Als am 6. Juni 1989 Bundesumweltminister Klaus Töpfer und der französische Industrieminister Roger Fauroux in Bonn eine Vereinbarung unterzeichnen, in der die Entsorgung abgebrannter Nuklearbrennelemente aus westdeutschen Atomkraftwerken in der französischen Anlage von La Hague beschlossen wird, liegen einige aufreibende Monate und Jahre hinter der Gemeinde Wackersdorf in der Oberpfalz. Dort hatte der Energiekonzern VEBA (heute E.ON) mit Unterstützung der bayerischen Landesregierung den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage geplant. Politiker und Anwohner sowie Atomkraftgegner aus der ganzen Republik hatten sich bereits seit Bekanntwerden der Pläne Anfang der 1980er-Jahre gegen die Wiederaufbereitungsanlage gestellt.
Strauß will die Anlage in Bayern
Die Entscheidung, dass eine Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf gebaut werden sollte, traf im Februar 1985 die DWK, die Deutsche Gesellschaft für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen, ein Zusammenschluss der zwölf größten Energieversorger der Bundesrepublik. Dem Beschluss ging die Suche nach geeigneten Standorten in Deutschland voraus. Wackersdorf war einer von mehreren Kandidaten – darunter das nur 26 Kilometer von Gorleben entfernte Dragehn, das aber als politisch nicht durchsetzbar galt.
Ein großer Befürworter der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf war der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Er wollte unbedingt einen Standort in Bayern durchsetzen und versprach der Bevölkerung, die Anlage sei nicht gefährlicher als eine Fahrradspeichenfabrik. Die Region um Wackersdorf war durch Braunkohleförderung reich geworden, doch 1982 waren die Gesamtkohlevorräte erschöpft. Nach der Schließung der Braunkohleindustrie stieg die Arbeitslosigkeit in Wackersdorf auf mehr als 20 Prozent. Befürworter wie Strauß versprachen sich von der Wiederaufbereitungsanlage einen großen Schub für die Wirtschaft in der Region.
Wie funktioniert Wiederaufbereitung?
Wiederaufbereitung am Beispiel der Anlage in La Hague
Die Prozesse laufen wegen der Strahlenbelastung teilweise vollautomatisch hinter meterdicken Betonwänden ab. Die Brennstäbe werden nach ihrer Ankunft erst einmal abgekühlt – in La Hague im Schnitt für fünf Jahre – und anschließend zerschnitten und in Salpetersäure aufgelöst. Übrig bleiben 95 Prozent Uran, vier Prozent Endmüll und ein Prozent waffenfähiges Plutonium. Der Endmüll ist hochradioaktiv, nicht weiter verwendbar und wird in flüssigem Glas eingeschmolzen. Diese Behälter werden zwischengelagert, in La Hague geschieht dies in belüfteten Schächten, bis geeignete Endlager gefunden werden. Auch das Uran wird zunächst zwischengelagert. Anschließend wird es im Fall von La Hague nach Tomsk in Russland geschickt, wo es einen weiteren Anreicherungsprozess durchlaufen soll. Das Plutonium kann mit Uran zu einem neuen Brennstoff gemischt werden: MOX. Dieser speist zum Beispiel Atomkraftwerke. Häufig wird das Plutonium jedoch eingelagert, da es schwierig zu entsorgen ist und gleichzeitig ein großes Gefahrenpotential besitzt.
Widerstand regt sich
Doch als die Entscheidung für Wackersdorf fiel, machte im Landkreis Schwandorf bereits eine erste Bürgerinitiative seit mehr als drei Jahren gegen die Wiederaufbereitungsanlage mobil. Der Widerstand in der Bevölkerung manifestierte sich damit bereits vor Baubeginn. Der zuständige Landrat Hans Schuierer weigerte sich, die Pläne für die Anlage zu unterschreiben. Der bayerische Landtag verabschiedete daraufhin ein Gesetz, das die Rechte der Landräte beschnitt. Am 11. Dezember 1985 begannen die Bauarbeiten für die Anlage, in der nach Fertigstellung 500 Tonnen Atommüll pro Jahr bearbeitet werden sollten.
Die Schwandorfer reagierten auf die Rodung der ersten Waldstücke mit der Errichtung von Hüttendörfern, die von der Polizei umgehend geräumt wurden. Die Proteste allerdings gingen weiter und erreichten Pfingsten 1986 ihren Höhepunkt. Mit der Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 hatte die Anti-Atomkraft-Bewegung schlagartig neuen Zulauf erhalten. Schon zu Ostern zogen 100.000 zumeist friedliche Demonstranten zur Baustelle, die von 5.000 Polizisten gesichert wurde. Pfingsten aber eskaliert die Gewalt. Als Autonome Steine und Molotow-Cocktails auf die Polizisten werfen, setzen diese Reizgas gegen die Demonstranten ein. Zwei Demonstranten und ein Polizist kommen bei den Protesten ums Leben. Zwar ebben die Proteste schließlich ab, doch viele Demonstranten blieben auch in den kommenden Jahren vor Ort.
Die Politik folgt der Wirtschaft
Am 31. Mai 1989 verkündete die DKW den Baustopp für die Anlage. Vorausgegangen waren Verhandlungen und der geheime Abschluss von Verträgen zwischen der VEBA und dem französischen Atomkonzern Cogema (heute: Areva), die bereits Anfang April 1989 unterzeichnet wurden. Die VEBA ließ später verlauten, dass sich die Investition in eine neue Anlage zur Wiederaufbereitung nicht lohnen würde, da in Europa kaum noch neue Atomkraftwerke gebaut würden. Die beiden vorhandenen Anlagen in Frankreich und in Großbritannien seien ausreichend. Der VEBA-Vorstandvorsitzende Rudolf von Bennigsen-Foerder kanzelte das Projekt hingegen als "zu langwierig, zu teuer" ab. Die Umweltminister Töpfer und Fauroux machten am 6. Juni den politischen Weg für die Aufbereitung in La Hague frei und besiegelten so das Ende aller Wiederaufbereitungspläne in Wackersdorf.
Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf
Keine Wiederaufbereitung in Wackersdorf
Die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf scheiterte in mehreren Schritten. Neben den massiven Protesten der Bevölkerung, die hohe Kosten für Polizeieinsätze verursachten und die Bauarbeiten über Jahre verzögerten, waren auch die wirtschaftlichen Bedenken der Betreiber ausschlaggebend für den Baustopp. Für die Anti-Atomkraft-Bewegung war das Aus für Wackersdorf der bis dahin wichtigste Erfolg ihrer Geschichte.
Wo findet Wiederaufbereitung statt?
Die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe aus deutschen Kernreaktoren findet bis heute in den beiden europäischen Wiederaufbereitungsanlagen La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) statt. Rund 80 Prozent der weltweiten zur Wiederaufbereitung vorgesehenen Brennelemente werden hier wiederaufbereitet. Beide Anlagen leiten radioaktive Stoffe in Gewässer und Luft und werden dafür von Umweltschutzverbänden und -organisationen kritisiert.