzung auch das Schicksal der Kirchen betreffen", postulierte Hitler kurz nach Abschluss des Konkordats. Noch im selben Jahr wurde deutlich, dass das Nazi-Regime das Konkordat fortwährend brach: Bekenntnisschulen wurden unter Druck gesetzt, die kirchliche Presse zensiert und Priester strafrechtlich verfolgt. Protestnoten, in denen Verstöße gegen das Konkordat gerügt wurden, änderten daran nichts.
Enzyklika "Mit brennender Sorge"
1937 reagierte der Heilige Stuhl mit der in deutscher Sprache verfassten päpstlichen Erklärung. In der Enzyklika "Mit brennender Sorge" verurteile der Papst die NS-Politik und die Bedrängnis der katholischen Gemeinde. Das von Pius XI. (bürgerlich: Achille Ambrogio Damiano Ratti ) am 14. März unterzeichnete und binnen einer Woche heimlich in mehr als 300.000 Exemplaren gedruckte Lehrschreiben wurde am darauffolgenden Sonntag von allen 11.500 Kanzeln der katholischen Kirchen in Deutschland verlesen. Zwar wurde die Rassenpolitik der Nazis deutlich kritisiert und als unvereinbar mit dem katholischen Glauben abgelehnt, doch fand die Judenverfolgung darin keine Erwähnung.
Die Abrechnung des Papstes mit dem Interner Link: NS-Regime war zugleich ein Eingeständnis, dass die mit dem Konkordat verfolgte Strategie gescheitert war. Zu einer Aufkündigung des Konkordats kam es gleichwohl nicht. Auch nicht vonseiten des NS-Staats. Es ist vielmehr bis heute in der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs geltendes Recht.
Das Bundesverfassungsgerichturteil 1957
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 war die Fortgeltung des Reichskonkordats zunächst heftig umstritten. Auch im Alliierten Kontrollrat wurde die Frage debattiert, mit dem Ergebnis, dass eine Entscheidung dem deutschen Gesetzgeber überlassen bleiben sollte.
Nach der Gründung der Bundesrepublik wurden am 01. Juni 1954 die diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan wieder aufgenommen. Die Bundesregierung vertrat den Standpunkt, dass das Reichskonkordat weitergelte und binde deshalb auch die Bundesländer. Auch ein Urteil des
Das Konkordat bildet den Rahmen für das mit der katholischen Kirche bestehende Vertragskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Daneben bestehen eine Reihe von Länderkonkordaten und andere Staatskirchenverträge nicht nur mit der katholischen, sondern auch der evangelischen Kirche sowie dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Inwieweit das Staatskirchenrecht auch für Muslime geeignet ist, wird gegenwärtig diskutiert.
Das Reichskonkordat und die Staatskirchenverträge garantieren unter anderem
die Religions- und Kirchenfreiheit unter Einschluss der Freiheit der Lehre, den Bestand des Kirchengutes und die freie kirchliche Vermögensverwaltung
den Religionsunterricht an staatlichen Schulen, theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten, die Militärseelsorge und die Seelsorge in Gefängnissen und staatlichen Krankenhäusern sowie insbesondere das kirchliche Besteuerungsrecht (Kirchensteuer)
die finanziellen Leistungen zu denen der Staat etwa durch historische Rechtstitel verpflichtet ist, die auf die Zeit der Säkularisation zurückgehen.
Interner Link: (APuZ 28-29/2018) Aus Politik und Zeitgeschichte: Religionspolitik - Interner Link: Kirche in Deutschland (Informationen zur politischen Bildung)
Interner Link: Wolfram Kinzig: Verhältnis zum Staat im historischen Überblick Interner Link: Stefan Mückl: Aktuelle Herausforderungen für das Staatskirchenrecht Interner Link: Anja Henning: Zum Verhältnis von Religion und Politik in Europa (APuZ 24/2013) - Externer Link: Dossier: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg