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"Die Lage der Menschenrechte ist unterschiedlich"

Michael Krennerich

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In einigen Ländern gab es Fortschritte, in anderen Rückschritte: Die Umsetzung der Menschenrechte entwickelt sich weltweit nicht linear, sagt der Politikwissenschaftler Michael Krennerich im Interview zum Tag der Menschenrechte. Auch in Europa und Nordamerika gebe es Probleme.

Die Menschenrechte gelten für alle Menschen. (© picture-alliance, blickwinkel/Samot)

Vor 66 Jahren haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Interner Link: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Wie hat sich die Situation der Menschenrechte seitdem verändert?

Die Entwicklung der Menschenrechte verläuft nicht geradlinig und ist nicht vor Rückschlägen gefeit. Vor dem Hintergrund anhaltenden, wiederkehrenden und neuen Unrechts müssen die Menschenrechte ständig aufs Neue verteidigt, eingefordert und erstritten werden. Dementsprechend stellt sich die Lage der Menschenrechte im Länder- und Zeitvergleich sehr unterschiedlich dar. Positiv zu vermerken ist, dass sich, ausgehend von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der internationale Menschenrechtsschutz erheblich ausdifferenzierte. Er brachte eine Reihe wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen hervor. Dadurch wurden besonders "verletzliche" Gruppen wie Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderung oder Arbeitsmigranten geschützt. Zugleich erstarkten und vernetzten sich weltweit nicht-staatliche Organisationen, um Verfolgung, Unterdrückung, Diskriminierung, Ausbeutung und Not anzuprangern und sich für die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte einzusetzen.

Freedom House klassifiziert die Staaten der Welt in freie, unfreie und teilweise freie Länder. Welche Trends werden hier sichtbar?

Der Freedom House-Index misst vor allem die Interner Link: bürgerlichen und politischen Rechte und ist damit ein – wenn auch grober – Indikator für die Entwicklung einer liberalen Demokratie. Demgemäß bilden die Daten insbesondere die Fort- und Rückschritte der Demokratisierungsprozesse in den verschiedenen Weltregionen ab. Dabei zeigt sich, dass gerade in vielen Staaten Afrikas, des Nahen Ostens und Zentral- und Südostasiens die Demokratie nicht Einzug gehalten hat. Auch der "Arabische Frühling" mündete – trotz der Fortschritte in Tunesien – bislang nicht flächendeckend in die Etablierung von Demokratien und die uneingeschränkte Achtung von Menschenrechten.

Klicken Sie auf das Bild, um die interaktive Karte zu öffnen. (© bpb)

In welchen Ländern hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verschlechtert?

Russland ist hervorzuheben, das sich unter Wladimir Putin zu einem autoritären Regime zurückentwickelt hat. Dort hat sich der öffentliche Raum für Regimekritik verengt, Menschenrechtsorganisationen werden schikaniert und verfolgt. In Lateinamerika hat sich beispielsweise die Menschenrechtslage in Mexiko aufgrund der ausgeuferten Gewalt erheblich verschlechtert: Die organisierte Kriminalität, lokale Banden und Sicherheitskräfte haben Zivilisten misshandelt, gefoltert oder ermordet. In Mexiko ist darüber hinaus auch die Lage der vielen lateinamerikanischen Migrantinnen und Migranten auf ihrem Weg in die USA besonders dramatisch. Ihnen gegenüber kommt es zu schwersten Menschenrechtsverbrechen, ohne dass der Staat Maßnahmen ergreift, um die Betroffenen zu schützen oder die Straftaten zu ahnden. In Afrika ist Mali eines von vielen Beispielen: Interner Link: Dort erlitt die – jahrelang als vorbildlich geltende – Demokratisierung durch den Konflikt im Norden des Landes und einen Militärputsch im Jahre 2012 einen empfindlichen Rückschlag. Akteure aller Konfliktparteien begingen schwere Menschenrechtsverbrechen.

Einige Staaten weisen ein chronisch schlechtes Menschenrechtsprofil auf.

Dazu gehören viele unfreie Staaten, unter anderem die meisten Staaten des Nahen Ostens, allen voran Saudi-Arabien und die Bürgerkriegsländer Syrien und Irak. Außerdem sind etliche zentral- und ostafrikanische Staaten zu nennen. In Zentralasien ist die Menschenrechtslage in Usbekistan und Turkmenistan besonders schlimm. Weiter östlich verletzen beispielsweise China, Vietnam und schon gar Nordkorea systematisch die Menschenrechte. Doch wir müssen gar nicht so weit schauen: In Belarus und in Aserbaidschan, das immerhin Mitglied des Europarates ist, herrschen Diktatoren, die gerade bürgerliche und politische Menschenrechte missachten. Letztlich verletzen viele Regierungen weltweit mit dem vorgeschobenen Verweis auf die Staatsräson oder die öffentliche Ordnung unverblümt die Menschenrechte. Sie diskreditieren, kriminalisieren und verfolgen Personen, die sich für die Menschenrechte einsetzen.

Gibt es auch positive Entwicklungen?

Durchaus! In Lateinamerika, wo in den 1970er Jahren vielerorts repressive Militärregime herrschten, werden die meisten Staaten seit den 1980er oder 1990er Jahren demokratisch regiert. Allerdings gibt es selbst dort schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, die nicht geahndet werden. In vielen mittel- und osteuropäischen Staaten hat sich die Menschenrechtslage seit den 1990er Jahren beachtlich verbessert, wobei allerdings die Diskriminierung von Roma in einigen Ländern noch ein großes Problem darstellt. In Afrika stellt – bei aller Kritik im Detail – Ghana ein positives Beispiel dar. Geradezu vorbildlich ist die Verfassung der Republik Südafrika, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Grundrechte enthält. In Zentralasien sticht die Mongolei positiv hervor.

Wenn man auf Nordamerika sowie West- und Mitteleuropa blickt, sieht man, dass alle Staaten als frei eingeordnet werden. Gibt es dort keine Probleme in der Umsetzung der Menschenrechte?

Nein, es gibt sehr wohl Probleme. So haben beispielsweise die USA im Rahmen der Terrorismusbekämpfung international anerkannte Menschenrechte verletzt – etwa durch Folter und Misshandlungen, Verschleppungsflüge, unrechtmäßige Inhaftierungen sowie durch die weltweite Überwachung der Kommunikation. In Europa steht das Sterben von Flüchtlingen an den Seegrenzen der EU und der teils menschenunwürdige Umgang mit Flüchtlingen innerhalb einzelner EU-Staaten im Fokus. Auf menschenrechtliche Kritik stoßen darüber hinaus auch der Rassismus in Teilen der Gesellschaften oder – Stichwort NSA-Skandal – Eingriffe in die informelle Selbstbestimmung. Umso wichtiger ist es, dass die Demokratien gewissenhaft die Menschenrechte achten und schützen. Eine wache Zivilgesellschaft ist dabei der Schlüssel für den Menschenrechtsschutz auch in Demokratien.

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Dr. habil Michael Krennerich ist Privatdozent am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist zugleich Vorsitzender des "Nürnberger Menschenrechtszentrum" (NMRZ) und Mit-Herausgeber der "Zeitschrift für Menschenrechte" (zfmr).