Am 16. November hatte der japanische Ministerpräsident Yoshihiko Noda von der regierenden Demokratischen Partei (DPJ) das Parlament aufgelöst und den Weg für vorgezogene Wahlen freigemacht. Damit erfüllte Noda eine wesentliche Forderung der oppositionellen Liberaldemokratischen Partei (LDP) , die im Gegenzug einer Reihe wichtiger Gesetze zur Haushaltsfinanzierung zustimmte.
Pattsituation erschwerte Regieren
Seit die Demokratische Partei (DPJ) 2010 im Oberhaus die Mehrheit verloren hat, ist sie bei der Gesetzgebung auf die Stimmen der Opposition angewiesen. Laut japanischer Verfassung bedürfen alle Gesetzesinitiativen der Zustimmung beider Kammern, um in Kraft treten zu können. Die Opposition hat diese Pattsituation im Parlament in der Vergangenheit häufiger als Machtinstrument genutzt, um dem Premier das Regieren zu erschweren - so auch im Falle der Haushaltsfinanzierung: Ein wochenlanger Streit zwischen Regierung und Opposition um ein Gesetz zur Ausgabe neuer Staatsanleihen hatte Japan an den Rande der Zahlungsunfähigkeit gebracht. Schließlich stimmten die Abgeordneten dem Gesetz zu, genauso einer Erhöhung der Mehrwertsteuer von gegenwärtig fünf auf zehn Prozent bis 2015, mit der die steigenden Sozialversicherungskosten finanziert werden sollen.
Infobox Ober- und Unterhaus
Das japanische Parlament besteht aus zwei Kammern: Das Unterhaus hat 480 Sitze und wird in allgemeinen Wahlen auf vier Jahre gewählt. Das Oberhaus hat 242 Mitglieder; alle drei Jahre wird die Hälfte der Mitglieder für sechs Jahre gewählt. Es kommt jedoch nicht selten zur vorzeitigen Auflösung des Unterhauses. Die letzten Wahlen zum Unterhaus fanden am 30. August 2009 statt, die letzten Oberhausteilwahlen am 11. Juli 2010. Der Ministerpräsident verfügt wie in Großbritannien über das Recht, das Unterhaus früher aufzulösen. Bis auf eine Ausnahme haben die amtierenden Ministerpräsidenten seit 1949 auch stets von diesem Instrument Gebrauch gemacht.
Nodas Rückhalt in der Partei schwand
Viele DPJ-Abgeordnete reagierten aufgrund der aktuell schlechten Popularitätswerte der Regierungspartei mit Unverständnis auf die Entscheidung Nodas zu vorgezogenen Neuwahlen. Regulär hätten diese erst im August oder September 2013 stattgefunden. Auch in anderen Fragen ist der Vorsitzende, der seit August 2011 Japans Premier ist, parteiintern umstritten. So war zum Beispiel die Mehrwertsteuererhöhung auf innerparteilichen Widerstand gestoßen. Die DPJ, die als „Mitte-Links“-Partei gilt, war 2009 mit dem Versprechen angetreten, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Aus Protest haben in den vergangenen Monaten immer mehr Abgeordnete die Partei verlassen. Insgesamt haben seit Dezember 2011 fast 80 Ober- und Unterhausabgeordnete der Partei den Rücken gekehrt.
Japans Dauerregierungspartei kommt wieder an die Macht
Dadurch verfügte die Demokratische Partei im Unterhaus mit 251 von 480 Sitzen nur noch über eine knappe Mehrheit. Und die hat sie nun verloren: Die Liberaldemokratische Partei erreichte nach bisherigen Ergebnissen zusammen mit ihrem erprobten Koalitionspartner New Komeito rund 315 von insgesamt 480 Sitzen im Parlament. Ihr Vorsitzender Shinzo Abe, der bereits von 2006 bis 2007 Japans Premier war, wird wohl erneut Ministerpräsident werden. Die konservative, marktwirtschaftlich orientierte LPD regierte das Land seit 1955 fast ununterbrochen fünf Jahrzehnte lang, bis sie 2009 von der DPJ abgelöst wurde.
Wirtschaft, Demografie und Energie sind Japans größte Herausforderungen
Nach dem Regierungswechsel im Jahr 2009 waren die Erwartungen an die neue Regierung groß. In den Folgejahren dämpften jedoch die Weltwirtschaftskrise und die Nuklearkatastrophe von Fukushima sowie die angespannten Außenbeziehungen Japans zu China die Aufbruchstimmung im Land. Eine der größten Herausforderungen der neuen Regierung dürfte nach wie vor die wirtschaftliche Situation Japans sein: Laut Internationalem Währungsfonds lag die Bruttoverschuldung Japans 2011 bei 216 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zwischen Juli und September 2012 ist die japanische Wirtschaft auf das Jahr gerechnet um 3,5 Prozent geschrumpft, es droht eine Rezession. Erschwerend kommt der demografische Wandel hinzu: Im Jahr 2050 werden 40 Prozent der Japaner über 65 Jahre alt sein. Einige Beobachter warnen bereits seit Jahren, dass die Sozialversicherungssysteme ohne radikale Reformen den Wandel bald nicht mehr tragen könnten. Bereits jetzt müssen die Sozialversicherungen Jahr für Jahr mit neuen Staatsanleihen in Milliardenhöhe refinanziert werden.
Auch die umwelt- und energiepolitischen Folgen, die sich mit der Nuklearkatastrophe verbinden, stellen das Land vor neue Herausforderungen. Nach Fukushima vollzog Japan, das seinen Energiebedarf zu knapp 30 Prozent aus Atomstrom deckt, zunächst eine energiepolitische Kehrtwende und nahm alle 54 Atomreaktoren vom Netz. Zwei Meiler sind inzwischen aber wieder in Betrieb. Derzeit fehlt es noch an nachhaltigen Lösungen, wie bei einer Reduzierung der Atomenergie oder gar einem Ausstieg die Lücke in der japanischen Energieversorgung geschlossen werden kann. Zurzeit kompensiert das Land den fehlenden Atomstrom durch Öl-, Erdgas- und Kohleimporte. Angesichts der weltweit hohen Rohstoffpreise ist dies jedoch teuer und belastet den japanischen Haushalt zusätzlich.
Die Zukunft der Kernenergie
Die LDP tritt für die Beibehaltung der Kernenergie ein. Laut Umfragen befürworten siebzig Prozent der Bevölkerung aufgrund von Sicherheitsbedenken langfristig die teilweise oder vollständige Abkehr von der Atomenergie; aus wirtschaftlichen Überlegungen sprechen sich aber knapp sechzig Prozent für die vorläufige weitere Nutzung aus.
Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, dass Tôru Hashimoto Mitglied der japanischen Mafia Yakuza gewesen sei. Dies ist nicht korrekt. Stattdessen wurde sein Vater mit der Mafia in Verbindung gebracht.