Zwölf Millionen von insgesamt etwa 30 Millionen Afghanen können am kommenden Samstag (5. April) den Präsidenten und die Mitglieder der Provinzräte Afghanistans neu wählen.
Seit dem Sturz der Taliban vor mittlerweile 13 Jahren (2001) ist Hamid Karsai Präsident Afghanistans. Nach dem Fall der radikal-islamistischen Taliban war er von den USA als Interimspräsident eingesetzt worden. 2004 und 2009 war er aus stark umstrittenen Präsidentschaftswahlen als Sieger hervorgegangen. Eine weitere Amtsperiode verbietet ihm die Verfassung.
Wie wird gewählt?
Afghanistans Verfassung sieht einen direkt vom Volk gewählten Präsidenten vor. Er ist Staatsoberhaupt und Regierungschef sowie oberster Befehlshaber der Armee. Eine Amtsperiode dauert fünf Jahre. Der Präsident hat die Macht, neben dem Kabinett auch den Generalstaatsanwalt, den Chef der Zentralbank, die Mitglieder des Obersten Gerichts und die Vorsitzenden der Wahlkommissionen zu ernennen.
Im Juli 2013 unterzeichnete Präsident Karsai zwei neue Wahlgesetze, die den Ablauf der Wahl und die Verantwortung für ihre Durchführung neu regeln. Zusätzlich wurde eine unabhängige Wahlkommission eingesetzt. Nicht nur das afghanische Nicht-Regierungslager, auch die internationalen Geber Afghanistans hatten nach den letzten, von Manipulationsvorwürfen begleiteten Wahlen, Reformen mit Nachdruck eingefordert.
Trotz der Maßnahmen zur Sicherung einer rechtmäßigen Durchführung der Wahl wird geschätzt, dass sich für die rund 12 Millionen afghanischen Wahlberechtigten etwa 20 Millionen Wahlkarten im Umlauf befinden. Auch ist nicht klar, wie viele Wahllokale am Wahltag aus Sicherheitsgründen kurzfristig nicht öffnen werden. Schätzungen gehen von 5 bis 10 Prozent aus.
Die Veröffentlichung des vorläufigen Ergebnisses ist für den 24. April vorgesehen. Wenn im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, wird am 28. Mai eine Stichwahl durchgeführt.
Kandidaten und Parteien
Elf Kandidaten hat die Wahlkommission im November offiziell zur Wahl zugelassen, acht sind derzeit noch im Rennen. Drei von ihnen haben laut Prognosen eine Chance auf das höchste Amt Afghanistans. Einer von ihnen ist Salmai Rassul, früherer Außenminister und enger Vertrauter Karsais. Hamid Karsais Bruder, Kajum Karsai, der ebenfalls für die Präsidentschaft kandidiert hatte, gab seine Bewerbung im März 2014 zugunsten Rassuls auf. Von Rassul erwarten Beobachter eine Fortführung der umstrittenen Politik Karsais.
Ein weiterer Kandidat mit Aussichten auf die Präsidentschaft ist der Oppositionsführer Abdullah Abdullah, ebenfalls ein früherer Außenminister des Landes. Bereits 2009 war Abdullah gegen Amtsinhaber Karsai angetreten, unterlag ihm jedoch. Abdullah und internationale Beobachter warfen Karsai damals massive Manipulation der Wahl vor.
Der Wirtschaftsexperte und frühere Finanzminister Ashraf Ghani Ahmadzai hat nach Prognosen ebenfalls Chance. Umstritten an seiner Kandidatur ist vor allem sein potentieller Vizepräsident: Abdul Raschid Dostum ist ein Warlord aus dem Norden des Landes.
Daneben kandidieren auch der wahhabitische ehemalige Mudschahedin-Führer Abdur Rab Rassul Sayyaf, Ex-Verteidigungsminister Rahim Wardak und der ehemalige Gouverneur von Kandahar und Nangarhar, Gul Agha Sherzai.
Parteien spielten im afghanischen Wahlkampf kaum eine Rolle. Abdullah Abdullah ist als einziger Kandidat Repräsentant einer spezifischen Partei (Jamiat-e Islami-ye Afghanistan – Islamische Gemeinschaft Afghanistans). Alle anderen Bewerber sind als unabhängige Kandidaten registriert, - viele sind gar Bündnisse mit politischen Gegnern eingegangen, um möglichst breite Wählerschichten anzusprechen. Auch im Parlament üben die Parteien keinen starken Einfluss aus. Klare und dauerhafte Mehrheiten gibt es derzeit noch nicht.
Themen im Wahlkampf
Im Wahlkampf thematisiert wurde von vielen Kandidaten die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Notwendigkeit einer Bekämpfung der Korruption und die Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens mit den USA.
Die Bevölkerung bringt der diesjährigen Wahl mehr Interesse entgegen als vorhergehenden: Zehntausende Afghanen strömten zu Wahlkampfveranstaltungen. Auch Rededuelle und politische Talkshows gehören inzwischen in Afghanistan zum Wahlkampf. Anders als die Partizipation an demokratischen Prozessen, hier bestehen nach wie vor extreme Unterschiede zwischen Stadt und Land.
Innenpolitische Situation
Afghanistan befindet sich in einer Übergangsphase. Zum Ende des Jahres 2014 sollen die Nato-Truppen planmäßig abgezogen und die Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden. Die Unterzeichnung des Bilateral Security Agreement (BSA) mit den USA will Hamid Karsai seinem Nachfolger überlassen. Der Abschluss des Abkommens würde den Weg frei machen für den Verbleib der Nato-Truppen in Afghanistan nach 2014 und die Fortsetzung der westlichen Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Prinzipiell ist die internationale Gemeinschaft bereit, das Land bis zum Jahr 2017 finanziell zu unterstützen. Ohne die Unterzeichnung des BSA ist jedoch auch der Verbleib der US-Armee in Afghanistan fraglich.
Aktuelle Sicherheitslage
In Afghanistan sind im Rahmen der internationalen Schutztruppe ISAF ("International Security Assistance Force") noch etwa 51.000 ausländische Soldaten aus 48 Ländern im Einsatz. Den größten Anteil daran stellen die Vereinigten Staaten mit 33.500 Soldaten. Deutschland beteiligt sich seit Dezember 2001 an dem Einsatz und hat zurzeit noch etwa 2.700 Bundeswehrsoldaten im Land stationiert.
Die Taliban haben die Bevölkerung aufgefordert, nicht an der Wahl teilzunehmen. Die Wahl sei vom Westen manipuliert. In den letzten Wochen häuften sich zudem Angriffe der Taliban: ein Provinzbüro der unabhängigen Wahlkommission sowie ein Hotel und Gästehaus einer amerikanischen Hilfsorganisation wurden zum Ziel der Islamisten. Etwa ein Dutzend Menschen starben dabei. Infolge der Gewalt wurden bereits mehrere internationale Wahlbeobachter aus Kabul abgezogen.