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Streit über Referendum in Katalonien | Hintergrund aktuell | bpb.de

Streit über Referendum in Katalonien

Redaktion

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Am 1. Oktober sollen die Katalanen nach dem Willen der Regionalregierung in Katalonien in einem Referendum über die Unabhängigkeit der Region abstimmen. Das Verfassungsgericht hat die Volksabstimmung bereits verboten, die spanische Regierung geht mit allen Mitteln dagegen vor. Wie tief sind die Gräben zwischen Gegnern und Befürwortern einer Abspaltung und was könnte das Referendum für Europa bedeuten?

Am 1. Oktober sollen die Katalanen über ihre Unabhängigkeit abstimmen. (© picture alliance / NurPhoto)

Spaniens Regierung will Kataloniens Unabhängigkeitsreferendum mit allen Mitteln verhindern. Sicherheitskräfte besetzten Wahllokale in Katalonien, hochrangige katalanische Regierungsbeamte und Organisatoren des umstrittenen Referendums wurden festgenommen, Millionen Stimmzettel beschlagnahmt und die katalanische Regionalpolizei der Aufsicht der zentralen Guardia Civil unterstellt. Das Referendum ist nach der spanischen Verfassung nicht bindend. Und auch die EU-Kommission hatte zuletzt mehrfach betont, es handele sich um eine innenpolitische Angelegenheit Spaniens.

Die größte Tageszeitung Spaniens, El País, zitierte eine Umfrage, nach der die große Mehrheit der Katalanen (82 Prozent) ein legales Referendum befürwortet und eben keine verfassungswidrige Abspaltung. Auch La Vanguardia erinnerte: "Ein großer Teil der katalanischen Gesellschaft befindet sich zwischen den Extremen. Sie wünscht sich eine stärkere Position Kataloniens, hält es aber für einen schweren Fehler, wenn die separatistische Mehrheit im Regionalparlament das Gesetz bricht." Der Umfrage zufolge glauben zudem zwei Drittel der Katalanen, dass das Ergebnis nach dem Verbot des Referendums durch das Verfassungsgericht und der Beschlagnahmung der Wahlzettel international nicht gültig wäre.

Während die großen Medien in Spanien - in Madrid wie Barcelona - wochenlang fast unisono gegen das "illegale Referendum" wetterten, bewerteten Kommentatoren die restriktiven Maßnahmen der Zentralregierung unter dem konservativen Premier Mariano Rajoy sehr unterschiedlich.

Polizeieinsatz als Wendepunkt

Die zentralistische Tageszeitung ABC pflichtete Rajoy bei, die katalanische Regionalpolizei, Mossos d'Esquadra, der Kontrolle aus Madrid zu unterstellen. "Die politischen Entscheidungsträger haben sich so illoyal verhalten, dass die Übernahme der Befehlsgewalt notwendig wurde, um die Ordnung aufrecht zu erhalten." Das Blatt geht sogar noch einen Schritt weiter und forderte in einem weiteren Beitrag, dass der Region auch die Kontrolle über die Schulen entzogen werden sollte: "Die Erziehung sollte nicht in den Händen der Aufständischen liegen, die sie nur als Instrument der unmoralischen und lügnerischen Indoktrination der Kinder und Jugendlichen missbrauchen." Nur so sei Katalonien noch zu retten.

Auch die konservative Tageszeitung Externer Link: El Mundo hielt die Festnahmen wichtiger katalanischer Politiker für richtig: "Der Staat geht mit Härte, aber angemessen vor. Die Polizeioperation zur Aushebelung des illegalen Referendums stellt einen Wendepunkt dar, den jeder Demokrat mit Erleichterung betrachtet." Die spanische Verfassung sehe keine regionale Entscheidungsfreiheit vor, verteidigte auch die polnische Tageszeitung Externer Link: Gazeta Wyborcza das Vorgehen gegen das Referendum: "Um die Verfassung zu ändern, muss man sich an gemeinsam festgelegte Regeln halten. Sonderrechte für sich einzufordern, ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt, kommt einem Staatsstreich gleich."

Für die in Barcelona erscheinenden Traditionsblätter wurde durch die massive Polizeioperation allerdings eine rote Linie überschritten. Zwar distanziert man sich weiter von den Abspaltungsplänen der separatistischen Regierung, die bei ihren Entschlüssen von den Stimmen der extrem linken Partei CUP abhängig ist. Aber durch die massiven Eingriffe der spanischen Hauptstadt, sieht man die Autonomie der Region in Gefahr. Hatte die katalanische Zeitung El Periódico de Catalunya zuvor fast täglich vor der illegalen Volksbefragung gewarnt, richtete sich die Kritik von nun an vor allem gegen die aggressive Haltung aus Madrid. "Die spektakuläre Inszenierung der Polizeioperation stellt für viele Katalanen einen schweren Affront dar. Die gesellschaftliche Entrüstung geht dabei weit über die Anhänger einer Unabhängigkeit hinaus und hat Gewerkschaften, Rektoren, Studierende, Berufsverbände und beliebte Institutionen wie den FC Barcelona erreicht."

Selbst die eher konservative Tageszeitung La Vanguardia, die die Pläne der separatistischen Linksregierung in Barcelona stets kritisiert hatte, monierte nun vor allem das Vorgehen der Rajoy-Regierung in Madrid: "Die Belagerung katalanischer Institutionen und die Festnahme hoher Amtsträger, die man des Landesverrats beschuldigt, haben die Kluft vergrößert. Nicht nur zu den Separatisten sondern auch zu andern Teilen der katalanischen Gesellschaft."

Die Machtdemonstration des Zentrums führt am Ende zu einer Vereinigung der Separatisten in der Peripherie, prophezeiten indes kleinere katalanische Zeitungen, die auf die Abspaltung hoffen: "Die spanische Regierung macht klar, dass sie diese Partie 10 zu 0 gewinnen will. Der Zentralstaat hat die Stärke auf seiner Seite. Aber er sollte nicht vergessen, was für eine Kraft die Reaktion auf solch eine Demütigung entfalten kann", kommentierte das katalanische Blatt Externer Link: Ara.

Auch europäische Medien kritisierten die Härte der Zentralregierung: "Was da geschieht, hat nichts mit ... der proklamierten Verteidigung der Verfassung und ihren demokratischen Freiheiten zu tun. Die Politik Rajoys und seines konservativen Partido Popular ähnelt vielmehr einem Konzept von Spanien, wie es bereits die Diktatur unter General Franco hatte", kommentierte Externer Link: Der Standard aus Österreich. Externer Link: The Irish Examiner schrieb: "Dissens ist der Kern der Demokratie. Der unbeholfene Ansatz der spanischen Zentralregierung steht in krassem Gegensatz zur Abstimmung über die schottische Unabhängigkeit in Großbritannien im Jahr 2014."

Und auch Externer Link: Krónika, das Sprachrohr der ungarischen Minderheit in Rumänien prophezeite, dass die Regierung in Madrid mit ihrem Kollisionskurs das Gegenteil ihrer Bestrebungen erreichen werde: "Damit werden selbst bei jenen Katalanen Ressentiments geschürt, die ansonsten keine Anhänger der Unabhängigkeit sind. Zur Erinnerung: London legte den Schotten seinerzeit keine Hindernisse in den Weg, als diese in einem Referendum über die Unabhängigkeit abstimmten. Und Schottland honorierte die nüchterne Haltung."

Versöhnliche Töne wie die des Historikers José Álvarez Junco in El País finden immer weniger Gehör: "Am 2. Oktober sollten wir uns zusammensetzen und mit gegenseitigem Respekt versuchen, die Emotionen des jeweils anderen zu verstehen. Hoffen wir, dass wir bis dahin keine irreparablen Schäden zu beklagen haben."

Ein Europa der Regionen?

Viele Medien außerhalb Spaniens beschäftigen sich vor allem mit den Auswirken der Volksbefragung auf Europa: Wie Großbritannien solle Rajoy ein Referendum akzeptieren, riet der Externer Link: Tagesspiegel. "Tut er es nicht, veranstaltet der katalanische Ministerpräsident Puigdemont am 1. Oktober die illegale Abstimmung. Ein riskantes Abenteuer. Für Katalonien, für Spanien, für Europa." Reformen und Zugeständnisse könnten den Separatisten den Wind eher aus den Segeln nehmen, glaubt auch Externer Link: Le Soir aus Frankreich: "Damit wäre die radikale Position der Unabhängigkeits-Befürworter nicht länger haltbar und ein moderater Souveränismus könnte übernehmen."

Für die Externer Link: Wiener Zeitung könnten regionale Identitäten innerhalb einer immer stärker diskutierten Idee einer europäischen Staatsbürgerschaft solche Konflikte gar völlig unnötig machen: "Die Überwindung der Nationalstaaten, die meist viel jünger sind als die meisten Regionen, die nun nach Selbständigkeit schreien, würde Europa stärken, nach innen und nach außen."

Doch dass die Zeit für solche Entscheidungen schon reif ist, bezweifelte die lettische Tageszeitung Externer Link: Diena: "Die EU wie auch die Großmächte des vereinigten Europas kämpfen in diesem Augenblick um die Zentralisierung der Macht und die Einheit der ganzen EU. Deshalb werden die katalanischen Aktivitäten nur als unerwünschter Präzedenzfall wahrgenommen."

Und auch Externer Link: Le Figaro warnte in diesem Sinne vor einem Zerfall Europas: "Sicher, man versteht den Wunsch der Katalanen, ein 'Dänemark des Südens' sein zu wollen." Doch könnte das auf dem ganzen Kontinent zu Nachahmern führen: "Wie wäre es, wenn Europa nunmehr aus 40 oder 50 Dänemarks bestehen würde, wenn nach den Schotten und den Katalanen die Bewohner Tirols, die Wallonen, die Bayern, die Korsen, die Bretonen und eine Reihe zentraleuropäischer Minoritäten vom emanzipatorischen Fieber angesteckt würden?" Stattdessen müssten sich "unsere alten Länder neu erfinden, um ihren Völkern wieder zu gefallen", rät die französische Zeitung.

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