Ende 2016 waren insgesamt 65,5 Millionen Menschen weltweit von Vertreibung und Flucht betroffen. Das berichtet der neue Externer Link: Global Trends Report, den das Interner Link: Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, am 19. Juni 2017 veröffentlicht hat. Das ist die höchste Zahl an Flüchtlingen, die der UNHCR jemals registriert hat – umgerechnet bedeutet das, dass sich 2016 20 Menschen pro Minute auf die Flucht begeben haben. Bereits in den Vorjahren hatten die Flüchtlingszahlen einen Höchststand erreicht. Im Vergleich zum Report von 2016 stieg die Zahl um 300.000 Menschen an. Auch wenn das einen neuen Negativrekord darstellt, hat sich der Anstieg der Zahl verglichen mit den Vorjahren verlangsamt. Die meisten der Menschen auf der Flucht kommen weiterhin aus Interner Link: Syrien (5,5 Millionen), wo der Bürgerkrieg seit 2011 andauert. Mehr als 60 Prozent der Flüchtlinge weltweit sind Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons, IDP), also Vertriebene im eigenen Land.
Flucht, Vertreibung und Asyl
2001 hat die Generalversammlung der Interner Link: Vereinten Nationen den 20. Juni zum Weltflüchtlingstag erklärt. In jenem Jahr feierten der UNHCR und das "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" (Genfer Flüchtlingskonvention) ihren 50. Jahrestag. Letzteres definierte erstmals völkerrechtlich, wer als Flüchtling gilt und damit in den Unterzeichnerstaaten unter dem Schutz des Abkommens steht. Von den über 65 Millionen Menschen, die sich derzeit auf der Flucht befinden, gelten 22,5 Millionen als anerkannte "Flüchtlinge". Flüchtling ist laut der Genfer Flüchtlingskonvention eine Person, die "...aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Interner Link: Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will." (Art. 1A Abs. 2 der GFK von 1951) Wer seine Heimat aus anderen – zum Beispiel wirtschaftlichen – Gründen verlässt, wird im allgemeinen Sprachgebrauch hingegen als Migrant bezeichnet. Derzeit gibt es weltweit etwa 2,8 Millionen Asylsuchende. Hinzu kommen Binnenvertriebene; das sind Menschen, die zwar aus ähnlichen Gründen wie "Flüchtlinge" auf der Flucht sind, die aber ihr Heimatland nicht verlassen haben. Damit sind Binnenvertriebene besonders gefährdet, weil sie legal weiterhin offiziell unter dem Schutz ihrer eigenen Regierung stehen, auch wenn diese die Ursache für ihre Flucht ist. Gleichzeitig stellen sie die größte Gruppe von Menschen auf der Flucht dar: 40,3 Millionen. Die Länder mit den meisten Binnenvertriebenen sind Interner Link: Syrien, Interner Link: Irak und Interner Link: Kolumbien.
Viele Konflikte, kaum Lösungen
Seit 2012 sind die Flüchtlingszahlen stetig angestiegen. Auslöser für die verstärkte Flüchtlingswelle war der Interner Link: Syrienkonflikt im Jahr 2011 – auch weiterhin stammen die meisten Menschen auf der Flucht von dort (5,5 Millionen). Es folgt Interner Link: Afghanistan (2,5 Millionen Flüchtlinge) und Interner Link: Südsudan (1,4 Millionen Flüchtlinge). Dort kam es im Juli 2016 zu einer Massenflucht, als die Friedensbemühungen im seit 2013 andauernden Bürgerkrieg scheiterten. Die Flüchtlinge aus Südsudan stellen den größten neuen Faktor in den Flüchtlingszahlen 2016 dar. Der UNHCR stellt fest, das insbesondere die schwächsten von Flucht und Vertreibung betroffen sind: Mehr als die Hälfte aller Menschen auf der Flucht sind Kinder. 75.000 Asylanträge wurden 2016 von Kindern gestellt, die sich alleine auf die Flucht begaben oder von ihren Eltern getrennt wurden. Außerdem waren es insbesondere wirtschaftlich schwache Staaten wie Pakistan, Uganda oder Äthiopien, die Flüchtlinge im vergangenen Jahr aufgenommen haben. Mit 2,9 Millionen hat die Türkei wie auch in den Vorjahren in absoluten Zahlen mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufgenommen.
Genfer Flüchtlingskonvention und UNHCR
Die "Genfer Flüchtlingskonvention", genauer: das Interner Link: "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge", steht in der Tradition internationaler Menschenrechtsdokumente, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Schutz des Individuums zur universellen Aufgabe erklärten. Sie wurde am 28. Juli 1951 in Genf auf einer UN-Sonderkonferenz verabschiedet und beinhaltet neben der Definition des Flüchtlingsbegriffs weitere Prinzipien, wie das Verbot der Ausweisung und Zurückweisung. Dies bedeutet, dass kein Flüchtling in eine Region abgeschoben werden darf, in der sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind (Art. 33 Abs. 1). Gleichzeitig werden Rechte von Flüchtlingen definiert, wie die Religionsfreiheit und das Recht auf Arbeit, und bestimmte Personengruppen vom Flüchtlingsstatus ausgeschlossen – etwa Kriegsverbrecher. Da die Genfer Flüchtlingskonvention vor allem auf den Schutz europäischer Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg abzielte, wurde sie 1967 durch ein Protokoll erweitert, das Menschen weltweit Schutz und Unterstützung garantieren sollte. Die bis heute 147 Unterzeichnerstaaten von Konvention und/oder Protokoll sind unter anderem dazu verpflichtet, Flüchtlingen Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sozialleistungen zu gewähren. Die Beachtung der Konvention ist im "Vertrag von Lissabon" (Artikel 78 und Protokoll Nr. 24) und in der "EU-Grundrechtecharta" (Artikel 18) festgeschrieben.
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) ist sowohl ein persönliches Amt als auch eine Behörde der Vereinten Nationen. Das persönliche Amt wird seit 2016 von Filippo Grandi bekleidet. Für den UNHCR, gemeinhin auch als UN-Flüchtlingshilfswerk bezeichnet, arbeiten weltweit etwa 10900 Personen; es bietet Schutz und Hilfe für Flüchtlinge. Sein Budget beträgt im Jahr 2017 nach eigenen Angaben 7,7 Milliarden US-Dollar (ca. 6,8 Milliarden Euro).
Flüchtlinge in Europa
In den vergangenen Jahren kamen auch in Europa und der Interner Link: Europäischen Union mehr Flüchtlinge als zuvor an. Durch den enormen Anstieg der Zahl seit 2015 wird oft von der europäischen Flüchtlingskrise gesprochen. Die Situation hat sich im vergangenen Jahr vor allem durch die Schließung der sogenannten Westbalkanroute stark verändert. Über diesen Landweg versuchen Flüchtlinge, Interner Link: von den Grenzen Europas in den Westen zu gelangen. Im März 2016 beschlossen mehrere europäische Staaten auf Initiative von Österreich, erneut Grenzkontrollen einzufügen. Das Schengener Abkommen, welches das unkontrollierte Passieren von Europas Binnengrenzen ermöglicht hat, wurde somit zeitweise außer Kraft gesetzt. So entstanden chaotische Zustände an verschiedenen Grenzen im inneren der EU: Menschen saßen fest, oft ohne Unterkunft, Verpflegung und sanitäre Einrichtungen. Außerdem entstand ein Rückstau im Einreiseland Griechenland. Die Situation in den dortigen Flüchtlingslagern auf den Inseln und dem Festland verschlimmerte sich enorm. Die beabsichtigte Wirkung, dass vor allem in Österreich weniger Flüchtlinge einreisen, wurde erzielt. Die Schließung der Route bedeutet jedoch nicht, dass keine Flüchtlinge mehr ins Innere der EU gelangen. Stattdessen ist der Weg dorthin länger, teurer und auch gefährlicher geworden, da nun noch stärker auf Wege der illegalen Weiterreise zurückgegriffen wird.
Die Situation in Deutschland
Im Jahr 2016 wurden in Deutschland insgesamt 722.370 Erstanträge auf Asyl gestellt. Diese Zahl nahm in den vergangenen Monaten stark ab – bis Mai 2017 wurden 86.198 Erstanträge auf Asyl gestellt. Neben Menschen aus Syrien stellen vor allem Menschen aus Afghanistan Asylanträge in Deutschland. 2016 wurden 256.136 Asylanträge in Deutschland genehmigt und die Antragssteller offiziell als Flüchtlinge anerkannt. 2017 wurden bisher 78.028 Asylanträge genehmigt.
Im Rahmen der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen gab es in Deutschland in den vergangenen beiden Jahren verschiedene Änderungen des Asylrechts. Am 17. März 2016 ist das sogenannte Asylpaket II in Kraft getreten. Es ermöglicht unter anderem beschleunigte Asylverfahren, beispielsweise für Asylsuchende aus den als sicher geltenden Herkunftsstaaten und regelt die Möglichkeiten des Familiennachzugs neu. Zuletzt wurde im Mai 2017 beschlossen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auch Mobilgeräte wie Laptops und Handys auswerten darf, um die Identität von Antragsstellern ohne Papiere leichter zu machen. Diese Möglichkeit war bisher den Ausländerbehörden vorbehalten. Außerdem gab es Verschärfungen in Bezug auf sogenannte Gefährder, also Menschen von denen angenommen wird, dass sie eine erhebliche Straftat begehen könnten. Insbesondere die Kategorisierung, welche Länder als sichere Herkunftsstaaten gelten – und wer somit in Deutschland in der Regel kein Asyl erhält – wird viel diskutiert. So gilt Afghanistan als sicher – eine Einschätzung, die vor allem Menschenrechtsorganisationen nicht teilen. Nachdem sich die Sicherheitslage dort im Frühjahr 2017 erheblich verschlechterte, hat die Bundesregierung Abschiebungen in das Land vorerst vorübergehend ausgesetzt.
* Der Bericht Global Trends 2016 des UNHCR ist Externer Link: hier vollständig abrufbar.