Die Irisch-Republikanische Armee (IRA, Irish Republican Army), eine paramilitärische Organisation, entstand 1919. Sie trat für eine Wiedervereinigung Irlands sowie die Unabhängigkeit von Großbritannien ein und setzte auf den Einsatz von Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Im Dezember 1969 spaltete sich die IRA in die "Officials" (OIRA) und die "Provisionals" (PIRA). Beide verfolgten das Ziel einer vereinten sozialistischen Irischen Republik. Doch während die OIRA parlamentarische Taktiken bevorzugte und nach 1972 Gewalt mied, war die PIRA wie schon ihre Vorgängerorganisation überzeugt, dass Gewalt – insbesondere Terrorismus – ein notwendiges Mittel im Kampf gegen die Briten sei. Sie war einer der Hauptakteure im Nordirlandkonflikt. Im Rahmen ihrer Kampagne "Long War" verübte sie ab 1970 zahlreiche Bombenanschläge, Attentate und Überfälle. Zwischen 1969 und 1994 tötete die PIRA Externer Link: rund 1.800 Menschen, darunter ungefähr 600 Zivilisten.
Nordirlandkonflikt
Im Nordirlandkonflikt stehen sich zwei Bevölkerungsgruppen gegenüber, die sich nicht nur in ihrer Herkunft und ihrem religiösen Bekenntnis unterscheiden, sondern auch entgegengesetzte politische Ambitionen aufweisen. Auf der einen Seite steht das protestantische Lager, das auf seine englischen und schottischen Vorfahren verweist und einen Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich will. Seine Anhänger werden auch Unionisten oder Loyalisten genannt. Auf der anderen Seite steht das katholische Lager, dessen Vertreter in der Tradition der ursprünglichen Einwohner für die Einheit der irischen Insel und einen irischen Nationalismus eintreten. Sie werden Nationalisten oder Republikaner genannt.
Verantwortlich für den Konflikt in Nordirland war neben der nationalen bzw. territorialen Frage die Diskriminierung der katholischen Minderheit durch die protestantische Mehrheit. Bis in die 1970er Jahre hinein wurde die katholische Bevölkerung von der protestantischen Einparteienregierung unterdrückt, Partizipation und Respekt wurden ihr verweigert. Die täglichen Diskriminierungen und Repressionen führten dazu, dass sich auf der katholischen Seite eine Bürgerbewegung bildete. Nachdem diese unterdrückt wurde, eskalierten die Proteste gegen den Staat und seine Sicherheitsorgane in einem Bürgerkrieg. Der bewaffnete Konflikt kostete in der Zeit zwischen 1969 (
Das Karfreitagsabkommen
Am 10. April 1998 unterzeichneten die Konfliktparteien das Externer Link: Karfreitagsabkommen, mit dem der Friedensprozess auf den Weg gebracht wurde. Es war unter Federführung der britischen und der irischen Regierungen ausgehandelt worden. Im Abkommen vereinbarten beide Seiten, dass die nordirische Regierung ihre Macht zum Vorteil aller ausüben und sich dabei auf Prinzipien wie die Gleichstellung aller Bürger stützen sollte. Beide Konfliktparteien sollten sich zudem künftig an der Regierung beteiligen und gesellschaftliche sowie politische Konflikte durch Verhandlungen, Kompromisse und eine möglichst breite Übereinstimmung lösen (
Sieben Jahre später, am 28. Juli 2005, erklärte die IRA ihren bewaffneten Kampf für beendet. Anfang 2007 folgte ihre Entwaffnung. Wenige Monate später bildeten die Democratic Unionist Party (DUP) und die Sinn Féin, der politische Arm der PIRA, erstmals eine gemeinsame Regionalregierung, in der beide einen Premierminister (Erster Premierminister und Stellvertreter) stellten. Mit Ian Paisley und Martin McGuinness regierten von nun an die Gegner von einst zusammen. Im selben Jahr erklärte auch der paramilitärische Verband der Unionisten, die Ulster Volunteer Force (UVF), seinerseits die Beendigung des bewaffneten Kampfes.
Aufarbeitung des Konfliktes
Die Auswirkungen des Konfliktes spalten die nordirische Gesellschaft bis heute. Vor allem der Umgang mit nicht aufgeklärten Verbrechen der Vergangenheit und die Frage der Entschädigung der Opfer und ihrer Angehörigen sind weitgehend ungelöst. Weder das protestantische noch das katholische Lager zeige großes Interesse, die Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen aufzuklären, schreibt Bernhard Moltmann, Gastforscher der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, in seiner
Im Februar 2014 wurde außerdem bekannt, dass die britische Regierung der republikanischen Seite als Ausgleich für deren Zustimmung zur Entwaffnung der IRA versichert hatte, dass IRA-Angehörige, denen Straftaten zur Last gelegt werden, juristisch nicht verfolgt würden. Diese zugesicherte Straffreiheit führte auf unionistischer Seite zu Entrüstung.
Im Jahr 2010 entschuldigte sich der britische Premier David Cameron für den "Bloody Sunday". An jenem Sonntag des 30. Januar 1972 hatten britische Truppen im nordirischen Londonderry bei einer Demonstration von katholischen Bürgerrechtlern 14 unbewaffnete Protestierende erschossen, 13 weitere wurden verletzt. Dieses Ereignis und seine fehlende Aufarbeitung hatten der PIRA damals einen starken Zulauf verschafft und zu einem massiven Anstieg der Gewalt geführt. Eine Verurteilung der beteiligten Soldaten steht nach wie vor aus.
Splittergruppen kämpfen weiter
Mit dem Gewaltverzicht der PIRA im Jahr 2005 sowie der paramilitärischen Organisation der Protestanten zwei Jahre später nahm die Gewalt massiv ab. Der bewaffnete Konflikt war aber nicht endgültig beigelegt. Kleinere paramilitärische Splittergruppen wie die Real IRA und die Continuity IRA schrieben sich den bewaffneten Kampf auf ihre Fahnen. Die Real IRA (RIRA) war bereits im August 1998 für einen der blutigsten Anschläge des Konflikts verantwortlich gewesen, bei dem im nordirischen Omagh 29 Menschen starben. Im März 2009 erschoss die RIRA zwei britische Soldaten im nordirischen Antrim. Seit 2012 haben sich mehrere Splittergruppen in einer "New IRA" zusammengeschlossen, die jedoch keinen großen Rückhalt in der Bevölkerung haben.
Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen indes weiterhin die Traditionsmärsche der protestantischen Unionisten. Auch in diesem Jahr marschierte der protestantische Oranier-Orden am 13. Juli in Belfast, um an die Schlacht am Boyne aus dem Jahr 1690 zu erinnern, die den Protestanten die Macht in der Region gesichert hatte. Während des Marsches kam es zu Gewaltausbrüchen. Zuvor hatte die Polizei den Marschierenden gemäß einer Anordnung aus dem Jahr 2013 den Zutritt in ein überwiegend von Katholiken bewohntes Viertel verweigert. 2013 war es an gleicher Stelle zu einer dreitägigen Straßenschlacht gekommen. Insgesamt finden in Nordirland jedes Jahr mehr als 2.000 Oranier-Paraden statt, die von der pro-irischen Bevölkerung häufig als Provokation aufgefasst werden. Auch der Union Jack, die Flagge des Vereinigten Königreichs, steht immer wieder im Zentrum von Kontroversen. Der Stadtrat von Belfast hatte 2012 beschlossen, die Flagge nicht mehr jeden Tag zu hissen, sondern nur an den Tagen, an denen sie auch auf dem Gebäude des nordirischen Parlaments weht. Pro-britische Gruppen protestierten monatelang gewaltsam gegen diesen Beschluss.
Die Zukunft des Friedensprozesses
Die Beziehungen zwischen Großbritannien und Irland normalisieren sich und haben einen positiven Einfluss auf den Friedensprozess in Nordirland. Mit Michael D. Higgins wurde im April 2014 das erste Mal ein irischer Präsident mit allen Würden in London empfangen. Bereits 2012 kam es in Belfast zu einem historisch eingestuften Handschlag zwischen der britischen Königin Elisabeth II. und dem stellvertretenden Ersten Minister von Nordirland und ehemaligen Kommandanten der PIRA, Martin McGuinness. Langfristig dürfte die Nachhaltigkeit des Friedensprozesses vor allem davon abhängen, ob sich das auf Proporz ausgelegte Regierungsmodell, das die Herausbildung einer nennenswerten Oppositionskraft behindert, dauerhaft bewähren wird. Immer wieder führen Streitfragen der beiden Lager zu ernsthaften Krisen. Die demografische Entwicklung, die sich allmählich zugunsten der katholischen Nordiren zu verändern scheint, könnte den Konflikt auf politischer Ebene beeinflussen: Das Karfreitagsabkommen sieht ausdrücklich vor, dass eine Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland möglich ist, sollte sich die nordirische Bevölkerung mehrheitlich dafür aussprechen. Bislang reden führende Politiker der Sinn Féin von einer Wiedervereinigung Irlands als Fernziel, das sie jedoch nur mit politischen Mitteln erreichen wollen.
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