Es sollten die spannendsten Wahlen in der jüngeren Geschichte der Türkei werden und die wichtigsten. Gegen 18 Uhr deutscher Zeit (19 Uhr in der Türkei) machte sich im oppositionellen Lager jedoch schnell Ernüchterung breit. Eine klare Mehrheit für den amtierenden Staatspräsidenten
Damit wurden diese Wahlen genauso entschieden, wie auch alle anderen Wahlen in den vergangenen 16 Jahren: Recep Tayyip Erdoğan und seine AKP haben gewonnen. Eine Stichwahl am 8. Juli wird also nicht stattfinden. Diese wäre notwendig gewesen, hätte keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten.
Laut vorläufigem Endergebnis erhielt Erdoğan 52,5 Prozent der Stimmen und bleibt damit Staatspräsident der Türkei. Sein größter Konkurrent, Muharrem İnce von der
Die Opposition wird im Parlament die CHP und die
Vorläufiges Ergebnis der Präsidentschaftswahl
Recep Tayyip Erdoğan | 52,5 % |
---|---|
Muharrem İnce | 30,6 % |
Meral Akşener | 7,3 % |
Selahattin Demirtaş | 8,4 % |
Temel Karamollaoğlu | 0,9 % |
Doğu Perinçek | 0,2 % |
Vorläufiges Ergebnis der Parlamentswahl
Bündnis: "Allianz des Volkes" | |
---|---|
AKP | 42,5 % |
MHP | 11,1 % |
Bündnis: "Nationale Allianz" | |
CHP | 22,6 % |
Iyi Parti | 10,0 % |
Saadet Partei | 1,4 % (wird voraussichtliche keine Abgeordneten stellen) |
Weitere | |
HDP | 11,7 % |
Sonstige | 0,7 |
Die Wahlbeteiligung lag bei 86,4 Prozent. |
Quelle: trthaber
Überraschte Opposition? Vorgezogene Neuwahlen
Nachdem eine knappe Mehrheit der Türkinnen und Türken im April 2017 für eine
Der Vorsitzende der mit der AKP kooperierenden MHP Devlet Bahçeli machte am 17. April 2018 einen konkreten Vorschlag: Bereits am 26. August 2018 sollten die Türkinnen und Türken zur Urne schreiten. Danach ging alles jedoch sehr schnell. Am darauffolgenden Tag trafen sich Erdoğan und Bahçeli und ein noch früherer Wahltermin wurde genannt, der auch kurz darauf vom Parlament bestätigt wurde: der 24. Juni 2018. Am gleichen Tag wurde auch der seit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 anhaltende Ausnahmezustand erneut um drei Monate verlängert.
Über die Frage, warum die Wahlen um fast anderthalb Jahre vorgezogen wurden, lässt sich nur spekulieren. Die türkische Regierung um Präsident Erdoğan begründete den Schritt damit, Stabilität in wirtschaftlich und politisch unruhigen Zeiten herstellen zu wollen. Kritische Stimmen warfen hingegen der Regierung vor, die Opposition überrumpeln und Wahlen stattfinden lassen zu wollen, bevor die wirtschaftliche Situation des Landes noch schwieriger wird.
Dass der amtierende Präsident Erdoğan erneut antreten würde, war klar – ebenso, dass die AKP gemeinsam mit der MHP in einem Wahlbündnis zur Parlamentswahl antreten würde. Dafür hatte die Regierung im März 2018 noch das Wahlgesetz geändert: die hohe Sperrklausel von 10 Prozent gilt seither für alle Parteien in einem Wahlbündnisse gemeinsam und nur so konnte der MHP als kleine Partei im Wahlbündnis mit der AKP der Einzug in das Parlament gesichert werden.
Ebenso gesetzt war Meral Akşener als Kandidatin ihrer Partei, der IYI-Parti. Bei den übrigen Oppositionsparteien dauerte die Kandidatensuche länger und bot einige Überraschungen: Die HDP nominierte ihren seit November 2016 wegen des Vorwurfs der "Terrorpropaganda" inhaftierten ehemaligen Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş. Die CHP - zweitstärkste Partei der Türkei - nominierte den Abgeordneten Muharrem İnce; der Parteivorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu verzichtete. Versuche der Opposition sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen waren im Vorfeld gescheitert.
Frei und fair?
Wie bereits im Wahlkampf zum Verfassungsreferendum im April 2017 wurde auch in den vergangenen Wochen kritisiert, dass ein fairer Wahlkampf im andauernden Ausnahmezustand kaum möglich sei. Zudem kam es zu zahlreichen Zwischenfällen – im Wahlkampf sowie am Wahltag. Insbesondere in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Gebieten im Südosten der Türkei fanden die Wahlen daher in einer unfreien Atmosphäre statt. Mehrfach wurde aus dem Südosten der Türkei von massiven Behinderungen des Wahlkampfs der HDP berichtet. Zudem wurden für den Wahltag zahlreiche Wahlbezirke innerhalb der kurdischen Gebiete verlegt oder zusammengelegt, sodass die Menschen weite Strecken zurücklegen mussten, um von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Darüber hinaus sitzt der Präsidentschaftskandidat und ehemalige Vorsitzende der Partei sowie ein Großteil der bisherigen HDP-Abgeordneten weiterhin in Haft. In der Kritik stand auch die Änderung des Wahlgesetzes, das nun auch Wahlzettel als gültig anerkannte, die nicht zuvor vom "Hohen Wahlausschuss" (Yüksek Seçim Kurulu) gestempelt wurden.
Ein großes Problem für alle Oppositionsparteien war zudem die ungleiche Behandlung in den Medien: Erdoğan und seine Partei erhielten ein Mehrfaches der Aufmerksamkeit, die der Opposition zuteilwurde. Für den Zeitraum zwischen dem 31. Mai und dem 14. Juni 2018 wertete Transparency International dazu den staatlichen Fernsehsender TRT aus: 105 Minuten wurden in dieser Zeit den Präsidentschaftskandidaten gewidmet: Davon entfielen 53 Minuten auf Erdoğan und 22 Minuten auf Muharrem İnce. Selahattin Demirtaş wurde gar nicht erwähnt.
Hinzu kommt, dass die Lage der Medien seit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 ohnehin sehr angespannt ist. Über 180 Medien wurden seitdem zwangsweise geschlossen. Eine oppositionelle Haltung gilt als gefährlich, der Druck sich regierungskonform zu verhalten ist hoch.
Auch am Wahltag kam es zu einer Reihe von Unregelmäßigkeiten. In den sozialen Netzwerken verbreiteten sich früh Nachrichten über bereits ausgefüllte Stimmzettel, die in machen Wahlbüros in Bündeln angegeben worden sein sollen und über Polizisten, die Wahlbeobachter der Opposition daran hinderten, in den Wahlbüros der Auszählung beizuwohnen. Solche Beobachtungen decken sich zwar mit den Erfahrungen der Wahlbeobachter während den vergangenen Wahlen, einen strukturellen Wahlbetrug an der Urne beweisen sie jedoch nicht.
Mobilisierung der Opposition
Trotz des Wahlkampfs unter erschwerten Bedingungen gelangen der Opposition gleich zwei Neuerungen: Zum einen schaffte sie es geschlossen aufzutreten und sich gegenseitig Unterstützung für den Fall einer Stichwahl zuzusichern. Zum anderen gelang ihr, insbesondere der CHP und ihrem Kandidaten Muharrem İnce, eine neue Größenordnung der Mobilisierung: An seinen letzten Wahlkampfauftritten in Izmir, Ankara und noch am 23. Juni in Istanbul nahmen nach Angaben der Partei bis zu fünf Millionen Anhänger teil. Aufgrund dieser Mobilisierung entstand bei vielen der Eindruck einer Wechselstimmung in breiten Teilen der Gesellschaft. Seit den ersten Auszählungsergebnissen ist diese Stimmung jedoch Ernüchterung gewichen.
Wie geht es weiter?
Erdoğan kann nun für weitere fünf Jahre als Staatspräsident die Türkei regieren – einmal kann er danach noch wieder gewählt werden, so steht es in der Verfassung. Mit der Wahl vom 24. Juni treten nun auch die letzten Verfassungsänderungen des Referendums vom April 2017 in Kraft. Der Staatspräsident wird fortan auch formal mit einer nie dagewesenen Machtfülle ausgestattet sein: Das Amt des Ministerpräsidenten gibt es nun nicht mehr. Dessen Kompetenzen erhält der Staatspräsident, der gleichzeitig auch Regierungschef sein wird. Auch der Ministerrat – ein Gremium vergleichbar mit dem deutschen Bundeskabinett – wurde abgeschafft. An seine Stelle tritt eine nicht bestimmte Anzahl von Ministern und stellvertretenden Präsidenten, die der Präsident alleine jederzeit bestimmen und entlassen kann. Die parlamentarische Opposition kann zwar weiterhin schriftliche Anfragen an die Regierung stellen, deren Beantwortung liegt jedoch im Ermessen der Befragten.
Erdoğan als Staatspräsident und seine Partei werden die Geschicke der Türkei in den nächsten Jahren allein und nach ihrem Willen lenken können. "Checks and balances" wie sie das bisherige politische System noch kannte, sind mit der Wahl vom 24. Juni aufgehoben.
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Politische Herausforderungen
Erdoğan hat sich im Wahlkampf dem alten Narrativ seiner politischen Karriere bedient: Wohlstand für alle. Auf diesem Feld hat er wieder umfangreiche Versprechungen gemacht - und nun muss er liefern. Trotz aller Kritikpunkte: Die veränderte Verfassung stattet den Präsidenten mit so umfangreichen Befugnissen aus, dass ein Abschieben von Verantwortung nicht mehr möglich ist. Verbessert sich beispielsweise die Lage der Wirtschaft nicht merklich in den nächsten Monaten, wird man dies dem Staatspräsidenten zum Vorwurf machen.
Hinzu kommt die gespaltene türkische Gesellschaft, die es zu einen gilt. Mag die Wahl für die Opposition auch einen enttäuschenden Ausgang gefunden haben, so ist das Ergebnis dennoch beeindruckend: Es war das erste Mal seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013, dass ein Szenario, in dem Erdoğan nicht als Sieger aus einer Wahl hervorgeht, überhaupt denkbar war. Das wird die Opposition, die fast die Hälfte der türkischen Wählerinnern und Wähler ausmacht, nicht vergessen. Und schließlich bleibt das schwierige Verhältnis zu vielen europäischen Staaten, auf die die Türkei angewiesen ist, aber die wiederum auch auf die Türkei angewiesen sind. Auch dieses Verhältnis gilt es zu reparieren.
Muharrem İnce hatte angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs nacheinander alle europäischen Hauptstädte zu besuchen, "um Frieden zu schließen". Das wird vorerst wohl ausbleiben.