Volkswirtschaftliche Gewinne vs. soziale Kosten
Noch ist beispielsweise das Desinfizieren von Schlachthühnern in Chlorbädern in der EU untersagt. Fällt dieses Verbot durch TTIP, können die Fleischproduzenten aus den USA ihre Hühner auch in Europa feilbieten – und, so die Hoffnung, ihre Umsätze steigern. Mehr Umsatz gleich mehr Gewinn gleich mehr Investitionen gleich mehr Arbeitsplätze, rechnen die Freihandelsbefürworter vor. Um das zu untermauern, wurden mehrere Studien in Auftrag gegeben (siehe Infobox). Die Europäische Kommission, die die Verhandlungen mit der US-Regierung über die Ausgestaltung des Abkommens führt, prognostiziert, dass ein durchschnittlicher europäischer Haushalt durch TTIP langfristig 545 Euro pro Jahr mehr zur Verfügung hätte. Die Gegner des Freihandelsabkommens hingegen halten solche Vorhersagen für schöngerechnet. Sie führen ins Feld, dass den angeblichen volkswirtschaftlichen Gewinnen immense soziale und ökologische Kosten des Freihandels gegenüberstehen werden.
Die sozialen Kosten entstünden vor allem durch den Abbau sogenannter nichttarifärer Handelsbarrieren (NTB). Anders als bei der bloßen Abschaffung oder Senkung von Zöllen auf Handelswaren, geht es bei den NTB um die Angleichung von Regelungen und Gesetzen beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, beim Verbraucher- und beim Umweltschutz zwischen den USA und der EU. Während Gegner hier zu viel Liberalisierung und die Senkung von sozialen Standards befürchten, rechnen Befürworter gerade durch den Abbau solcher Barrieren mit positiven volkswirtschaftlichen Effekten.
Auch die Nicht-Öffentlichkeit der TTIP-Verhandlungen und die unklare Beteiligung der nationalen Parlamente ist Gegenstand der Kritik. Im Februar setzte die Europäische Kommission die Verhandlungen für drei Monate aus, nachdem sich hunderttausende Unterzeichner einer Online-Petition gegen das Freihandelsabkommen ausgesprochen hatten, bis heute ist ihre Zahl auf mehr als 400.000 gestiegen.
Volkswirtschaftliche Effekte des FreihandelsabkommensAusgewählte Studien zu TTIP
Befürworter und Gegner des Freihandelsabkommen führen mehrere Studien ins Feld, die sich mit den erwarteten Vor- und Nachteilen des TTIP auseinandersetzen.
Im März 2013 veröffentlichte das Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London Externer Link: eine Untersuchung im Auftrag der Europäischen Kommission. Das CEPR prognostiziert einen Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes der EU zwischen jährlich rund 68 bis 119 Milliarden Euro, das der USA würde zwischen 49 und 95 Milliarden Euro steigen, sollte das Freihandelsabkommen vollumfänglich umgesetzt werden. Vollumfänglich bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem den Abbau von nicht-tariflichen Handelsbeschränkungen; eine bloße Absenkung der Zölle hätte den Autoren zufolge weitaus geringere Effekte.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen zwei Studien des deutschen ifo-Instituts im Auftrag des Externer Link: Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und der Externer Link: Bertelsmann-Stiftung, die ebenfalls 2013 veröffentlicht wurden. Laut ifo-Institut würde beispielsweise das reale Pro-Kopfeinkommen in Deutschland durch TTIP langfristig um bis zu 4,7 Prozent steigen (EU-Durchschnitt: 5 Prozent, USA: mehr als 13 Prozent). Die Autoren rechnen zudem mit weniger Arbeitslosigkeit und steigenden Löhnen sowohl in den USA als auch in der EU.
Eine von der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken (GUE/NGL) im Europäischen Parlament Externer Link: in Auftrag gegebenen Untersuchung kritisiert die Ergebnisse der Studien. Die beauftragte Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) schätzt die volkswirtschaftlichen Effekte im Zeitverlauf als relativ gering ein. Sowohl das CEPR als auch das ifo-Institut gehen von einer Übergangsphase zwischen 10 und 20 Jahren aus, bis TTIP vollumfänglich umgesetzt sein wird. Die ÖFSE wirft den anderen Studien vor, kurz- und mittelfristige soziale Kosten wie Arbeitslosigkeit und Steuerverluste während dieser Übergangsphase zu vernachlässigen. Langfristige soziale Kosten seien vor allem bei der Senkung von Verbraucherschutz- und Umweltstandards, also beim Abbau von nichttarifären Handelsbeschränkungen zu erwarten.
Aushebelung staatlicher Rechtsprechung
Es ist aber vor allem das sogenannte Investitionsschutzrecht, das die Kritiker der TTIP-Verhandlungen mobilisiert. Das Investitionsschutzrecht berechtigt ein Unternehmen, das im Ausland investiert, vor internationalen außerstaatlichen Schiedsgerichten gegen die ausländische Regierung zu klagen, wenn es seine Investitionen zum Beispiel durch Änderungen von Gesetzen oder Vorschriften gefährdet sieht. Schon heute existieren alleine in Deutschland weit mehr als 100 solcher Abkommen auf bilateraler und multilateraler Ebene. Diese Abkommen sollten einst die Investitionen (deutscher) Unternehmen in Staaten mit unsicheren Rechtssystemen schützen.
Mit TTIP, so die Kritiker, würde diese außerstaatliche Gerichtsbarkeit in großem Rahmen etabliert. Ein Beispiel für solche Verfahren ist die Klage, die der Energiekonzern Vattenfall beim International Centre for Settlement and Investment Disputes (ICSID) in Washington D.C. gegen Deutschland einreichte, nachdem die Bundesregierung 2011 den deutschen Atomausstieg beschlossen hatte. Das ist kein Einzelfall. Der US-Tabakkonzern Philip Morris klagt beispielsweise gegen Uruguay und Australien vor internationalen Schiedsgerichten, weil sich die strikten Nichtrauchergesetze und Werbeverbote der Länder negativ auf die Umsätze des Tabakkonzerns ausgewirkt hätten.
TTIP und die deutsche Politik
Die im Bundestag vertretenen Parteien sind in Bezug auf TTIP geteilter Meinung. Im Externer Link: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist als Ziel der "Erfolg der Verhandlungen" zwischen EU und USA festgeschrieben. Die Unionsparteien zeigen sich grundsätzlich von den Vorteilen des Abkommens überzeugt, wollen Vorbehalte der Bevölkerung ausräumen und sich für ein transatlantisches Datenschutzabkommen einsetzen. Auch bei der SPD gilt TTIP als Chance für Wachstum, Beschäftigung und sozialen Ausgleich, auch wenn führende Vertreter wie Parteichef Sigmar Gabriel auf mehr Transparenz bei den Verhandlungen drängen. Die Abgeordneten der Grünen und der Linken äußern sich dagegen vorwiegend TTIP-kritisch, beide Fraktionen forderten zuletzt den Abbruch der Verhandlungen. Hauptkritikpunkt der Linken ist das Investitionsschutzrecht und die dadurch eingeräumten Rechte für Unternehmen, während bei der Kritik der Grünen die Beschneidung der europäischen Umwelt- und Verbraucherrechte eine zentrale Rolle spielt.
Freihandel und Protektionismus im Wechsel
Seit weltweiter Handel im großen Stile betrieben werden kann,
Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten es viele Staaten für erstrebenswert, den Freihandel als friedenserhaltende Maßnahme auf der ganzen Welt voranzubringen. Ausdruck dieser Überzeugung war das 1947 geschlossene
Freihandel
Bedeutung: Freihandel meint den schrankenlosen Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Akteuren wie Staaten oder Staatenbündnissen.
Zweck: Freihandel soll wirtschaftliches Wachstum steigern sowie Arbeitsplätze, Innovationen und Wohlstand befördern.
Ausgestaltung: Akteure können multilaterale Freihandelsabkommen schließen, dem möglichst viele Staaten auf der ganzen Welt angehören (WTO). Plurinationale Abkommen beziehen Mitglieder einer auf bestimmte Weise umrissenen Region ein, bei TTIP etwa die USA und Europa als transatlantische Koalition (weitere Beispiele: TTP, CETA). Bilateral sind Freihandelsabkommen dann, wenn sie zwischen zwei Akteuren, wie zum Beispiel der EU und Indien, gelten.
Kritik: Zivilgesellschaftliche Kritiker halten die Berechnung der Vorteile von Freihandelsabkommen und -zonen für überzogen bis falsch. Vielmehr opfere der Freihandel im Zeichen wirtschaftlichen Wachstums Regularien zu Sicherheit und Unversehrtheit von Verbrauchern, Arbeitnehmern und Umwelt.
Hintergrund aktuell (10.07.2013):
Interner Link: EU und USA verhandeln über Freihandelsabkommen Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 1–3/2014): Interner Link: Welthandel
Informationen zur politischen Bildung (Heft 299): Interner Link: Internationale Wirtschaftsbeziehungen