Es war ein historisches Urteil, das die Richter des Obersten Gerichts in Guatemala-Stadt am 10. Mai gegen den früheren Diktator Efraín Ríos Montt ausgesprochen hatten: Der heute 86 Jahre alte Angeklagte wurde wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während seiner Amtszeit zwischen 1982 und 1983 zu 80 Jahren Haft verurteilt. Es war das erste Mal, dass ein früherer Präsident Lateinamerikas im eigenen Land wegen Völkermords vor Gericht stand und verurteilt wurde.
Völkermordprozess gegen Montt
Der Prozess gegen Montt war der erste Versuch einer juristischen Aufarbeitung der Verbrechen, die im Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 begangenen wurden.
Seine kurze Regierungszeit gilt als die blutigste Phase des 36 Jahre währenden Konfliktes. Der rechtsgerichtete General hatte sich 1982 mit einer Junta an die Macht geputscht und wurde während seiner Amtszeit für eine "Politik der verbrannten Erde" bekannt. Nach damaligen offiziellen Verlautbarungen richtete sich diese Politik gegen die linken Guerilla-Bewegungen, betroffen waren aber vor allem die einfache Landbevölkerung und die indigenen Ureinwohner. Bereits 1983 wurde Montt vom Militär wieder abgesetzt.
Während seiner 15-monatigen Herrschaft soll er für Mord, Folter, sexuelle Gewalt und die Zwangsumsiedlung tausender Maya-Indianer verantwortlich gewesen sein. Konkret wurde er für ein Massaker an 1.770 Ureinwohnern der Maya-Gruppe der Ixil im Norden des Landes schuldig gesprochen.
Nun soll der Prozess neu aufgerollt werden. Der Strafkammer seien während der Verhandlung Verfahrensfehler unterlaufen, wie das guatemaltekische Verfassungsgericht feststellte. Die Verteidigung hatte bereits während des Prozesses beklagt, dass nicht alle Entlastungszeugen gehört worden seien. Nach der Urteilsverkündung legten Montts Anwälte Berufung ein.
Menschenrechtsaktivisten hatten der Verhandlung Vorbildcharakter attestiert und Prozess und Urteil gegen Montt als historisch gefeiert: Nie zuvor war ein ehemaliger lateinamerikanischer Staatschef wegen Verbrechen während seiner Amtszeit im eigenen Land verurteilt worden. Die mündliche Verhandlung muss nun wiederholt werden.
Bürgerkrieg in Guatemala
Der bewaffnete Konflikt zwischen den wechselnden autoritären Regierungen und linken Guerillaorganisationen hat nach Schätzungen der Vereinten Nationen insgesamt 200.000 Menschen das Leben gekostet. Eine Million Menschen wurde innerhalb des Landes zwangsumgesiedelt.
Ein im Februar 1999 unter der Ägide der Vereinten Nationen veröffentlichter Bericht über die während des Bürgerkriegs begangenen Verbrechen stellt fest, dass die Gewalt maßgeblich vom Staat ausging und sich gegen die Bevölkerung der Maya, die arme Landbevölkerung und linksgerichtete Oppositionelle richtete. Um der Guerilla ihre ländlichen Rückzugsgebiete zu entziehen, wurden vor allem im Norden Guatemalas ganze Dörfer vernichtet und Massaker an den Einwohnern verübt.
Konfliktursachen
Einkommensarmut und ethnisch bedingte Diskriminierung waren und sind die wichtigsten strukturellen Konfliktursachen in Guatemala. Die extrem ungleiche Landverteilung und die Ausgrenzung der indigenen Bevölkerungsmehrheit vom politischen Prozess führten bereits in den 1960er Jahren zur Bildung bewaffneter Oppositionsgruppen, die von der Regierung blutig bekämpft wurden.
Aktuelle Situation
17 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges in Guatemala hat sich an den sozialen Verhältnissen im Land wenig verändert. Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Straflosigkeit sowie eine extrem ungleiche Ressourcenverteilung gehören weiterhin zum Alltag der Menschen.
Die indigene Bevölkerung verfügt nach jahrhundertelanger Unterdrückung auch aktuell über wenig Einfluss. Nach wie vor ist sie sowohl in staatlichen Institutionen als auch in der Wirtschaft stark unterrepräsentiert.
Aus dem Jahresbericht 2013 des UN-Entwicklungsprogramms geht hervor, dass 51 Prozent der Bevölkerung in Guatemala in Armut leben. Der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben und mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen, liegt dem Bericht zufolge bei 13,5 Prozent. Die Armut ist ein großes Hindernis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes und eine Quelle für den andauernden konfliktreichen Alltag der Bevölkerung.
Mit einem Gini-Index von 53,7 (2011) zählt Guatemala weltweit zu den Ländern mit der größten sozialen Ungleichheit überhaupt. Der Index gibt den Grad der Ungleichheit der Einkommensverteilung in einem Land an.