Hunderttausende Demonstranten in Kairo, Militärpräsenz an neuralgischen Punkten: Die aktuellen Bilder aus Ägypten erinnern an die Ereignisse vor rund zweieinhalb Jahren. Damals hatten wochenlange Demonstrationen und gewalttätige Auseinandersetzungen den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak zum Rücktritt gezwungen. Nun wurde sein Nachfolger Mohammed Mursi vom Militär gestürzt.
Abdel Fattah al-Sisi, Verteidigungsminister und oberster Befehlshaber der Armee, verkündete am Mittwoch (3. Juli) die Absetzung Mursis. Er kündigte die Bildung einer Regierung aus Fachleuten an. Die künftige Regierung werde "alle nationalen Kräfte" einschließen. Die umstrittene Verfassung soll außer Kraft gesetzt und überarbeitet werden. Außerdem soll es rasch Neuwahlen zum Präsidentenamt geben. Bis dahin soll der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, die Geschicke des Landes lenken. Dieser Fahrplan sei gemeinsam mit Politikern und öffentlichen Personen beschlossen worden, erklärte al-Sisi. Seiner Rede war ein Krisentreffen der Armeeführung mit Vertretern der Opposition und geistlichen Würdenträgern vorausgegangen. "Die Armee will nicht an der Macht bleiben", sagte al-Sisi.
Muslimbrüder sprechen von Putsch
Inzwischen hat die ägyptische Armee die Festnahme Mursis bestätigt. Laut Zeitungsberichten wird zudem nach 300 Mitgliedern der Muslimbruderschaft, der Mursi nahesteht, gefahndet. Die Muslimbruderschaft war vor dem Sturz Mubaraks zwar offiziell verboten, aber stillschweigend geduldet. Bei der ersten Parlamentswahl erhielt ihre Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" mit 37,5 Prozent die meisten Stimmen. Im Juni 2012 wurde Mursi mit 51,7 Prozent der Stimmen der erste frei gewählte, zivile Präsident des neuen Ägyptens.
Die Muslimbrüder sprechen nun von einem Putsch gegen den gewählten Staatschef Mursi. In der Nacht zu Donnerstag (4. Juli) kam es in mehreren Städten zu Zusammenstößen zwischen ihren Anhängern und Gegnern. Dabei kamen landesweit mindestens 12 Menschen ums Leben.
Größte Protestwelle seit dem Sturz Mubaraks
Ägypten hatte zuvor die wohl größten Proteste seit dem Sturz Mubaraks Anfang 2011 erlebt. Die Oppositionsbewegung "Tamarod" – "Rebellion" – hatte die Initialzündung gegeben: Sie sammelte nach eigenen Angaben rund 22 Millionen Unterschriften für Neuwahlen. Tagelang gingen Millionen Bürger in mehreren Städten auf die Straße. Sie beklagten, die Muslimbruderschaft sei dabei, das Land vollständig zu islamisieren. Immer mehr Bürger, auch ehemalige Anhänger, verglichen Präsident Mursi mit seinem Vorgänger Mubarak und warfen ihm einen autoritären Führungsstil vor. Im November 2012 erklärte Mursi seine Entscheidungen für rechtlich unanfechtbar,
Die Kritiker forderten Mursis Rücktritt, seine Anhänger wollten hingegen eine Entmachtung nicht hinnehmen. Das Militär stellte Mursi schließlich ein Ultimatum: Bis Mittwoch (3. Juli) müsse er den Konflikt beilegen, andernfalls werde die Armee einen eigenen "Fahrplan für die Zukunft" vorlegen und durchsetzen. Mursi lehnte das ab. Er sei vom Volk "in freien und gleichen Wahlen" gewählt worden und halte an dieser Legitimation fest. Zugleich beschuldigte er "Überbleibsel des alten Regimes", die Wut ägyptischer Jugend für ihre Ziele zu instrumentalisieren.
Sechs Minister treten zurück
Inmitten der Massenproteste hatte Mursi allerdings auch in der eigenen Regierung immer mehr an Rückhalt verloren: Sechs Kabinettsmitglieder reichten seit Anfang der Woche ihren Rücktritt ein. Zudem traten Mursis Sprecher sowie der Regierungssprecher zurück.
Zu der angespannten politischen Stimmung trug zudem die ökonomische Situation bei: Viele Ägypter beklagten, ihre Lage habe sich seit dem Sturz Mubaraks verschlechtert. Der für das Land wichtige Tourismussektor schrumpfte zwischen 2010 und 2012. Viele Arbeitsplätze fielen dadurch weg. Im selben Zeitraum stiegen die Preise für Nahrungsmittel stark an. Rund ein Viertel der Bevölkerung Ägyptens lebt heute in Armut.