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Parlaments- und Präsidentschaftswahl in Chile
Redaktion
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Am 19. November werden in Chile Präsident, Abgeordnetenkammer und eine Hälfte des Senats neu gewählt. Chile galt lange Musterland der Demokratisierung und wirtschaftlichen Entwicklung, ist vor der Wahl aber sozial gespalten.
Die Gräben sind tief in Chile: 27 Jahre nach dem Ende des brutalen Interner Link: Militär-Regimes des Diktators Augusto Pinochet ist das Land von einer breit gefächerten Parteienlandschaft einerseits und einer verunsicherten und politikverdrossenen Bevölkerung andererseits geprägt. Mehr als 2.000 Menschen wurden während der Amtszeit Pinochets (1973-1990) ermordet oder hingerichtet, weit über 1.000 Menschen gelten als vermisst, über 38.000 politische Gegner wurden gefoltert und Zahllose ins Exil getrieben. Die unter Pinochet entwickelte autoritäre Verfassung ist seither nur zögerlich reformiert worden. Dennoch hat sich Chile seit dem Ende der Diktatur nach und nach wirtschaftlich zum Musterland des südamerikanischen Kontinents entwickelt und belegt im aktuellen Interner Link: "Index der menschlichen Entwicklung" (HDI) der Vereinten Nationen den ersten Rang unter den Staaten Südamerikas.
Allerdings ist die Kluft zwischen Arm und Reich in Chile mittlerweile sehr groß. Studentenproteste und landesweite Demonstrationen von Millionen Chilenen gegen das private Rentensystem, für eine verlässliche Sozialversorgung und kostenlose und höherwertige Bildung prägen die Stimmung im Land kurz vor der Präsidentschafts- und Parlamentswahl.
Neuerungen im Wahlrecht
Chile ist eine Präsidialdemokratie mit einem Zwei-Kammer-Parlament. Der Präsident bzw. die Präsidentin werden direkt gewählt. Bei den Präsidentschaftswahlen darf die noch amtierende Präsidentin Michelle Bachelet nicht antreten, da das chilenische Wahlrecht eine unmittelbare Wiederwahl verbietet.
Die Abgeordnetenkammer Chiles hat 120 Mitglieder, der Senat 38. Die Abgeordneten werden für vier Jahre, die Senatoren für acht Jahre gewählt.
Nach einer Wahlrechtsreform Anfang 2015 werden bei der kommenden Wahl erstmals mehr als zwei Mandate pro Wahlkreis vergeben. Dadurch sollen sich die Chancen kleinerer Parteien auf politische Teilhabe im Parlament verbessern. Für mehr Geschlechtergerechtigkeit soll zudem eine Quotenregel für die Kandidatenaufstellung sorgen: Auf jeder Wahlliste müssen beide Geschlechter mit mindestens 40 Prozent vertreten sein. Seit 2011 gilt keine Wahlpflicht mehr in Chile. Die Wahlberechtigten werden dafür zentral registriert.
Acht Kandidatinnen und Kandidaten treten am 19. November zur Wahl an. Sollte dabei keiner von ihnen die absolute Mehrheit erhalten, wird es am 17. Dezember zur Stichwahl kommen.
Welche Präsidentschaftskandidaten stehen zur Wahl?
Das Spektrum der acht zur Wahl stehenden Kandidaten ist weit gefächert. Aktuelle Umfragen des privaten chilenischen Meinungsforschungsinstituts CEP sehen den rechtskonservativen Sebastián Piñera mit seiner Partei "Pacto Chile Vamos" als Favoriten. Piñera war bereits von 2010 bis 2014 Präsident Chiles. Er gilt als einer der reichsten Männer des Landes und möchte die chilenische Wirtschaft weiter stärken.
Ebenfalls weit oben sieht die letzte Umfrage CEPs Alejandro Guillier: Der Soziologe und Journalist tritt als unabhängiger Kandidat der derzeit regierenden Mitte-Links-Koalition "Nueva Mayoria" an. Guillier fordert einen Ausbau der Finanzierung von Forschung und Entwicklung. Außerdem verspricht der 64-Jährige Investitionen in erneuerbare Energien.
Auf Platz drei sieht die letzte Umfrage CEPs die Journalistin Beatriz Sánchez, Kandidatin des jungen "Pacto Frente Amplio". Das Bündnis aus zwölf linken Parteien und Bürgerbewegungen setzt vor allem auf kostenlose Bildung. Außerdem kritisiert "Frente Amplio" die derzeitige chilenische Politik als eine Politik der Eliten.
Für die "Progressive Partei" (Partido Progresista) tritt Marco Enriquez-Ominami an. Der 44-Jährige ist Sohn eines vom Pinochet-Regime ermordeten linken Politikers und war bereits bei der Präsidentschaftswahl 2010 dabei, er fordert kostenlose Bildung für alle.
Als unabhängiger Kandidat geht der 51-Jährige José Antonio Kast ins Rennen. Der bekennende Katholik und Vater von neun Kindern bezeichnet sich selbst als "rechten Kandidaten". Er ist gegen eine staatliche Finanzierung der Universitäten.
Ultralinks tritt für die "Patriotische Union" (Unión Patriótica) Eduardo Artés an, Generalsekretär der kommunistischen Partei Acción Proletaria. Für gerechte Bildung will der 66-Jährige das gesamte gesellschaftliche System Chiles und die Politik umbauen. Berichten zufolge äußerte Artés mehrfach seine Sympathie für die Haltung der Regierung Nordkoreas.
Für die "Christdemokratische Partei" (Partido Demócrata Cristiano) kandidiert deren Vorsitzende Carolina Goic. Die 44-Jährige lud alle Parteien ein, Ideen gemeinsam umzusetzen. Chile müsse ein Land sein, so Goic, in dem Wirtschaftswachstum und Reichtum mit dem Sozialwesen Hand in Hand gingen.
Für die erst im vergangenen Jahr von ihm selbst gegründete sozialistische Partei "País" tritt der 58-jährige Alejandro Navarro an. Seine Partei kämpft für ein effektives Rentensystem und freien Zugang zu Bildung.
kurz und knappWo steht Chile heute?
Chile ist mit seinen rund 18 Millionen Einwohnern und ist ein sehr junges Land: Gerade mal zehn Prozent der Einwohner sind älter als 65. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bescheinigt Chile eine enorme wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der vergangenen zehn Jahre. Hauptwirtschafts- und Exportsektor ist der Bergbau: Chile verfügt über ein Drittel der weltweiten Kupferreserven. Weitere wichtige Bereiche sind Fischerei, Forstwirtschaft und Obst- und Weinwirtschaft. Chile ist zudem Mitglied internationaler Wirtschaftsorganisationen wie WTO, IWF und Weltbank.
Allerdings hat das starke Wachstum der chilenischen Wirtschaft seit 2013 nachgelassen. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 6,5 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei 15,4 Prozent. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Chile so groß, wie in kaum einem anderen OECD-Land: Das oberste Einkommenszehntel verdiente im Jahr 2015 im Durchschnitt 26 Mal so viel wie das unterste Einkommenszehntel.
Zudem beträgt die durchschnittliche Rente in Chile nur etwa 15 Prozent des Durchschnittseinkommens. Derzeit sind alle abhängig Beschäftigten verpflichtet, zehn Prozent ihres Lohnes in privat verwaltete Pensionsfonds einzuzahlen, deren Erträge unsicher sind. Die Durchschnittspension beläuft sich nach Angaben der staatlichen Aufsichtsbehörde auf 265 Euro. Gut 90 Prozent der chilenischen Rentner leben von monatlich weniger als 200 Euro.
Ein weiteres Problem ist die Bildung: Hier sanken die staatlichen Ausgaben in den vergangenen fünf Jahren so stark, sodass Chile derzeit im weltweiten Vergleich auf einem der letzten Plätze liegt. Schulen und Hochschulen werden zu größten Teilen privat finanziert. Auch im internationalen PISA-Vergleich liegt Chile seit Jahren abgeschlagen im unteren Bereich.
70 Prozent der Chilenen haben Zugang zum Internet – deutlich weniger als in Mexiko oder Brasilien.
Die etwa zehn Prozent indigenen Einwohner Chiles – davon knapp 90 Prozent Mapuche – fordern seit langem die Rückgabe traditioneller Siedlungsgebiete im Süden des Landes, die ihnen von den zumeist europäischen Einwanderern gewaltsam weggenommen wurdenorden waren. Mitte der 1990er Jahre startete zwar ein Rückgabeprogramm, dennoch kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen indigenen Gruppen und Land- und Forstwirten oder den holzverarbeitenden Unternehmen.
Bricht das bipolare System auf? Die neue Bewegung "Frente Amplio"
Über Jahre hatte sich in Chile ein bipolares System mit zwei politischen Blöcken entwickelt: ein Mitte-Rechts- und ein Mitte-Links-Lager. Bewegung in dieses System bringt seit einiger Zeit das im Januar 2016 gegründete Parteienbündnis "Frente Amplio" – was übersetzt so viel bedeutet wie "Breite Front". Das Bündnis mit seiner Spitzenkandidatin Beatriz Sánchez hat seine Wurzeln in der Studentenbewegung und fordert u.a. die Verstaatlichung des Bildungs- und Gesundheitssystems. Aktuelle Umfragen sehen "Frente Amplio" nur bei etwa vier Prozent der Wählerzustimmung, den größten Zuspruch findet das Bündnis unter jungen Chileninnen und Chilenen.
Bilanz der Regierung Bachelet
In Chile überwiegt gegenüber der noch amtierende Präsidentin Michelle Bachelet, der ersten Frau an der Spitze des Staates, die Enttäuschung. Ihr wird der Vertrauensverlust der chilenischen Bevölkerung gegenüber der Politik angelastet. Nachdem Bachelets Sohn als Teil einer Korruptionsaffäre aufflog wurden weitere Korruptionsfälle in Politikerkreisen bekannt.
Kritiker werfen der Staatspräsidentin vor, viele der von ihr versprochenen, ambitionierten Reformen nicht vollendet zu haben – besonders bei den Themen Bildung und Renten. Dabei hat Bachelet eine ganze Reihe von Maßnahmen durchgesetzt: Im September 2014 wurde eine Reform von Unternehmens- und Verbrauchssteuern verabschiedet. Es folgten die Wahlrechtsreform, ein Partnerschaftsgesetz, eine Tarifrechtsreform und die Einrichtung eines Frauenministeriums. Auch im Bemühen um eine neue Verfassung, die die aus der Zeit der Militärdiktatur stammende ablösen soll, wurden erste Schritt umgesetzt.
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