Seit den 1990er Jahren wird immer wieder über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) diskutiert. Nun wird es konkret: Am Montag (8. Juli) haben Vertreter der USA und der EU Verhandlungen aufgenommen. Sollte es zu einer Einigung kommen, würden sich mit der "Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft" (Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP) die beiden größten Volkswirtschaften der Welt zusammenschließen. Ein Wirtschaftsraum mit mehr als 800 Millionen Einwohnern würde entstehen. Gemeinsam erbringen USA und EU rund die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung.
Bereits heute pflegen die USA und die EU enge Handelsbeziehungen. Tag für Tag tauschen sie etwa zwei Milliarden Euro in Gütern und Dienstleistungen aus. Allerdings setzen Asien und Russland beide Akteure zunehmend unter Druck. Ein gemeinsames Handelsabkommen soll die Wettbewerbsfähigkeit beider Partner gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern erhöhen.
Ein Vorteil: einheitliche Industriestandards
Mit dem Abkommen würde der Abbau von Handelshemmnissen einhergehen, die den Austausch von Gütern und Dienstleistungen bislang noch einschränken. Das sind zum einen Zölle (tarifäre Handelshemmnisse), die auf den Import von Produkten aus dem Ausland erhoben werden. Insbesondere der Wegfall von Spitzenzöllen im Agrarhandel, im Bereich der Textilindustrie und beim Handel mit Chemikalien würde sich auf beiden Seiten des Atlantiks bemerkbar machen.
Eine große Rolle spielen auch die verschiedenen Standards auf dem europäischen und amerikanischen Markt (die nichttarifären Handelshemmnisse). Dazu zählen Zulassungsverfahren, technische Standards, Sicherheits- und Gesundheitsstandards. Bislang müssen Unternehmen ihre Produkte aufgrund der unterschiedlichen Standards in verschiedenen Varianten für den europäischen und den US-Markt herstellen. Für die Unternehmen bedeutet das Kosten, die bei einer Harmonisierung wegfallen würden. Davon könnten insbesondere die Automobil- und die Chemiebranche profitieren. Amerikaner und Europäer erhoffen sich dadurch mehr Investitionen, mehr Jobs, mehr Wirtschaftswachstum.
Experten warnen vor übereilten Erwartungen
Die Folgen der Freihandelszone sind allerdings umstritten. Die EU-Kommission rechnet mit bis zu 400.000 neuen Jobs. Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass ein Abkommen das Wirtschaftswachstum ankurbeln würde. Gerade Staaten, die traditionell viel im- und exportieren, könnten profitieren. Manche Experten warnen allerdings vor großen Erwartungen und voreiligen Schätzungen. Prognosen gelten als schwierig, weil noch unklar ist, was sich am Ende tatsächlich ändern soll.
InfoboxWeitere Freihandelsabkommen der EU mit Drittstaaten
Nach der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes setzt die Europäische Union verstärkt auf Freihandelsabkommen, um ihre Position auf dem Weltmarkt gegenüber der Konkurrenz aus den Schwellenländern zu stärken. Mit Südkorea und Singapur wurden bereits Abkommen geschlossen. Neben den Verhandlungen mit den USA laufen derzeit noch Gespräche mit Kanada, ein Abschluss wird in diesem Jahr angestrebt. Auch mit Japan, Vietnam und Thailand steht die EU in Verhandlungen. Mit Indien laufen seit 2007 Gespräche. In Mittelamerika wurden Partnerschaften mit Peru und Kolumbien geschlossen. Abkommen mit Zentralamerika (Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama) und mit den MERCOSUR-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Venezuela) sollen noch 2013 in Kraft treten.
Stormy-Annika Mildner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) warnt vor möglichen "handelsumlenkenden Effekten" eines transatlantischen Abkommens: Während die USA und die EU von einem gemeinsamen Abkommen profitieren könnten, würden anderen Handelspartnern der EU und der USA Wohlfahrtsverluste drohen. Mildner plädiert deshalb dafür, dass sich USA und EU parallel zu den TTIP-Verhandlungen weiter für einen Abschluss der Doha-Runde einsetzen: Die 2001 begonnenen Verhandlungen der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) haben zum Ziel, die Märkte im Sinne einer globalen Liberalisierung weiter zu öffnen und die Entwicklungsländer besser in das System des Welthandels einzubinden. Bislang haben die Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis geführt.
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) befürchten zudem, dass ein transatlantisches Abkommen zu einer Aufweichung europäischer Standards führen könnte. Als Reaktion auf die Verhandlungen hat sich unter anderem ein Bündnis aus 22 NGOs formiert. Das Bündnis will verhindern, dass die EU ihre teils höheren Verbraucherschutz-, Umwelt- und Sozialstandards auf US-Niveau senkt.
Streitpunkte: Gentechnik und Datenschutz
Vor dem Abschluss eines transatlantischen Handelsabkommens müssen einige Barrieren aus dem Weg geräumt werden. Ein Streitpunkt ist zum Beispiel genmanipuliertes Futtermittel: Gentechnisch veränderte Futtermittel in der Tierzucht und der Verkauf genmanipulierter Lebensmittel sind in den USA ohne Kennzeichnungspflicht erlaubt. Die EU will die Einfuhr genmanipulierter Lebensmittel aus den USA verhindern, ebenso von hormonbehandeltem Fleisch.
In der Kultur- und Medienpolitik gibt es ebenfalls Konflikte: Mit Blick auf die US-Unterhaltungsindustrie hatte sich insbesondere Frankreich dafür eingesetzt, seine staatliche Förderung der Kultur zu erhalten – was aus Sicht der Amerikaner eine Subventionierung und Verzerrung des Wettbewerbs darstellt. Auch was die Datenschutzstandards betrifft, sind Europäer und Amerikaner unterschiedlicher Auffassung. Kurz vor Auftakt der Verhandlungen hatte das Überwachungsprogramm PRISM des US-Geheimdienstes NSA zu Spannungen zwischen beiden Partnern geführt.
Wie lange die Verhandlungen dauern sollen, ist unklar. Hinzu kommt: Steht ein Abkommen, müssen erst noch alle Parlamente zustimmen.
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