Vorgeschichte
Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet des heutigen Tunesiens zu einer Provinz des Osmanischen Reichs und erreichte im Lauf der folgenden drei Jahrhunderte einen hohen Grad an Selbstständigkeit. Zuständig für Verwaltung und Steuereintreibung war ab 1613 mit Sitz in Tunis ein monarchisch herrschender "Bey". Diese Statthalter von Tunis errangen im Lauf der Zeit ein hohes Maß an politischer Autonomie. Ihre Politik führte zu vielen inneren Reformen, aber aufgrund ihrer ausufernden Ausgaben- und Steuerpolitik auch zu wirtschaftlichem Ruin. 1869 musste Tunesien unter Muhammad III. al-Husain (Sadok Bey) den Staatsbankrott erklären. Eine internationale Finanzkommission unter Beteiligung von Frankreich, England und Italien übernahm die Kontrolle der Wirtschaftspolitik. Die europäischen Mächte hofften durch ihre eingesetzten Konsuln Einfluss in der nordafrikanischen Region ausbauen zu können.
Französisches Protektorat
Als im Frühjahr 1881 Mitglieder des Volkes der Khrumir aus dem Norden Tunesiens in das bereits von Frankreich kolonisierte Algerien vordrangen, nutze der damalige französische Premierminister Jules Ferry dies als Vorwand, in Tunesien einzumarschieren. Innerhalb von 3 Wochen eroberten die französischen Truppen Tunis. Sie zwangen den tunesischen Machthaber Sadok Bey, am 12. Mai 1881 den Vertrag von Bardo zu unterzeichnen. Dieser machte Tunesien zum französischen Protektorat.
Anders als bei einer Kolonie ist ein Staat unter Protektoratsverwaltung noch teilweise souverän. In der Regel werden nur die Außenvertretung und der Verteidigungssektor dem Protektor übertragen. Zwei Jahre später schloss allerdings Ali Bey, der Nachfolger Sadok Beys, mit Frankreich eine weiterführende Vereinbarung. Im Vertrag von La Marsa wurden der französischen Seite auch umfassende innenpolitische Befugnisse in Tunesien zugestanden. Im Gegenzug tilgte Frankreich Tunesiens Schulden.
Nationalismus und Gegner des Protektorats
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs der Widerstand gegen die Macht der von Frankreich eingesetzten Generalresidenten und es entstanden erste nationalistische Bewegungen, unter anderem 1907 die reformistische Intellektuellenbewegung "Jeunes Tunisiens", die auch durch Boykottaktionen auf sich aufmerksam machte. 1920 gründeten Nationalisten die Destour-Partei (Destour = tunesisch für Verfassung), die sich für die Unabhängigkeit von Frankreich einsetzte.
1934 spaltete sich unter Führung des jungen Anwalts und späteren Staatsgründers Habib Bourguiba ein modernistischer Flügel als Néo-Destour-Partei ab. Sie war laizistisch geprägt, der konservative islamistische Flügel behielt dagegen den Namen Destour bei. Die von Bourguiba gegründete radikale Néo-Destour prägte das neue Gesicht des tunesischen Nationalismus und rekrutierte Zehntausende Mitglieder und etablierte Niederlassungen im ganzen Land Hoffnungen der Partei auf französische Zugeständnisse unter Ministerpräsident Leon Blum zerschlugen sich 1937. Als es 1938 zu Unruhen kam, verboten die französischen Machthaber die Partei und verhafteten Bourguiba. Doch die Néo-Destour setzte ihre Arbeit im Untergrund fort.
Zweiter Weltkrieg
Während des zweiten Weltkriegs unterstützten die französischen Machthaber in Tunesien zunächst das Vichy-Regime. Bourghiba wurde auf Verlangen Mussolinis an Italien ausgeliefert, der sich vergeblich erhoffte, damit die Résistance in Nordafrika zu schwächen. Als Tunesien selbst Schauplatz von Kämpfen zwischen deutschen und alliierten Truppen wurde, versuchte der Bey von Tunis, Muhammad al-Munsif Bey (Moncef Bey), sich neutral zu verhalten um die Bevölkerung zu schützen und warb für eine Unabhängigkeit Tunesiens. Unter dem Vorwurf, Sympathisant des Vichy-Regimes zu sein, setzten ihn die freien Franzosen General de Gaulles im Mai 1943 ab.
Der Weg zur Unabhängigkeit
Nach dem Krieg kam es vermehrt zu Unruhen in Tunesien, die nationalistischen Gruppierungen gewannen immer mehr Zulauf. Habib Bourguiba, der 1943 wieder nach Tunesien zurückkehren durfte, entfloh den Unruhen 1947 ins Exil nach Ägypten. 1949 erhielt er die Erlaubnis, in seine Heimat zurückzukommen. Dort widmete er sich wieder der Néo-Destour und dem Kampf für die tunesische Unabhängigkeit.
Als erste Verhandlungen mit der französischen Regierung über eine Autonomie Tunesiens scheiterten, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit mehreren Todesopfern.
Im Januar 1952 kam Bourguiba erneut mit weiteren Anführern der Néo-Destour-Partei in Haft. Im Februar 1952 entsendete Frankreich 28 000 Soldaten nach Tunesien und versuchte mit militärischer Härte die Situation unter Kontrolle zu bringen. Dennoch gelang es nicht, die tunesischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterdrücken. Die Situation eskalierte weiter, als im Dezember 1952 der tunesische Gewerkschaftsführer Farhat Hashshad ermordet wurde. Das folgende Jahr war geprägt vom Terror sowohl nationalistischer als auch pro-französischer Guerillagruppen.
Im Juli 1954 versprach Frankreichs Premierminister Pierre Mendès-France Tunesien Verhandlungen über eine vollständige Unabhängigkeit. Verhandlungspartner im Hintergrund war dabei auch der inhaftierte Habib Bourghiba. der 1955 nach Tunis zurückkehren durfte.
Im Juni 1955 unterzeichnete Frankreich eine Konvention über die innere Autonomie Tunesiens. Am 20. März 1956 entließ es Tunesien offiziell in die Unabhängigkeit, nur eine französische Militärbasis in Bizerta bestand noch bis 1963 weiter.
Erster Regierungschef des Landes Habib Bourguiba
Im Juli 1957 wurde durch eine Abstimmung der verfassungsgebenden Versammlung die Monarchie in Tunesien abgeschafft und der letzte Bey, Sidi Lamine, dankte ab. Tunesien nannte sich fortan "Tunesische Republik" und installierte ein parlamentarisches Zweikammersystem. Bei den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung des Landes gewann die Neo-Destour alle Sitze. Erster gewählter Präsident wurde 1959 Habib Bourguiba, 1975 wurde er zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt, allerdings zwölf Jahre später aus Altersgründen abberufen.
Die frühen Jahre von Bourguibas Amtszeit waren geprägt von gesellschaftlicher Modernisierung, vor allem die Rechte der Frauen wurden gestärkt. Tunesien war eines der ersten arabischen Länder, das per Gesetz die Polygamie abschaffte und die Vertretung von Frauen durch einen männlichen Vormund verbot.
Trotz demokratischem Anspruch entwickelte sich das Land unter Bourguiba und seinem 1989 gewählten Nachfolger Zine el-Abidine Ben Ali zu einem zunehmend autokratisch geführten Einparteienstaat. Nach drastischen Einschränkungen der Grundrechte 2009 kam es Ende 2010 zu Ben Alis Sturz, der im Januar 2011 das Land fluchtartig verließ.
Der "Arabische Frühling" begann.