Rund 12 Millionen Niederländer waren am Mittwoch (12. September) zur vorgezogenen Neuwahl ihres nationalen Parlaments aufgerufen. Nach dem vorläufigen Endergebnis steht die rechtsliberale Volkspartei (VVD) von Ministerpräsident Mark Rutte als Sieger fest. Sie erhält 41 der 150 Parlamentssitze (2010: 31 Sitze). Die sozialdemokratische Partei (PvdA) ist mit 39 Sitzen zweitstärkste Kraft (2010: 30). Unter ihrem Spitzenkandidaten Diederik Samsom gelang ihr ein beachtlicher Wahlkampfendspurt: Mitte August lagen die Sozialdemokraten in den Umfragen noch bei 15 Sitzen.
Auch wenn sich Mark Rutte am Wahlabend noch nicht zu möglichen Koalitionspartnern äußern wollte, ist eine große Koalition zwischen seiner VVD und den Sozialdemokraten wahrscheinlich. Zusammen verfügen Sie über eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Mit diesem überraschend deutlichen Wahlergebnis haben die Niederländer den bisherigen Kurs in der Finanz- und Währungskrise bestätigt.
EU-Skeptiker abgestraft
Die EU-skeptischen Parteien des linken und rechten Randes wurden abgestraft. Die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders erlitt enorme Verluste. Sie sackt von 24 auf 15 Sitze ab. Die Sozialistische Partei (SP) unter Emile Roemer kann ihr Ergebnis von 2010 halten und wird erneut mit 15 Abgeordneten im Parlament vertreten sein. Allerdings hatten die Sozialisten in den Umfragen lange Zeit mit der rechtsliberalen VVD gleichauf gelegen.
Beide Parteien waren mit EU-skeptischen Tönen auf Stimmenfang gegangen. Der Rechtspopulist Geert Wilders (PVV) war nicht bereit, weitere Mittel zur Rettung des Euro zu investieren. Er forderte im Wahlkampf nicht nur die Wiedereinführung des Gulden, sondern sogar den Austritt seines Landes aus der Europäischen Union. Dabei verkannte er, dass die Niederlande als Exportnation wie kaum ein anderes Land in der EU von Währungsunion und Binnenmarkt profitieren.
Auch die Sozialisten sprachen sich strikt gegen die Übertragung von mehr Souveränität auf die EU-Ebene aus und lehnten den aus Brüssel verordneten Sparkurs ab. Stattdessen versprach ihr Spitzenkandidat Roemer zusätzliche Investitionen in Höhe von 3 Milliarden Euro.
Der bisherigen Koalitionspartner der VVD, die christdemokratische CdA erlitt eine historische Wahlniederlage. Die ehemalige Volkspartei ist nur noch mit 13 Mandaten im Parlament vertreten (2010: 21). Zu den Wahlsiegern gehört hingegen die linksliberale Partei D66, sie erhält 12 Sitze und ist sogar als Regierungspartner im Gespräch (2010: 10 Sitze). Außerdem werden fünf kleinere Parteien mit wenigen Mandaten in das Parlament einziehen.
Wahlsystem
In den Niederlanden gilt das reine Verhältniswahlrecht. Jeder Wahlberechtigte hat eine Stimme, die er an einen Kandidaten einer Parteiliste vergeben kann. Eine Sperrklausel wie in Deutschland gibt es nicht, sodass schon 0,7 Prozent der Stimmen ausreichen, um eines der 150 Abgeordnetenmandate zu erhalten. Die Legislaturperiode dauert vier Jahre. Eine Besonderheit des niederländischen Wahlrechts ist die Unvereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und Regierungsamt. Dadurch soll die Unabhängigkeit des Parlaments gestärkt werden.
Das nationale Parlament in den Niederlanden wird als Zweite Kammer bezeichnet. Bei ihr liegt die nationale Gesetzgebungsbefugnis, allerdings müssen alle Gesetze und Völkerrechtsverträge von der Ersten Kammer bestätigt werden. Die 75 Mitglieder der Erste Kammer – auch Senat genannt – werden nicht direkt durch das Volk gewählt, sondern von den Parlamenten der zwölf Provinzen bestimmt.
Umstrittener Sparkurs hatte zu Neuwahlen geführt
Die vorgezogene Neuwahl wurde notwendig, nachdem Geert Wilders von der rechtspopulistischen PVV im April 2012 der Regierung seine Gefolgschaft aufgekündigt und den Haushaltsentwurf für 2013 abgelehnt hatte. Bis dahin war die Regierungskoalition zwischen der rechtsliberalen Volkspartei (VVD) und der christdemokratischen CdA von der PVV geduldet worden. Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) und Wirtschaftsminister Maxime Verhagen (CdA) hatten Einsparungen in Höhe von 14 Milliarden Euro geplant, um die Neuverschuldung entsprechend der europäischen Stabilitätskriterien auf unter 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. So sollten u.a. die Mehrwertsteuer erhöht, das Renteneintrittsalter auf 66 Jahre angehoben und die Wohnungsbauförderung abgeschafft werden. Geert Wilders hatte den rigiden Sparkurs als "Brüsseler Diktat" abgelehnt. Daraufhin trat die Regierung zurück, blieb aber bis zur Neuwahl am 12. September geschäftsführend im Amt. Drei Tage nach ihrem Rücktritt konnte sie ihren Haushaltsentwurf mit Zustimmung von drei kleinen Oppositionsparteien doch noch verabschieden. Allerdings ist nun unklar, inwieweit der Sparkurs mit den neuen Koalitionspartnern fortgesetzt werden kann.
Interner Link: Paul Lucardie: Populismus im Parteiensystem in Deutschland und den Niederlanden Jeannette Goddard: Fortuyns politische Erben – Rechtspopulisten in den Niederlanden