"Aller Anfang ist schwer." Zu Beginn der ersten Aktuellen Stunde am 10. Februar 1965 zeigte sich Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid (SPD) noch verhalten gegenüber dem "neuen Instrument parlamentarischer Demokratie". Nach der - weniger als einer Stunde dauernden - Aussprache zur "jüngsten Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten zur Deutschlandpolitik seines Landes" resümierte er aber: "Ich glaube, das Haus hat die Bewährungsprobe dieser ersten Stunde bestanden."
Aktuelle Ereignisse im Fokus
Die Initiative zur Einführung einer Aktuellen Stunde war ein Jahr zuvor von Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier (CDU) ausgegangen. Ziel war es, dem Bundestag mehr Möglichkeiten zu verschaffen, um aktuelle politische Ereignisse pointiert zu diskutieren und Debatten lebendiger zu gestalten.
Im Januar 1965 stellten die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP den Antrag, die Geschäftsordnung des Bundestags entsprechend zu ergänzen. Die Eckpunkte lauteten:
Die Mitglieder des Bundestags in Fraktionsstärke können eine Ad-hoc-Aussprache beim Präsidenten beantragen. Außerdem kann es zu einer Ad-hoc-Aussprache kommen, wenn mindestens 30 anwesende Abgeordnete diese nach der Antwort der Bundesregierung auf eine mündliche Anfrage verlangen.
Die Dauer der Debatte ist auf eine Stunde beschränkt.
Jeder Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen.
Das Verlesen von Erklärungen oder Reden ist unzulässig.
Externer Link: Im Kern gelten diese Regelungen noch heute, allerdings wird die von Mitgliedern der Bundesregierung in Anspruch genommene Redezeit nicht berücksichtigt, so dass Aktuelle Stunden tatsächlich meist länger als eine Stunde dauern.
Vor allem die Opposition nutzt das Instrument
In den ersten zwanzig Jahren nach ihrer Einführung wurde die Aktuelle Stunde eher verhalten genutzt. Bis 1983 gab es in keiner Legislaturperiode mehr als 20 dieser kurzen Debatten. Danach stieg ihre Zahl deutlich an, und in nahezu allen Legislaturperioden fanden mehr als 100 Aktuelle Stunden statt. In der Legislaturperiode 2009 bis 2013 diskutierten die Abgeordneten in insgesamt 131 Aktuellen Stunden.
Das Themenspektrum ist sehr groß: Zum Beispiel gab es Aktuelle Stunden zum fünften Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl und der Haltung der Bundesregierung zum Bau von Kernkraftwerken in den neuen Bundesländern (1991), zum Umgang mit dem Treibhauseffekt (1993), zur Einführung des Euro (1997), zur Irakpolitik (2003) oder zur Haltung der Bundesregierung zu Plänen des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zur Einführung einer PKW-Maut für Ausländer (2013). Viele Anträge kommen aus den Reihen der Opposition, weshalb häufig die Position der Bundesregierung zu einzelnen Sachfragen im Fokus der Diskussion steht.
Weitere Kontrollmöglichkeiten im Parlament
Neben der Aktuellen Stunde verfügt das Parlament über eine Reihe weiterer Instrumente, um Auskunft über die Regierungsarbeit zu erhalten, sie zu kontrollieren und Einfluss auf die politische Agenda zu nehmen. Dazu gehören unter anderem die Kleine Anfrage und die Große Anfrage. Sie können von einer Fraktion oder mindestens fünf Prozent aller Abgeordneten gestellt werden, um von der Bundesregierung Auskunft über politische Fragen zu erhalten. Eine Kleine Anfrage wird nur schriftlich beantwortet, bei einer Großen Anfrage schließt sich eine Parlamentsdebatte an, wenn dies eine Fraktion oder mindestens fünf Prozent der Abgeordneten wünschen.
An kein Mindestquorum ist die Externer Link: Fragestunde gebunden. Jeder Bundestagsabgeordnete hat das Recht, pro Sitzungswoche des Bundestages zwei Fragen an die Bundesregierung zu richten, die diese mündlich beantworten muss. Außerdem darf jeder Bundestagsabgeordnete pro Monat vier Schriftliche Fragen stellen, die die Bundesregierung schriftlich beantworten muss. Diese Schriftlichen Fragen werden besonders häufig genutzt und beziehen sich oft auf den Wahlkreis des anfragenden Parlamentariers.
Darüber hinaus gibt es nach Kabinettssitzungen regelmäßig die Möglichkeit für eine 30-minütige Externer Link: Regierungsbefragung, in der sich ein Mitglied der Bundesregierung dem Parlament stellt. Die Minister sind verpflichtet, Auskunft über aktuelle Vorhaben der Bundesregierung zu geben.
Einflussnahme in Ausschüssen
Durch Anfragen, Aktuelle Stunden und Befragungen können die Abgeordneten des Bundestags die Regierung kontrollieren, indem sie Öffentlichkeit schaffen und Positionen sichtbar machen.
Parlamentarische Kontrolltätigkeit in den letzten Legislaturperioden
Wahlperiode | 2002 - 2005 | 2005 - 2009 | 2009 - 2013 |
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Aktuelle Stunden | 71 | 113 | 131 |
Große Anfragen | 65 | 63 | 54 |
Kleine Anfragen | 797 | 3299 | 3629 |
Mündliche Fragen (Fragestunde) | 2550 | 2703 | 6057 |
Schriftliche Fragen | 11073 | 12705 | 20141 |
Befragungen der Bundesregierung | 42 | 59 | 69 |
Lorenz, Astrid: Die Kontrollrechte der Opposition
Interner Link: Ismayr, Wolfgang: Der Deutsche Bundestag seit 1990