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"Journalisten in Syrien leben am gefährlichsten" | Hintergrund aktuell | bpb.de

"Journalisten in Syrien leben am gefährlichsten"

Christian Mihr Thomas Fettien

/ 6 Minuten zu lesen

Wie frei ist die Presse weltweit? Dazu veröffentlicht Reporter ohne Grenzen jährlich eine Rangliste. Doch wie entsteht diese eigentlich, und vor welchen Problemem stehen Journalisten in Europa und Deutschland? Christian Mihr, Journalist und Geschäftsführer der Organisation, im Gespräch.

Reporter ohne Grenzen hat am 12. Februar 2014 seine jährliche Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht. (© Reporter ohne Grenzen)

bpb.de: Herr Mihr, wann ist die Presse eigentlich frei?

Christian Mihr: Unserem Verständnis von Pressefreiheit liegt zunächst Interner Link: Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zugrunde. Im Detail heißt das: Die Presse ist frei, wenn es in der Medienlandschaft einen hohen Grad an Pluralismus gibt. Damit ist zum einen eine hohe Vielfalt an unterschiedlichen Medien, zum anderen eine hohe Unabhängigkeit dieser Medien von politischen und wirtschaftlichen Interessen gemeint. Einflüsse auf die Presse wird es immer geben und deshalb ist die Vielfalt entscheidend. Wichtig ist dabei auch, wie sehr diese Interessen den Grad an Selbstzensur bei diesen Medien beeinflussen. Weitere Indikatoren sind die Ausprägung des rechtsstaatlichen Umfelds und die institutionelle Transparenz - also wer steht eigentlich hinter den Interessen? Nicht zuletzt geht es auch um die technischen Voraussetzungen für Journalismus, sowohl die wirklichen Produktionsbedingungen, als auch den Vertrieb.

Wie versuchen Sie diese Indikatoren zu messen und in ihr Ranking einfließen zu lassen?

Die Externer Link: jährliche Rangliste schätzt die weltweite Lage der Presse- und Medienfreiheit in 180 Ländern ein. Einerseits versuchen wir damit den Grad der Freiheit wiederzugeben, die Journalisten, Blogger und auch Medien in diesen Ländern genießen. Andererseits fließen in das Ranking auch die die Bemühungen von Staaten ein, wie sie z.B. eine unabhängige Berichterstattung respektieren und die freie Arbeit von Journalisten sicherstellen. Was wichtig ist an der Stelle: Für uns ist die Liste keine Indikator für die Qualität der Berichterstattung in den jeweiligen Ländern.

Zeitlich wird in der Rangliste für 2014 die Situation vom 1. Dezember 2012 bis 15. Oktober 2013 berücksichtigt. Das heißt beispielsweise, die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine sind nicht mit eingeflossen. Das hat auch mit der relativ komplexen Auswertung zu tun.

Die Grundlage für die Rangliste ist ein sehr umfangreicher Fragebogen, den wir Externer Link: auf unserer Website offenlegen. Der wird an unsere Partnerorganisation auf allen Kontinenten, unser eigenes Netzwerk von 150 Korrespondenten sowie an Journalisten, Wissenschaftler, Juristen und Menschenrechtsaktivisten verschickt. Den Fragebogen kann man nicht in zwanzig Minuten ausfüllen, da muss man sich schon zwei, drei Stunden Zeit nehmen. Die Antworten werden von uns dann qualitativ und quantitativ ausgewertet. Es handelt sich dabei nicht um eine repräsentative Umfrage, die wäre nur schwer zu realisieren.

Der Fragebogen berücksichtigt seit 2013 stärker als zuvor Faktoren wie Medienvielfalt, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder auch Zugangsmöglichkeiten zum Beruf des Journalisten. Hinzu kommen Faktoren wie medienrechtliche Strafen, Staatsmonopole, die Existenz von Regulierungseinrichtungen, Selbstzensur und der finanzielle Druck. Die Zahlen zu Morden an Journalisten und Entführungen werden zudem seit letztem Jahr zentral von unserem Büro erhoben.

Rangliste der Pressefreiheit 2014 - Reporter ohne Grenzen

Finnland, die Niederlande und Norwegen führen die Rangliste 2014 an (Plätze 1 bis 3). In Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan steht die Presse nach Einschätzung von Reporter ohne Grenzen (RoG) dagegen vollständig unter der Kontrolle der diktatorischen Regime (180 bis 178). Zu den Aufsteigern zählen weltweit Panama und Ecuador sowie Belize (87, 95 und 29). In der Zentralafrikanischen Republik (109) hat sich in der Folge des Interner Link: eskalierenden Konfliktes in dem Land die Lage für Journalisten dramatisch verschlechtert. Auch die Pressefreiheit in den USA (46) schätzt RoG im Zuge des NSA-Skandals als unfreier ein als noch in den vergangenen Jahren. In Europa hat sich die Lage vor allem in Ungarn, Griechenland und Bulgarien verschlechtert (64, 99 und 105). Deutschland liegt 2014 auf dem 14. Platz (2013: 17) und damit unter den europäischen Staaten im oberen Mittelfeld.

Die komplette Rangliste, mehr Informationen zur Methodik sowie den umfangreichen Fragebogen finden Sie auf Externer Link: www.reporter-ohne-grenzen.de.

Reporter ohne Grenzen ist nicht die einzige Nichtregierungsorganisation, die die Pressefreiheit weltweit untersucht. Ähnliche Berichte zur weltweiten Freiheit der Presse werden jährlich auch von anderen Menschenrechtsorganisationen wie Externer Link: Freedom House und Externer Link: Human Rights Watch veröffentlicht.

Wie erlangen Sie die Informationen über getötete Journalisten oder über entführte Journalisten, bei denen es im letzten Jahr einen deutlichen Anstieg gab? In Krisengebieten wie in Syrien ist es sicher schwierig an gesicherte Informationen zu kommen.

In der Tat. Mit solchen Zahlen muss man vorsichtig sein. Und deswegen sind wir im Zweifelsfall eher zurückhaltend. Es geht ja hier um Menschenleben und uns darum, wirklich die Journalisten abzubilden, die wegen ihrer journalistischen Arbeit ums Leben gekommen sind. Wenn eine Zahl nicht geprüft ist, wenn sie nicht gegenrecherchiert ist, dann fließt sie nicht in die Statistik ein. Wir vertrauen hier auf die richtige Einschätzung unserer Korrespondenten vor Ort und den Partnerorganisationen, mit denen wir über viele Jahre Netzwerke aufgebaut haben.

Welche Bedeutung haben dabei offizielle Quellen für das Monitoring in den Ländern?

Das ist je nach Land unterschiedlich. In manchen Ländern gibt es funktionierende und auch glaubwürdige Statistiken, in manchen Ländern haben aber auch Regime und Diktaturen ein Interesse daran, Statistiken zu manipulieren. In wieder anderen Ländern gibt es gar keine Statistiken zum Journalismus.

Kommen wir zu den aktuellen Zahlen: Wo leben und arbeiten Journalisten derzeit am gefährlichsten?

Am gefährlichsten leben Journalisten in Syrien. Dort ist die Zahl der getöteten Journalisten dramatisch hoch. Das Fatale hier ist, dass Interner Link: die Gewalt mittlerweile von allen Konfliktparteien ausgeht, sowohl von Sicherheitskräften des Assad-Regimes, als auch von djihadistischen Gruppen. Von Journalisten und auch von Onlineaktivisten wird jeweils eine Parteinahme erwartet. Wenn man dagegen den Anspruch hat, unabhängig zu berichten, gerät man sehr schnell zwischen die Fronten. Das hat dazu geführt, dass in Syrien mittlerweile so viele Journalisten ums Leben gekommen sind - 2013 allein zehn professionelle Berichterstatter und 35 sogenannte Bürgerjournalisten.

In der Konsequenz gibt es in Syrien fast gar keine professionellen, unabhängigen Journalisten mehr und auch keine ausländischen Berichterstatter, weil große Redaktionen und Verlage nicht mehr das Risiko eingehen, Korrespondenten nach Syrien zu schicken. Und in diese Lücke springen viele Bürgerjournalisten und Onlineaktivisten, die Videos auf YouTube hochladen, die Nachrichten über Twitter und Facebook verbreiten. Die fallen durchaus unter unser Mandat, weil sie eine journalistische Informationsleistung erbringen. Nur durch solche Twitter- und Facebook-Aktivisten erfahren wir mittlerweile noch wesentliche Informationen darüber, was in diesem Land geschieht. Ein Großteil unserer Nothilfe - RoG hilft auch ganz konkret Journalisten, zahlt Anwalts- und Arztkosten und hilft Journalisten beim Gang ins Exil - betrifft mittlerweile genau solche Onlineaktivisten.

Sie haben die Bedeutung von Bürgerjournalisten und Bloggern angesprochen: Welche Rolle spielen sie für die freie Presse hier in Deutschland und in Europa?

Sie spielen eine wichtige Rolle, erhöhen den Pluralismus an Meinungen und füllen thematische Lücken, die von klassischem Journalismus beispielsweise in Printmedien nicht gefüllt werden wie zum Beispiel im Themenfeld Netzpolitik.

Gibt es ein Pluralismus-Problem in Deutschland und Europa? Oder wo liegen hierzulande die Einschränkungen für eine freie Presse?

In Deutschland fällt vor allem auf, dass die Zahl der Zeitungen mit eigener Vollredaktion im vergangenen Jahr weiter abgenommen hat. Auch 2013 wurden einige Redaktionen geschlossen und von Konkurrenten übernommen oder zusammengelegt. Zudem wurde im vergangenen Jahr deutlich, dass auch deutsche Journalisten im Visier ausländischer, aber auch inländischer Geheimdienste und Sicherheitsbehörden stehen. So hat der US-amerikanische Geheimdienst CIA versucht, beim deutschen Verfassungsschutz Informationen über den Reporter Steffen Buchen zu bekommen. Daneben hat der niedersächsische Verfassungsschutz eingeräumt, jahrelang Journalisten überwacht zu haben, die in extremistischen Milieus recherchiert haben. Nicht zuletzt ist die flächendeckende Internetüberwachung durch den US-Geheimdienst NSA und den britischen Geheimdienst GCHQ auch ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit hierzulande.

Das freie Internet spielt also auch für Ihre Definition von Pressefreiheit eine große Rolle?

In erster Linie ist das Internet ein Verbreitungskanal und seine Bedeutung für die Pressefreiheit sehr unterschiedlich. In einem Land mit einer hohen Internetverbreitung wie Deutschland ist sie größer, weil das Netz die Möglichkeiten für freie Meinungsäußerung erweitert. In einem Land wie Russland ist das auch wichtig, weil das Internet einer der letzten Freiräume für unbeschränkte Kommunikation darstellt, allerdings ist die Internetverbreitung dort deutlich geringer als beispielsweise die des Fernsehens. Der Grad der Bedeutung für die Pressefreiheit ist also stark abhängig von der Verbreitung: eine hohe Verbreitung erhöht den Grad des Pluralismus. Wichtig ist außerdem die Unmittelbarkeit, mit der Blogger und Bürgerjournalisten gerade in Staaten mit ausgeprägter Zensur Informationen über das Internet verbreiten können. Deshalb überwachen so unterschiedliche Staaten wie Iran, Bahrain und Indien das Internet so intensiv - und nutzen da bei Überwachungstechnik, die auch aus Deutschland kommt.

Welche Tendenzen lassen sich weltweit für die Pressefreiheit erkennen? Wohin geht die Entwicklung?

Weltweit bereitet uns eigentlich die größte Sorge, dass die Dominanz von Sicherheitsbehörden die Arbeit von Journalisten in vielen Ländern erschwert. Eine Entwicklung die mittlerweile auch traditionelle Demokratien erfasst hat. Staaten wie die USA und Großbritannien rücken investigative Journalisten und ihre Hinweisgeber, Whistleblower und Quellen mittlerweile sehr oft in den Bereich des Terrorismus. Das erschwert kritischen Journalismus in diesen Ländern, es macht aber auch zunehmend kritischen Journalisten in autoritären Staaten unmöglich, sich für Freiheit einzusetzen. Regime und Diktaturen sehen natürlich keine Notwendigkeit für Pressefreiheit, wenn diese auch in demokratischen Staaten so stark von Sicherheitsbehörden eingeschränkt wird. Wir reden hier natürlich von vollkommen unterschiedlichen Ausprägungen, aber das beeinflusst schon erheblich die Diskurse und auch die journalistische Praxis.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Christian Mihr ist Journalist und seit 2012 Geschäftsführer bei Externer Link: Reporter ohne Grenzen Deutschland. Er beschäftigt sich vor allem mit Fragen der Internetsicherheit und mit Informationsfreiheitsrechten.

Vor Reporter ohne Grenzen war Mihr mehrere Jahre bei dem Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost tätig, unter anderem als Redaktionsleiter der europäischen Presseschau Externer Link: euro|topics. Mihr ist als Dozent in der journalistischen Aus- und Weiterbildung aktiv.

Thomas Fettien arbeitet seit 2013 für die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn. Zunächst als Volontär in der Online-Redaktion, seit 2015 als wissenschaftlicher Referent und Online-Redakteur. Er hat Kommunikations- und Medienwissenschaft und Politikwissenschaft in Leipzig studiert.